Donnerstag, 23. Juni

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19:12 Uhr.

Ich klemme mir mein Smartphone zwischen Schulter und Ohr, damit ich beide Hände frei habe.

„Hast du die Seite gefunden?", fragt mich Junko am anderen Ende der Leitung.

„Noch nicht.", antworte ich gequält. „Junko, ich muss dich kurz laut stellen. Welche Seite war es doch gleich?"

„Seite 47." Junkos Stimme hallt blechern durch mein kleines Zimmer.

Als ich sie endlich in meinem Arbeitsbuch gefunden habe, lese ich mir schnell die Aufgabenstellung durch.

„Und was verstehst du daran nicht?", frage ich.

„Alles. Es sind so viele Vokabeln dabei, die ich noch nie gehört habe. Ich weiß noch nicht einmal, worum es in diesem Text gehen soll."

„Im Text geht es um New Yorker Problemviertel. Da steht, dass es dort viele Gewalttaten und Bandenkriege gibt, und dass die Polizei oft eingreifen muss."

„Und was sind ‚delinquents'?", fragt Junko missmutig.

„Übersetzt heißt es Verbrecher."

„Das habe ich ja noch nie gehört. Wenn der Text nächste Woche auch so schwer wird, kann ich in den Sommerferien wegen Englisch schön nachsitzen."

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und stelle das Telefon wieder auf leise.

„Das glaube ich nicht. Du darfst dir einfach nicht so viele Gedanken machen. Und versuche nicht, bei einem fremden Wort hängenzubleiben, sondern versuche eher, den groben Sinn des Textes zu verstehen. Das haben wir doch die letzten Wochen über geübt. Und da hat es doch immer super funktioniert.", versuche ich, Junko aufzuheitern.

„Ich weiß, Nanami. Aber wenn du das sagst, hört sich das alles so leicht an. Und wenn ich alleine bin, weiß ich einfach nichts mehr."

„So geht es mir auch bei Mathe. Wenn man zusammensitzt, ist man irgendwie immer motivierter, es zu schaffen. Wenn ich mir die Aufgaben dann zuhause anschaue, macht auf einmal alles keinen Sinn mehr. Als wäre ich spontan verblödet."

Ich höre Junko trocken lachen.

„Aber weißt du, was ich nicht verstehe? Wie du bei diesen Aufgabenstellungen bei Englisch überhaupt verstehst, was genau verlangt ist. Bei Mathe ist das alles viel logischer. Wenn da steht ‚Lösen Sie die Gleichung und runden Sie auf drei Stellen nach dem Komma.', dann weißt du sofort, was du zu tun hast. Aber wenn du dann bei Englisch so eine Frage hast wie ‚Interpretieren Sie den Dialog und begründen Sie Ihre Antwort.', dann könnte das alles bedeuten. So schwammig ist Mathe nicht."

Ich stehe auf und werfe mich bäuchlings auf mein Bett.

„Da hast zwar recht. Aber was ist, wenn du keine Ahnung hast, wie du die Gleichung zu lösen hast?", argumentiere ich.

„Ich weiß immer, wie ich eine Gleichung zu lösen habe. Das läuft immer gleich.", kontert Junko sicher. Mit so einem Kommentar habe ich schon gerechnet.

„Nun gut, du weißt es vielleicht. Aber ich sitze manchmal davor und finde keinen richtigen Anfang. Und dann kann ich manchmal eine komplette Aufgabe nicht lösen, nur weil ich auf dem Schlauch stehe. bei Englisch könnte ich improvisieren und so tun, als hätte ich Ahnung."

„Aber bei Englisch musst du so viele Vokabeln wissen, die Themen verstehen und dann auch noch klug argumentieren können. Das ist so viel schwieriger zu lernen als ein paar kleine Rechenregeln und Formeln im Kopf zu haben."

„Da hast du auch wieder recht." Ich seufze schwer. „Letztendlich ist alles schwer. Ich weiß gar nicht, wie ich dieses Jahr überleben soll."

Junko brummt zustimmend. „Aber nächstes Jahr wird es sicher noch härter. Wie soll ich jemals mein Studium ohne Suzume und dich schaffen?"

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