Ich ging in mein Zimmer und schloss hinter mir die Tür. Dann guckte ich mich um. In dem Raum stand ein Himmelbett und ein Schreibtisch aus Eichenholz. Auf dem Boden lag ein weißer Teppich. Er war total weich. Ich ging über ihn rüber und stand vor dem Schreibtisch. Auf ihm lagen viele Pergamentrollen und ein Federkiel. In den Schubladen fand ich mehrere Bücher über Gott, das Hinmelreich und über Fabelwesen. Ich griff nach einem Buch über Fabelwesen. Mit dem Buch in der Hand ging ich zu meinem neuen Bett. Das braune Holz, aus dem das Bett gebaut war, war genauso, wie das Tor bei Gottes Haus, verziert. Doch es waren nicht Symbole, die klar erkennbar waren, sondern gewellte und gezackte Linien, Schlingen und vieles andere. Nur ein Symbol, das eine klare Kontur hatte, war vorhanden. Und es zeigte mich. Wahrscheinlich, da es mein Bett war. Ich hatte aber keine große Lust jetzt weiter darüber nachzudenken, also legte ich mich ins Bett und schlug das Buch auf. Ich blätterte ein wenig hier hin und da hin und las nur einzelne Kapitel. Nach einigem Blättern fand ich ein Kapitel über schwarze Einhörner. In diesem Moment fiel mir das Einhorn von der Wiese wieder ein. Vielleicht stand ja in dem Kapitel irgendwas interessantes über es. Also fing ich an zu lesen:
Das schwarze Einhorn ist das seltenste Fabelwesen des Himmelreiches. Es ist zurzeit nur ein Exemplar bekannt. Dieses heißt Black Angel. Es lebt auf der Wiese des Friedens. Es ist noch sehr jung, wird aber von den anderen Einhörnern gefürchtet. Black Angel wartet immer noch auf seinen wahren Freund, der, soweit man weiß, mittlerweile im Himmelreich eingetroffen ist.
Ich war so ins Lesen vertieft, dass ich gar nicht bemerkte, was draußen geschah. Es kamen viele Geister und Halbgeister durch die Gänge geschlurft, schwebten in ihre Zimmer und knallten die Türen hinter sich zu. Als die Tür genau gegenüber von meinem Zimmer zuknallte, schreckte ich hoch. Ich guckte auf die Uhr, die an der Wand hing, und bemerkte, dass es schon ganz schön spät geworden war. Ich legte das Buch zur Seite und kuschelte mich in die weiße Daunendecke. Dann ging, wie von Zauberhand, das Licht aus. Doch ich war so müde, dass ich mich nicht weiter darüber wunderte und sofort einschlief.
Am nächsten Morgen wachte ich genau in dem Moment auf, als das Licht wieder anging. Ich war sofort hellwach. Früher war ich immer noch todmüde gewesen, wenn ich aufgewacht war. Jetzt aber hatte ich gar keine Lust mehr im Bett zu bleiben. Ich schlug die Decke weg und... Mir blieb der Atem weg. Was war das!? Meine Füße!? Sie waren nicht mehr da. Na ja, also sie waren schon da, aber... anders. Sie waren nicht mehr aus Fleisch, sondern waren wie bei einem Geist. Meine Füße waren in Geistgestalt!
Ich wollte gerade mit den Füßen auftreten, aber es ging nicht. Ich konnte meine Füß nicht auf den Boden aufsetzen. Kurz vor dem Boden blieben sie einfach "stecken". Als ich das Gewicht nun auf meine Füße verlagerte, fühlte es sich allerdings so an, als wenn ich auf dem Boden stehen würde. Doch als ich einen Schritt machte, federte mein Fuß kurz vor dem Boden ab. Ich konnte den Boden einfach nicht mehr mit den Füßen berühren, egal was ich machte. Ich schwebte also! Ich schwebte wirklich! Ich konnte es einfach nicht glauben und es regte mich extrem auf. Ich würde den Boden nicht mehr berühren können! Doch als ich an meiner Zimmertür ankam, hatte ich mich schon fast daran gewöhnt. Aber auch nur fast. Da ich immer noch fasziniert davon war, ging ich mit gesengtem Blick aus der Tür und durch den Gang. Doch plötzlich... WUMMS! Ich lag auf dem Boden und vor mir war ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter sein musste. Sie hielt sich mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht den Kopf. Wir waren anscheinend zusammengestoßen. Das Mädchen hatte braune, lange Haare und grün funkelnde Augen. Außerdem hatte sie eine Zahnspange und... Was war das? Bei mir waren es ja nur die Füße, aber bei ihr waren auch schon die Beine in Geistgestalt.
"Kannst du nicht aufpassen?", zickte sie mich an.
"Tschuldigung.", murmelte ich, "Aber ich war so auf meine Füße konzentriert." Ich weiß auch nicht, warum ich mich rechtfertigte. Ich meine, wenn sie aufgepasst hätte, wären wir ja auch nicht zusammengestoßen oder?
"Dann sei mal auf was anderes konzentriert als deine Füße.", meckerte sie weiter, stand auf und ging weg. Ich wollte ihr eigentlich noch etwas hinterherrufen, aber dann hielt ich lieber den Mund und beließ es dabei. Ich stand auf und ging den Flur entlang. Am Ende des Flures ging ich durch die Tür und dann die Wendeltreppe hinunter.
Unten traf ich auf tausende Geister und Halbgeister. Solche wie ich. Manche hatten auch nur die Füße in Geistgestalt, andere bis zum Hals und wieder andere waren komplett in Geistgestalt. Sie gingen alle in die gleiche Richtung und deswegen folgte ich ihnen einfach. Wir gingen in einen riesengroßen Saal. In ihm stand ein riesiger Tisch auf dem Unmengen von unterschiedlichem Essen standen. Es gab Obstsalat, Müsli, Brötchen, Eier, Pfannkuchen, Käse, Wurst, Honig und und und...
Ich nahm mir einen Teller und füllte ihn mit Pfannkuchen und Obstsalat. Dann schaute ich mich um. Nirgends waren Sitzplätze zu sehen. Wo sollte man denn dann hier essen? Da ich keine andere Möglichkeit sah, stellte ich mich einfach in den Raum und wollte gerade im Stehen essen, als das Mädchen kam, welches ich gerade "getroffen" hatte. Sie sagte: "Du musst dein Essen mit ins Zimmer nehmen und dort essen." Ich wollte gerade danke sagen, da ging sie schon wieder weg. Ohne auch nur noch ein Wort zu sagen oder sich einmal noch umzudrehen, um zu gucken, ob ich mich auch daran hielt, was sie mir gesagt hatte. Da ich mich nicht gleich am ersten Tag unbeliebt machen wollte, folgte ich aber ihrer Anweisung und ging in mein Zimmer. Dort stellte ich den Teller auf den Schreibtisch und setzte mich. Zuerst aß ich den Pfannkuchen und danach den Obstsalat. Doch dann hatte ich immer noch hunger. Und als wenn der Teller das wissen würde, füllte er sich wieder mit einem Pfannkuchen und Obstsalat. Auch diese Portion aß ich auf und dann war ich auch satt.
Doch jetzt hatte ich keine Ahnung, was ich noch machen sollte. Auf lesen hatte ich keine Lust und fürs Schlafen war ich viel zu wach. Also legte ich mich einfach aufs Bett und döste ein wenig vor mich hin. Aber nicht lange...
Denn schon bald klopfte jemand an meine Tür. Ich rekelte mich aus dem Bett, obwohl ich gerade echt keine Lust darauf hatte und öffnete die Tür. Im Türrahmen stand das Mädchen. "Ich hab eine Idee.", meinte sie sofort, doch ich unterbrach sie: "Ich kenne noch nicht einmal deinen Namen und du hast schon irgendeine Idee?"
"Also ich kenne dich. Du bist Linus Fischer und hast Krebs. Und du musst, genauso wie ich, um dein Leben kämpfen." Das verschlug mir die Sprache. Woher wusste sie das alles? Als ich meine Stimme endlich wieder gefunden hatte, fragte ich: "Und wie heißt du?"
"Ich bin Nina.", jetzt schon wieder zickiger, "Also darf ich jetzt endlich anfangen?" Ich zuckte nur mit den Schultern, aber darauf achtete sie gar nicht, sondern redete gleich weiter: "Also, natürlich möchte ich, wie eigentlich jeder Halbgeist hier wieder raus. Und ich dachte, dass du mir hilfst. Mit deiner Hilfe könnte ich hier bestimmt rauskommen."
"Warte! Du willst mir gerade erklären, ich soll dir helfen hier rauszukommen, du aber nicht mir?"
"Ja. Ich meine du machst das dann halt nach mir. Du hast ja noch einen Tag mehr Zeit."
"Nein, danke. Also entweder helfen wir uns gegenseitig oder ich mache das alleine!" Damit schloss ich die Tür. Denn auf diese Nina hatte ich gar kein Bock mehr. Doch dann klopfte es wieder. Ich öffnete die Tür. Nina stand immer noch da.
"Was?", fragte ich, jetzt richtig genervt.
"Wir sollten uns gegenseitig helfen, denn alleine wird es glaube ich keiner von uns beiden schaffen.", antwortete sie. Ich war überrascht. "Komm rein.", sagte ich und trat zur Seite. Sie kam herein und wir setzten uns aufs Bett.
"Du bist ja schon länger hier als ich.", fing ich an und deutete auf unsere Füße. "Weißt du, wann und wie man komplett zum Geist wird?", fragte ich. Sie überlegte, ging zum Schreibtisch und nahm ein Buch heraus. Es trug den Titel "Reich der Toten". Sie blätterte in dem Buch. Bei einer Seite hielt sie inne. Sie hatte gefunden wonach sie gesucht hatte. Es war eine Seite über die Entwicklung der Geister. Sie hielt mir das Buch hin und ich las die Seite:
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Die Tore des Himmels
Fantastik"Alles fing am 18. Dezember an. Ich lag schon länger im Krankenhaus und die Ärzte zweifelten so langsam daran, dass ich es schaffen würde. Doch dann, ganz plötzlich, war ich weg. Mit jeder Stufe, die ich nahm, kam ich dem Reich der Toten immer näher...