Montag, 13. Juni

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 16:41 Uhr.

„Bis Morgen, ihr Beiden!", ruft uns Suzume winkend zu, ehe sie beschwingten Schrittes zum Hauptbahnhof eilt, wo bereits ihr Freund auf sie wartet.

„Wie kann man nur immer so gut gelaunt sein?", fragt mich Junko sprachlos, als wir unserer gemeinsamen Schulfreundin nachblicken.

Ich zucke mit den Schultern. „Ihr Leben läuft nunmal wirklich gut. Ein liebevoller Freund, eine herzliche Familie, perfekte Noten... Wäre doch komisch, wenn man bei so viel Glück keine gute Laune hätte."

Junko streckt sich schnaufend, während wir weiter die Fußgängerzone entlang schlendern, und antwortet: „Ich wünsche mir, ihr Glück würde ein wenig auf mein Leben abfärben. Ich wäre ja schon zufrieden, wenn es mir leichter fallen würde, ein wenig besser in der Schule zu sein."

„Aber bei dir läuft es doch auch gut. Und mit deinen Eltern hattest du doch so gut wie nie Streit.", werfe ich ein.

„Es läuft nur gut, weil ich mich so bemühe, um an meiner gewünschten Universität angenommen zu werden, nicht weil es mir so leicht fällt. Und es gibt fast keine Streitereien zwischen mir und meinen Eltern, weil sie ja fast nie da sind."

Da Junkos Eltern in der Forschung tätig sind und oft noch bis spät in die Nacht im Labor Proben auswerten und Seminare planen, sieht sie die beiden meist nur am Wochenende. Was unsere familiäre Situation angeht, teilen Junko und ich leider das gleiche Schicksal.

„Stimmt. Ich weiß auch gar nicht, wann ich deine Eltern das letzte Mal gesehen habe.", gebe ich nachdenklich zu. „Übrigens, vielen Dank, dass du mich noch kurz zum Laden begleitest. Ich bin noch so unschlüssig, welche Knöpfe ich nun nehmen soll."

„Keine Ursache.", sagt Junko und grinst frech. „Ohne meinen modischen Beistand und mein fundiertes Fachwissen würdest du sicher die falschen Knöpfe auswählen."

„Hoffentlich verlangst du kein Geld für deine weise Beratung."

„Du hast mich gerade auf eine sehr gute Idee gebracht."

Als wir kurz darauf bei meinem liebsten Kramladen ankommen, fallen mir sofort die bunten Schilder am großen Schaufenster auf.

„Ladenräumung, alle Waren reduziert!", steht dort in grellen Zeichen geschrieben.

„Was?", murmele ich perplex.

„Schön, dich wieder hier zu sehen, Nanami-chan.", höre ich eine altbekannte kratzige Stimme aus dem Ladeninneren rufen. Kurz darauf tritt der alte Ladenbesitzer aus der Tür, bepackt mit einem Karton voller Porzellan.

Mit einem Schnaufen stellt er den Karton auf den Gehweg und wischt sich über das faltige Gesicht.

Junko und ich verbeugen uns höflich vor ihm, ehe ich erschrocken frage: „Was passiert hier? Ziehen Sie um?"

Der Alte lacht müde.

„Ich muss dich leider enttäuschen. Meine Frau und ich müssen unseren Laden schließen."

„Aber warum? Was ist mit Ihrem Enkelsohn?"

„Youjiro hat sich dafür entschieden, mit seiner Ehefrau bei den Schwiegereltern in Kyoto zu bleiben. Dort gäbe es mehr Chancen auf einen vernünftigen Beruf, meint er. Wisst ihr, seit über vierzig Jahren existiert dieser Laden hier schon. Um diese Regale sind schon unsere Kinder gerannt, Youjiro selbst ist hier aufgewachsen. In diesem Räumen steckt ein Teil unserer Familiengeschichte. Und nun müssen wir sie verlassen. Das ist wirklich zutiefst bedauerlich."

Ich weiß, wie sehr dem alten Mann dieser Laden am Herzen liegt. Ich bin als kleines Mädchen mehr als genug dort gewesen, um Süßigkeiten von seiner Frau geschenkt zu bekommen. Doch als ich nun seinen wehmütigen Blick ins Ladeninnere sehe, merke ich erst, wieviel Herzblut wirklich in diesem Laden steckt.

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