Kapitel 9

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Warum? Warum muss der scheiß Pulli, von dem Scheißkerl bloß so scheiß kuschelig sein? Mist. Ich darf mir einfach keine Gefühle für dieses seelenlose Monster zugestehen. Erstens mal, weil natürlich Kathie auf ihn steht. Und zweitens, wie gesagt: Seelenlos. Naja, Hannah. Ganz so seelenlos kann er ja dann doch nicht sein. Dann hätte er mich schließlich nicht vor Kevin gerettet. Apropros Kevin. Er müsste eigentlich nochmal seine gerechte Strafe bekommen. Auch wenn ich gestern noch nicht so darüber gedacht hab, aber nach und nach ändert sich meine Meinung über diesen Bastard. Man kann sowas einfach nicht anders nennen. Naja, dazu später.

Ich stehe vor der Tür des Sekretariats und klopfe dreimal. Von innen ertönt ein gedämpftes: ,,Herein." Also trete ich ein. Doch so oft wie in den letzten Tagen, wünsche ich mir, ich hätte es nicht getan.

Der Anblick der sich mir bietet, ist nicht grade ansehnlich. Ich hatte zwar erwartet Kathie hier anzutreffen, aber in einer eindeutig anderen Verfassung. Sie sitzt zusammen gerollt auf dem Boden, wie ein kleiner Igel. Ihre Arme hat sie um ihre Beine geschlungen und den Kopf in ihre Knie vergraben. In regelmäßigen Abständen, ertönen Schluchzer aus ihrer Richtung. Ich würde am liebsten mitheulen, so schrecklich sieht es aus. Inzwischen haben sich sicherlich mehr als sechs Mitarbeiterinnen um sie versammelt um sie zu trösten. Erst jetzt kann ich reagieren, erwache aus meiner Starre und stürze auf den bemitleidenswerten Igel auf dem Boden. Ich schließe sie in meine Arme, ziehe sie an meine Brust und nuschel etwas, das beruhigend wirken soll. So etwas ähnliches wie 'Scchhh, ist gut, alles ist gut'. Doch sie hört nicht auf zu heulen. Deshalb streiche ich ihr behutsam über den Rücken. Desweilen schaue ich eine der Angestellten mit einem fragenden Blick an und diese schildert mir die Situation, kurz und knackig: ,,Ihre Mutter wurde auf dem Fahrrad angefahren. Sie befindet sich in einem kritischen Zustand. Man weiß nicht ob sie es schaffen wird und hat deshalb ihre Tochter ausrufen lassen. Sie wissen schon, falls sie ihre Mutter noch ein letztes Mal sehen möchte." Fuck. Ich gucke sie mit entgeisterten Block an. Das kann nicht sein. Einfach unmöglich. Unfair. Ja, das ist das richtige Wort. Katies herzensgute Mutter sollte sterben? Die Frau, die mich immer wie ihr eigenes Kind behandelt hatte?! Nein. Unmöglich. Unfair.

Aufeinmal entfährt mir ein Schluchzer. Unfair. ,,Standen sie der Frau nah? Wollen sie ihre Tochter ins Krankenhaus begleiten?", fragt sie mich, mit einem fürsorglichen Blick. Anscheinend hat sie Angst, dass ich so einen Zusammenbruch wie Katholische erleide. Ich nicke. Mehr bekomme ich im Moment nicht herraus. ,,Okay, können sie alleine laufen?", fragt sie mich, noch immer besorgt. ,,J...j...ja. Das wird wohl gehen. Aber ich befürchte, dass meine Freundin Hilfe brauchen wird.", antworte ich. ,,Wenn sie mir helfen, können wir ihr zusammen zum Auto helfen.", schlägt sie in einem gespielt optimistischen Ton. Wie ich hasse, wenn Leute versuchen, mir etwas vorzumachen. Widerlich.

Wieder nicke ich nur. Allerdings merke ich kaum, wie ich Kathie mit der Frau, in irgendein Auto hiefe. Ich weiß nur, dass ich Kathie, als wir im Auto sind wieder an meine Brust drücke, wo sie ununterbrochen weiter schluchzt. Ich selber schaue aus dem Fenster und streichel Kathie geistesabwesend über den Rücken. Über meine Wange kullert eine einsame Träne. Zu mehr bin ich nicht im Stande. Der einzige Gedanke der immer und immer wieder wie viele kleine fiese Pfeilspitzen durch meinen Kopf schießt ist: Unfair.

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