kapitel 1

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Lias Sicht

Eine Woche nachdem sie erwacht war und die schreckliche Nachricht vom Verschwinden ihrer geliebten Zwillingsschwester erhalten hatte, durfte sie das Krankenhaus verlassen. Zum Wunder aller Ärzte hat der Unfall keine bleibenden Schäden bei ihr hinterlassen, nur ein gebrochenes Schienbein, vier gebrochene und zwei geprellte Rippen, eine gebrochene Hand und zahlreiche Prellungen und blaue Flecken. Das alles wird in etwa sechs Wochen geheilt sein und ihr keine Schmerzen mehr bereiten, nur ein Schmerz wird nie vergehen, der Schmerz über den Verlust ihrer Schwester.

Sie sind sich sehr nahe gestanden, waren Seelenverwandte. Sie gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Beide haben langes braunes Haar, leuchtend blaue Augen, eine kleine Stupsnase und endlos lange Beine um die sie viele beneiden. Die wenigsten können sie auseinander halten, nur ihre Mutter hatte nie Probleme damit. Doch ihre Charaktere könnten nicht unterschiedlicher sein. Während Liz gerne Partys feiert, bleibt Lia lieber zu Hause um zu lesen, Liz liebt es sie deshalb zu necken. Sie sagt dann immer: „Lia du musst endlich mal unter die Leute gehen, oder willst du etwa als ewige Jungfrau sterben?“ Was Lia nur dazu bringt sie anzulächeln und zu entgegnen: „Dafür wirst du dich später einmal alleine mit deinen Kindern herumschlagen müssen, weil du nicht mal wissen wirst von wem sie sind.“

Ja, sie standen sich schon immer sehr nahe, wenn es Liz schlecht ging wusste Lia es sofort, sie konnten es nicht vor einander verbergen. Sie liebten es sich gegenseitig zu schminken und über Jungs zu reden. Liz konnte Lia viel aus eigener Erfahrung berichten, denn sie hat ihre Freunde immer wie Unterwäsche gewechselt. Lia hingegen ist eine Träumerin und warte auf den Richtigen. Auch wenn Liz behauptet, dass sie alt und runzlig werde bevor das geschieht, ist Lia sich sicher, dass dem nicht so ist, das spürt sie einfach. Wenn Lia anfing Liz über ihr Gespür zu erzählen, lachte sie einfach nur. Liz hält nichts von spiritistischen Dingen. Während Lia immer das Positive in allem sieht, sieht Liz alles negativ. Sie sind bzw. waren immer wie ein Ying Yang und ergänzen sich gegenseitig.

Als ihre Mutter ihr Zimmer betritt um ihr zu sagen, dass sie sich fertig machen soll um wieder in die Schule zu gehen, dachte Lia, dass alles nur ein schrecklicher Albtraum war und Liz gleich meckern würde, dass es noch viel zu früh zum Aufstehen sei. Doch bald holte sie die Wahrheit wieder ein. Liz würde nicht meckern und auch nicht mit ihr zusammen frühstücken, wie sie es sonst immer taten. Nichts wäre so wie früher.

In der Schule schauten sie alle mitleidig an und die Lehrer beteuerten ihr wie leid es ihnen tue, dass Liz verschwunden ist. Das alles machte es nur noch schlimmer und nicht einmal ihre besten Freunde konnten sie aufheitern. So verging der Schultag fürchterlich langsam und sie freute sich schon auf zu Hause wo sie ihre Ruhe hat. Doch als sie am Nachmittag nach Hause kam, sah Lia ein Polizeiauto vor ihrer Haustür stehen und wusste sofort, dass sie die gewünschte Ruhe vergessen kann.

Es ist Jon Jansen, der Chef des hiesigen Polizeireviers, der vor ihrem Haus steht. Mit seinen sechzig Jahren ist er der älteste Polizist der Region und somit auch der erfahrenste. Er schon viele Fälle gelöst und Lia hofft, dass er auch ihre Schwester wiederfinden wird. Er erinnert sie mit seinen vertrauensvollen Augen, dem Bierbäuchlein und seinen trotz seines Alters noch vollen Haaren, ein wenig an einen Teddybären. Doch sie weiß, dass er auch sehr streng und furchteinflößend sein konnte.

„Hallo Lia, du weißt wahrscheinlich warum ich hier bin“, begrüßt er sie. „Hallo Mr. Jansen, ja, ich nehme an sie kommen wegen der Entführung meiner Schwester und wegen meines Unfalles.“ „Ja, das ist richtig. Kann ich ins Haus kommen?“ „Ja natürlich, treten Sie ein. Setzen Sie sich ruhig“, fordert sie ihn auf und deutet auf das antikes Sofa, das mitten in einem geräumigen Wohnzimmer steht. Ihre Mutter liebt antike Dinge. Jedes Mal, wenn sie von einer ihrer vielen Geschäftsreisen zurückkommt, bringt sie eine neue Antiquität mit. Sie arbeitet als Managerin eines internationalen Betriebs und kommt so viel um die Welt. Nichts in der Welt hat ihre Mutter je dazu bewegen können sich von ihren geliebten Mitbringsels zu trennen. „Danke, könnte ich bitte ein Wasser haben?“, fragt Jon. „Ja natürlich, warten sie kurz.“

Luzifers TöchterWhere stories live. Discover now