6. Kapitel

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Piep. Pieep. Pieeep. Piep, Piep, Piep.

Mein  Wecker, den ich schon seit meiner Grundschulzeit zu hassen gelernt habe, rieß mich brutal aus meinem Schlaf. Ich hatte nichts geträumt oder konnte mich wohl einfach nicht mehr erinnern. War vielleicht auch gut so. Jedenfalls fühlte ich mich einwenig erholt. An was ich mich sber wohl oder übel erinnern konnte, war aber der gestrige Tag. Ich streckte mich und tapste zu meinem Kleiderschrank, um mir frische Sachen herauszuholen. Calvin konnte mich mal. Ich hatte Fehler gemacht und hatte daraus gelernt. Er nicht. Und er würde auch nicht. Schon immer war er ein Dickkopf gewesen und er würde nicht Ruhe geben, was mir Angst machte. Ich fragte mich, was er als nächstes plante. Wie weit würde er noch gehen? Sorgen machte ich mir auch um Calvie, irgendetwas musste ja passiert sein, sodass sie bewusstlos auf dem Boden gelegen hat. Luke hatte ich auch nicht mehr gefragt. Aber das würde ich definitiv noch tun. Ich schüttelte mich. Ich brauchte andere Gedanken. Bald würden sich die vielen Fragen und Erinnerungen in meinem Kopf zu einem dicken Klumpen formen, so hatte ich jedenfalls das Gefühl bei den vielen qaotischen Gedanken. "Ciao!" rief ich nachdem ich gefrühstückt und meine Sachen gepackt hatte. Aus irgendeinem Grund wollte ich schnell aus diesem Haus rauskommen. Ich knallte hinter mir die Haustür zu und lief unsere Straße nach oben, auch an dem Haus vorbei an dem Calvie mich gestern an die Hauswand gedrückt hatte. Ich zitterte und hob meinen Arm an, nur um zu beobachten wie sich die kleinen Häarchen hochstellten. Ich drehte mich einfach weg und schaute auf meine Kirschroten Chucks und auf meine Beine, die sich ruckartig nach vorne schleppten. Zehn Minuten später erreichte ich die Bushaltestelle an. Ich kramte mein Handy raus. Es war exakt 8:40, genau um diese Zeit stand ich gestern auch hier. Ich hielt nach Casie Ausschau. Musste sie nicht hier irgendwo sein? Ich würde mich um einiges wohler fühlen nicht ganz alleine Bus fahren zu müssen. Meine Augen wanderten von Schülern aus meiner Schule zu Studenten und zu Rentner, wobei ich mich fragte: Wieso, verdammt standen die freiwillig so früh auf?, bis mein Blick an einen Jungen stoppte, der hinter einem Baum stand. Nur ein Haarbüschel stand heraus und ein helles Auge. Ich formte meine Augen zu schlitzen. Das war doch ziemlich sicher Luke. Diese schwarzen Haare  und blauen Augen konnten nur Luke gehören. Mein geheimnisvoller Retter der anscheinend alles über mich wusste und mich zu verfolgen schien. Was hatte das alles zu bedeuten? Meine Finger ballten Fäuste. Ja, ich war sauer auf ihn. Er hatte mich fasziniert mit seinem Auftreten, aber er hat soviele Frage aufgeworfen und ich hatte jetzt mit den Antworten zu kämpfen. Gerade wollte ich einen Schritt auf ihn zu gehen, da sprang mich jemand von hinten an und hielt die Hände vor meinen Augen. 
"Hey! Wer bin ich wohl?", fragte die Stimme. Sie klang hell, warm und sehr klar. Es konnte nur eine Person sein.
"Casie!", seufzte ich unter  einem lächeln. Ich erkannte sie nicht nur wegen ihrer Stimme, sie war wohl auch einfach die einzige hier, die das machen konnte, ohne das es unhöflich rüber gekommen wäre. Ich meine, das hier war mein zweiter Schultag. Aber das Casie mir Gesellschaft leisten wollte, reichte mir. Sie ließ von mir ab und ich musste einpaar mal blinzeln. Bevor ich mich zu ihr umdrehte warf ich einen Blick zum Baum. Luke war verschwunden.
"Was ist denn am Baum so spannend?" fragte Calie und musterte den Baum nun auch genauer. Sie grinste. Ich drehte mich verwirrt um, aber als ihr Gesicht sah, musste ich auch grinsen. "Nichts besonderes. Dachte nur, ich hätte jemanden gesehen..."
Ich zuckte mit den Schultern, damit sie keine weiteren Fragen stellte. Mit einem 'Alles klar' stieg Calie in den Bus ein und ich folgte ihr. "Wieso steigst du eigentlich hier ein? Gestern nach der Schule musstest du gar nicht mit dem Bus fahren", fragte ich, als wir uns auf die Plätze ganz hinten niedergelassen hatten. Sie zuckte nur mit den Schultern. "Das ist so, weil...", fängt sie erst an, aber entscheidet sich dann doch zum Schweigen. Sie hatte also auch ihre Geheimnisse. Ich mussterte sie. Irgendwie hatte ich das Gefühl sie überlegte gerade, was  wohl das richtige war. Ich wartete und akzeptierte ihr Schweigen. Wenn sie meinte, ich sollte es nicht wissen, dann war es wohl das Richtige. Plötzlich holte sie Luft: "Na ja, weißt du meine Eltern sind schon seit längerem getrennt, nach der Schule besuche ich eben manchmal meine Mutter und Abends gehe zu Papa." Ich schaute sie von der Seite an und schluckte. "Oh, tut mir leid." Und ich meinte es aufrichtig. "Aber ist das nicht anstregend an einem Tag immer zu wechseln?" hakte ich dann noch nach.

"Eigentlich bin ich über der Woche immer bei Papa, aber meine Mutter wollte mich eben sehen und ich habe ihr ein Besuch abgestattet.", erklärte sie. Dann Pause. "Sie...leidet unter einer Krankheit. Sie hört Stimmen. Ich besuche sie nie zu Hause, sie wohnt schon seit mehreren Wochen in einer Psychatrie." Casie senkte den Blick, zuckte aber dann doch mit den Schultern. Sie musste nicht stark vor mir wirken, wollte ich am liebsten sagen, ich ließ es dann aber. "Wow." war das einzige was mir dazu einfiel. "Ist das nicht schlimm?" Ich wüsste nicht, ob ich das ertragen könnte. Getrennte Eltern und eine kranke Mutter.
"Nein, das ist okay für mich.", antwortete sie und sie lächelte nun wieder munter. Wie machte sie das nur? Ich biss mir auf die Lippen und überlegte noch einmal darüber nach, was sie soeben erzählt hatte. Es muss ein schwieriges Leben für sie sein. Aber welches Leben war schon einfach?
"Wir sind da!" Sie schnipste und ich schüttelte mich. "Ohne mich wärst du echt schlimm dran und würdest immer zu spät zur Schule kommen."
Mit einem Grinsen im Gesicht zerrte sie mich abermals aus dem Bus. Recht hatte sie ja schon. Fünf Minuten später betraten wir den Klassenraum. Auf dem kurze Weg hoch, hatten wir nur noch über die heutigen Fächer geredet. Es stand nichts besonderes an, zum Glück. Casie begrüßte ein paar Klassenmitglieder und ich  war schon dabei mir den Kopf zu zerbrechen, ob es nun komisch wäre Arthur und Tya zu umarmen, da kamen sie schon zu mir und zogen mich in eine Begrüßung. Wir hielten kurz Smalltalk, wobei ich mich einbisschen zurückhielt - was  schwer war, denn ich war ja die Neue und da hatte man immer besonders viele Fragen an mich auf Lager. "Jade, auf welcher Schule warst du eigentlich vorher?" Tya fragte das und schaute mich interessiert an. Nun fielen mit wieder ihre Eisblauen Augen und schwarze Haare auf. Sie erinnerte mich an Luke. Sie schaute mich in dem Moment genauso an, wie er es gestern getan hatte. Mit diesem freundlichen, aber dennoch herrausforderden Blick. Jade, jedes Mädchen mit blauen Augen und schwarzen Haare würde dich jetzt an ihn erinnern. Aber wieso wollte ich mich so sehr erinnern? Nein, die Frage war doch, wieso ich mich überhaupt erinnerte. Na, weil du noch einige Fragen an ihn hast. Nicht weniger und nicht mehr. Paar Fragen waren gut.
"EGZ - Evangelisches Gymnasium Zaunen (ausgedacht und soll in der nähe von Berlin liegen).", antwortete ich und versuchte monton zu klingen, damit man mir ja nicht anmerkte, was für schreckliche Erinnerungen ich damit verband. Kurz meinte ich ein Flackern in ihren Augen zu sehen, welches ich nicht deuten konnte, aber dann blinzelte sie und alles war normal.


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