Kapitel 22

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Vor neun Jahren

,,Und benimm dich, ja?", sagt Mama, während ich meine Tasche dem Vater von Mia gebe, der sie ins Auto lädt. ,,Ja, Mama", antworte ich und hüpfe ungeduldig von einem aufs andere Bein. Ich freue mich so sehr auf das Wochenende. ,,Wenn was ist, dann geh zu Julian." ,,Mache ich." Zum Abschied umarme ich sie und steige dann ins Auto. Jetzt geht es los.

Nachdem die Zimmer verteilt wurden, treffen wir uns alle zur Probe in einem der Räume. Etwas schüchtern setze ich mich neben Finnja, die auch das erste Mal dabei ist. Wir sind beide gemeinsam vom Kinderchor zu dem Jugendchor Together gewechselt. Viele sind schon da, aber ein paar fehlen noch. Mir fällt auf, dass Julian auch noch nicht da ist. ,,Weiß jemand wo die Jungs sind?", fragt unsere Chorleiterin ungeduldig. In diesem Moment fliegt die Türe auf und die sechs Jungs kommen lachend reingestürmt. ,,Dankeschön Millie", ruft Julian und reißt mir die Mappe mit dem Script aus der Hand. ,,Das ist meine", sage ich sauer. ,,Jetzt nicht mehr." ,,Julian. Hinsetzen, sofort", sagt Doris energisch und gibt mir eine neue Mappe. Etwas eingeschüchtert nehme ich sie an. Julian ist richtig doof geworden. ,,So Ruhe jetzt", brüllt Doris gegen den Lärm und haut einmal laut auf die Tasten vom Klavier. Alle werden ruhig. ,,Wir werden jetzt die restlichen Rollen besprechen. Wir haben ja schon geklärt, wer die größeren Hauptrollen spielt. Jetzt geht es um die Nebenrollen. Schlagt bitte mal die erste Seite auf." Gespannt öffne ich die Mappe. ,,Wer möchte denn die Freundin von Franziska spielen?", fragt unsere Chorleiterin. Sie kommt als erstes mit Franziska vor.

Wir besprechen weiter und immer mehr Rollen werden vergeben. In dem Stück geht es um ein Computerspiel, wo die Figuren in die Realität kommen. ,,Kommen wir zur Gruselwelt. Wir brauchen einen Drachen. Am besten jemanden, der klein ist." ,,Das kann doch Millie machen", grölt Julian und zeigt auf mich. ,,Lass das", motze ich zurück.  ,,Julian, es reicht. Sei jetzt still." Der blonde Junge kicherte, was Doris jedoch ignoriert. Dann sieht sie mich an. ,,Magst du den Drachen mal probieren?" Zögerlich nicke ich und fange an zu lesen. ,,Was habe ich da gehört? Du willst mich besiegen? Den größten Drachen der Horrorwelt?" Franziska beginnt ihren Text zu lesen. ,,Na, Groß? Das stelle ich mir anders vor. Du bist ja ein Winzling. Dann nehme ich mal mein Schwert." ,,Ja, dann komm mal her", lese ich ab und sehe dann unsicher zu Doris. ,,Noch etwas zurückhaltend, aber das kriegen wir hin. Stellt euch mal hin. Und jetzt, Mila, wirst du böse. Du bist der fiese Drache vom Horrorwald." Ich nicke und beginne erneut meinen Text aufzusagen. Diesmal bemühe ich mich gruseliger zu klingen." ,,Noch ein bisschen mehr. Aber da machen wir später. Du wirst ein super Drache." ,,Suuuuper gruselig", lacht Julian. ,,Du bist doch viel zu süß für einen Drachen." Etwas traurig setze ich mich zurück auf den Stuhl. Wieso ist Julian so doof zu mir? ,,Wir machen eine Pause von 10 Minuten. Julian, du kommst zu mir", befiehlt Doris. Niedergeschlagen verlasse ich den Raum und gehe zu den Toiletten. Finnja kommt hinter mir her. ,,Mila, ich finde du bist ein toller Drache", sagt sie aufmunternd. Ich sehe das gleichaltrige Mädchen vor mir an. ,,Findest du?" Sie nickt heftig. ,,Klar. Und Julian ist ein Doofkopf." ,,Das ist er", bestätige ich.

,,Millie, Winzlingsdrache. Fauch doch mal", ruft Julian durch die offene Tür, bevor er lachend mit seinen Jungs über den Flur wegrennt. ,,Ja rennt doch weg ihr Doofköpfe", ruft Finnja hinterher und schließt die Tür. Leise beginne ich zu schluchzen. ,,Ich will nach Hause", weine ich leise." Finnja setzt sich zu mir aufs Bett. Auch Paula, Amelie und Anna, die ebenfalls auf meinem Zimmer sind, kommen dazu. ,,Die Jungs sind Idioten. Willst du Gummibärchen?", versucht Amelie mich aufzumuntern und hält mir die Tüte hin. Leicht schüttel ich den Kopf. ,,Ich will zu Mama und Papa", schluchze ich. ,,Sollen wir mal zu Doris gehen?", fragt Finnja. Langsam stehe ich auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. ,,Ich komme auch mit", sagt Anna. Zu dritt verlassen wir das Zimmer und gehen eine Etage nach unten. Doris sitzt mit den anderen beiden Betreuern Lutz und Melanie auf einer Bank. ,,Was ist denn mit euch los?", fragt Doris. ,,Ich will nach Hause", heule ich wieder. ,,Komm mal her", sagt sie einfühlsam und klopft neben sich. ,,Julian ist dauernd doof zu ihr. Er zieht sie immer auf, wegen dem Drachen", erklärt Finnja. ,,Soll ich ihn mal holen?", fragt Melanie. ,,Ja mach mal bitte. Und ihr zwei geht zurück ins Zimmer", weist Doris an. Finnja und Anna nicken und gehen wieder zurück. Es dauert etwas, bis Melanie mit Julian zurück kommt. ,,Wieso weinst du?", fragt er.  ,,Ich möchte, dass du dich sofort bei Mila entschuldigst." ,,Aber ich habe nichts gemacht", mecker der Junge beleidigt.  ,,Julian, du wirst sich bei ihr entschuldigen. Was du gesagt hast, geht überhaupt nicht. Und während der Proben auch schon." Der Blonde schweigt und sieht auf den Boden. ,,Okay. Dann kommt ihr beide mit."

Verwirrt gehe ich mit Julian in den Probenraum. ,,Ich warte vor der Tür. Und ihr klärt das jetzt da drinnen. Julian, du bist alt genug um dich zu benehmen. Und Mila, du kannst natürlich jederzeit wieder rausgehen", bestimmt Doris. Julian klettert auf einen der Tische, während ich mich schüchtern auf einen Stuhl setze. Unwohl gucke ich aus dem Fenster. ,,Weinst du, weil ich das zu dir gesagt habe?", fragt er auf einmal. Ich zucke mit den Schultern. ,,Das war doch nur lustig gemeint." ,,Ich fand es aber nicht lustig." Julian springt vom Tisch und landet genau vor mir. ,,Du weißt, dass ich dich gerne hab, Mila. Das ist doch alles nur zum Spaß." Wütend stehe ich auf, obwohl Julian mich immer noch mit gut zwei Köpfen überragt. ,,Du weißt aber gar nicht ob ich es lustig finde. Und du hast immer weiter gemacht. Das war voll doof von dir." Er beginnt zu grinsen. ,,Du bist ein guter Drache. Aber du musst mehr böse sein. Sag was gemeines zu mir." ,,Nein, das will ich nicht." ,,Na los. Mir passiert doch dadurch nichts", fordert er mich auf und breitet die Arme aus. ,,Du bist doof", rufe ich. Ganz schnell lässt er seinen rechten Arm hinter seinen Rücken verschwinden. ,,Oh nein, meim Arm ist verschwunden", sagt er gespielt entsetzt. Das Ganze ist so komisch, dass ich anfange zu kichern. ,,Du Doofkopf. Hör auf damit." Er grinst und nimmt den Arm wieder nach vorne. ,,Es tut mir leid, okay? Ich werde nichts mehr sagen und wenn doch, dann darfst du auch was gemeines zu mir sagen. Abgemacht?" Ich überlege. ,,Abgemacht", nicke ich und schlage mit ihm ein.

Ein Traum wird wahrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt