Free

369 21 0
                                    

Bokuto war spät dran.
Keijis Eltern mussten bereits aufbrechen um pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen und so kam es, dass sie ihren Sohn mit einem mulmigen Gefühl alleine Zuhause lassen mussten.
Keiji seinerseits wartete auf Koutarous erscheinen und suchte sich eine Beschäftigung in der übrigen Zeit.
Es war schon ziemlich nervig, dass ihm niemand wirklich zutraute auch nur ein paar Minuten ohne Beaufsichtigung zu sein, aber damit musste Keiji nun mal im Moment leben.

Da seine Sachen soweit alle gepackt waren und sich ein Buch aus dem Regal zu suchen um darin zu versinken sich nicht lohnte, schritt er ans Fenster heran und beobachtete alle Ereignisse, die sich vor seinen Augen abspielen würden.
Nach kürzester Zeit aber wandte er seinen Blick von den fallenden Blättern, welche zurzeit das einzige Interessante waren ab und lies ihn zu seinen Händen wandern.
Unfähig an einen anderen Punkt zu blicken, starrte er, einer Trance gleich auf die vielen verschiedenen Fältchen, die seine Hände durch leichtes krümmen aufwarfen.

Ein Bild einer riesigen Sporthalle erhellte seine so trübe und leere Gedankenwelt.
Helle Lichter an jeder Seite blendeten den schwarzhaarigen Jungen.
Schreie, bei denen jegliche Wörter unverständlich erschienen aus allen Richtungen drangen an sein Ohr.
Pfiffe ertönten von jeder Ecke und ständiges Quietschen von Turnschuhen durchzuckte den Raum.

Was mache ich hier?...

„Den kriegst du noch! Lauf hinterher!"


Was soll das?

Von überall vernahm er angespannte Stimmen, die durch den riesigen Raum hallten.
Nicht rührend stand er dort, kaum etwas sehend durch die grellen Lichter der Scheinwerfer.
Jegliche Geräusche drangen tief in seine Ohren und drohten sie zerspringen zu lassen, obwohl sie dafür viel zu weit entfernt erschienen.

„Nur noch ein Punkt!"

Träumte er? War ihm wieder schwindelig?
Seine Knochen fühlten sich ziemlich schwer und doch gebrechlich an, während er wie hypnotisiert in die grellen, fast schon brennenden Scheinwerfer blicken musste.
Irgendwas ergab hier keinen großen Sinn, war er nicht vor kurzem noch in seinem Wohnzimmer?
Ein großes Verlangen durchzuckte seine schlappen Beine, wie kontrolliert begann er einige Schritte vorwärts zu gehen, konnte sich jedoch nicht im Geringsten zusammenreimen, weshalb und wohin er gehen würde.
Die blaugrauen Augen des Jungen wiegten schwer, er konnte seinen Blick nicht von dem Pfad der vor ihm lag wenden, es schien, als seien sie erstarrt.

„Gib nicht auf! Das schaffen wir noch! Hörst du?!"

Ein Schrei hallte durch diese verzerrte Realität und ließ alle anderen verstummen.
Eine Stimme so weinerlich und verzweifelt.
Eine viel zu unbekannte und doch bekannte Stimme.
Sie schien nach Aufmerksamkeit zu ringen, doch von wo kam sie?

Links?

Nein, von rechts?

Von hinten...

Leises Schluchzen ertönte hinter dem schwarzhaarigen.

„...Verdammt..."

Man konnte sich das gequälte Gesicht dazu förmlich vorstellen, jedoch war es Keiji nicht möglich etwas zu erkennen, was eine Form gehabt hätte.
Er wandte sich dem Schluchzen langsam zu, doch das einzige erkennbare war eine verschwommene Silhouette, doch wer oder was war das?
Seine Hand versuchte nach ihr zu greifen, doch als er sie berührte verschwand sie.

Was passiert hier?...

„HIER! Wir sind hier! Hör mich doch!"


Erneut wandte sich der verwirrte Junge der Stimme zu, sie rief ihm entgegen, von links.
Doch als Keiji eine Person neben sich erwartete, wurde er von dem Licht so sehr geblendet, dass seine Augen begannen zu brennen und er war gezwungen sie zu schließen.
Qualvoller Schmerz durchzuckte seine Augen, Tränen schossen aus ihnen, in der Hoffnung, dieses unerträgliche Brennen lindern zu können.
Keiji wollte schreien, doch obwohl er seinen Mund öffnete und Vibrationen seiner Stimme verspürte konnte er nichts hören.
Nichts, außer einer Stimme, die ihm von rechts zurief.

„Akaashi! Heeeeeey, Akaashi!..."
Dumpfes Klopfen schallte durch den Raum.
Die Stimme wurde immer lauter und seine Augenschmerzen schienen verschwunden zu sein.
Als er sie vorsichtig versuchte zu öffnen, um nicht erneut geblendet zu werden stellte er fest, seine eigenen Hände breiteten sich in seinem Sichtfeld aus und um ihn herum die wohlig warme Atmosphäre des Wohnzimmers.

„Akaashi! Hörst du mich?? Bist du aufm' Klo oder so??"

Von außerhalb der Tür war deutlich Bokutos Stimme zu hören, welcher versuchte durch lautes Klopfen und noch lauteres Rufen auf sich aufmerksam zu machen.

„Ähm...Ja, ich höre dich, ich komme!"
Perplex und ein wenig schwindelig wankte Keiji zu seiner Haustür und öffnete Koutarou, unter zittrigen Händen die Tür.

„Hey, wir kommen schon zu spät, ich hab n' bisschen verschlafen, Sorry...", entschuldigte sich der gerade erschiene grauhaarige, mit halber Verbeugung, als Akaashi seine Tasche holen ging und ihn mit nach draußen begleitete.

„...Schon ok...", antwortete Keiji nur halbherzig, als er die Haustür abschloss und Bokuto entgegensah.

„Ist irgendwas passiert? Deine Augen sind ganz glasig...hast du geheult?"
Mit etwas neckischem Unterton stupste Bokuto dem schwarzhaarigen gegen die Schulter.
„Mhmm...Nee, ich musste nur ein bisschen extrem Gähnen...", versuchte letzterer sich rauszureden, da er, selbst wenn er wollte ihm nicht hätte erklären können, was gerade passiert war.
„Ahhh! Ja das kenne ich, wenn man fast schon denkt sein Kiefer würde gleich abfallen!"
Ein lautes Lachen überfiel die Eule, als sie ihren Gesprächsanfang gefunden hatte und sie nichts mehr stoppen konnte.
Auch Keiji entwischte ein beruhigtes kleines Lächeln, als Bokuto seine Erklärung ohne zu zögern annahm und bereits neue Themen aufwarf, um den Weg zur Schule nicht allzu langweilig und öde zu gestalten.

Doch dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht.
„Ahh! Akaashi, wir müssen uns beeilen, der Unterricht hat schon angefangen!! Verdammt!"
Kurz nachdem dieser halbgeschriene Satz seinen Redefluss durchbrach, griff Bokuto nach Keijis Hand und begann mit ihm die restlichen Meter zur Schule zu laufen.

Schon mental darauf vorbereitet jeden Moment von seinem Lehrer angeschrien zu werden, nahm Bokuto seine Schuhe, die er hätte noch anziehen sollen in die Hand und zog mit der anderen Akaashi hinter sich her, welcher drohte zu stolpern, bei der Geschwindigkeit, die Koutarou mit einem Mal aufbrachte.
So kam es dazu, dass die beiden nicht nur den Unterricht störten, indem Bokuto die Tür ohne zu zögern aufriss, in der Hoffnung, dass der Lehrer ebenfalls zu spät kam, sondern auch ohne Schuhe in der nun aufgerissenen Tür standen, beziehungsweise, Akaashi schaffte es einen Schuh zu wechseln, bevor er gnadenlos von dem grauhaarigen mitgerissen wurde.
Während nun Akaashi und der Lehrer der Klasse Bokuto einen strengen Blick zuwarfen, begannen die Schüler leise zu tuscheln und zu lachen, unter anderem gehörten auch Komi und Sarukui dazu. Komi seinerseits lachte beinahe schon zu laut los, als er seinen allzu überrumpelten und peinlich berührten Kapitän erblickt, während Saru seinen Kopf lediglich schüttelte und schon fast Mitleid mit ihm fühlte.
Nach einer kurzen Standpauke seitens des Lehrers und Akaashis wurde Koutarou dazu verdonnert extra Hausaufgaben zu erledigen und gebeten sich endlich seine Schuhe anzuziehen und seinen Platz einzunehmen.
Akaashi jedoch musste sich mit dem einen Schuh den er bereits anhatte zufriedengeben, da ihm nicht erlaubt war noch einmal den Raum zu verlassen um den zweiten zu holen, welcher nun vor seinem offenen Spind auf dem Boden seine Zeit totschlagen durfte.

Die gesamte Stunde über schmollte Koutarou und kritzelte eher auf seinem Aufgabenblatt herum, als dass er die eigentlichen Aufgaben auch erledigte.
„Bokuto-san...mach deine Aufgaben. Ich werde die für dich nachher bestimmt nicht machen!"
Unter strengen Ton flüsterte Keiji seinem Nachbarn Worte zu, um diesen aus seiner Schmollphase zu holen, die ihn schon begann zu nerven. Ein lautes Seufzen verließ den Schnabel der beleidigten Eule, was selbst den Lehrer wieder einmal in Richtung des Störenfriedes blicken ließ. Gelangweilt und beschämt zugleich rutschte Bokuto ein Stück tiefer in seinen Stuhl hinab und begann seine Aufgaben zu erledigen und das Tafelbild, was der Lehrer so mühsam von seinem Zettel abgeschrieben hatte in sein Heft zu übertragen.

------

Einem Schuss gleich schoss Koutarou förmlich aus der Klasse, nachdem diese elendig lange Stunde gemeistert war, um sich von dem Lehrer soweit es möglich war zu entfernen.
Akaashi hüpfte hinterher, tatsächlich, da er noch immer nur einen Schuh trug und keine wirkliches Lust hatte, seine weißen Socken mit Dreck zu besudeln.
Da auch Bokuto sich als so gutmütig erwies zu den Spinden zurückzukehren, damit Keiji seinen einsamen Schuh überziehen konnte, waren beide nun bereit endlich richtig in den Tag zu starten und deren gewöhnlichen Alltag nachzukommen.

Dachten sie zumindest.

Ein laut- und langgezogener Seufzer entwich Akaashi, als er seinen Spind abschloss und wieder vernünftig auf zwei Beinen stehen konnte.

„Machst dich ja wieder mal beliebt, was Kapitän?"
Lautes Gelächter ließ die beiden für einen Moment hochschrecken und erblickten Komi um die Ecke wandern, der scheinbar nur gekommen war, um Bokuto noch mal eins reinzuwürgen.
„Halt die Klappe!", stieß letzterer wie durch eine Art Reflex aus.
„Hey Akaashi, weißt du, da ja bald Neujahrsferien sind und auch die großen Spiele bald anstehen haben wir uns mit einigen Schulen nochmal auf ein kleines Trainingscamp geeinigt, dann in den Ferien um nicht außer Form zu kommen. Da werden dann auch ein paar alte Bekannte dazustoßen. Also, willst du dann mitkommen? Vielleicht auch ein bisschen locker wieder mit dem Ball vertraut werden oder so etwas? Ist eigentlich immer ganz spaßig mit denen."
Als Komi etwas näher an die beiden herantrat, fixierte er seinen Blick direkt auf Akaashi und versuchte diesen, mit einem freundlichen und sanften Ton dazu zu überreden vielleicht mit zum Camp zu kommen.

„Ein Trainingscamp? Dann spielt ihr mit anderen Schulen aus Tokio?...", warf dieser etwas verwundert ein und blickte dabei auf den stolz nickenden Bokuto neben sich.

„Jep! Wir machen das eigentlich ziemlich oft, da kommen dann unter anderem Schulen wie Nekoma oder Shinzen High! Das Camp wird wieder in der Shinzen High abgehalten werden, gehe ich von aus."
Mit breitem Grinsen und verschränkten Armen vor der Brust, wohlwissend Keiji kannte nicht eine dieser Schulen wandte Bokuto sich an Komi, welcher nur zustimmend nickte.
„Hmm...Ja vielleicht, ich denke nicht, dass ich Zuhause irgendwas Besseres zu tun hätte..."
Ein leicht nervöses Lächeln entfleuchte dem schwarzhaarigen, als er den anderen beiden entgegensah.
„Super! Ich denke Kuroo kann uns dann sicherlich auch ein wenig helfen! Oder er macht es noch schlimmer, aber das sehen wir dann."
Zufrieden, sein Freund habe dabei zugestimmt setzte Koutarou an zum nächsten Unterricht zu gehen, drehte sich dabei jedoch noch um und forderte Keiji mit einer Handbewegung und unterdrückter Begeisterung auf, ihm zu folgen.
„...Was meinte er mit ‚schlimmer'?...", stammelte der schwarzhaarige an Komi gewandt, als er ein wenig perplex auf den grauhaarigen wies.

Mit einem Lachen und einem, nicht ganz vielversprechenden Blick ließ Haruki Akaashi in die Ungewissheit laufen und setzte nur ein leises „Das wirst du dann sehen" hinterher, was Keiji zweifeln ließ, ob diese Entscheidung gerade tatsächlich klug gewesen war.
Andererseits konnte er auch nicht wirklich ablehnen, da nahezu schon von ihm erwartet wird, dass er dort aufkreuzt.
Bokuto hätte dem sicherlich auch nicht ganz so leicht hingegeben und ihn notfalls vermutlich sogar dorthin geschliffen.
So war dies wohl die einfachste Lösung.

Auf dem Weg zum Klassenraum stieß Akaashi erneut ein Seufzen aus, als er aus den Fenstern blickt und dort noch die anderen Schüler sitzen sah, wie sie ihr Frühstück genossen oder sich ganz einfach mit ihren Freunden oder Mitschülern unterhielten.
Die Vorfreude und Begeisterung, welche ihn zuerst übermannte endlich was anderes zu machen, als im Krankenhaus Zeit totzuschlagen verließ ihn so langsam.
Der Schulalltag war längst nicht so interessant, wie er sich erhofft hatte.

Von Tag zu Tag überlegte Keiji, ob er nicht irgendetwas tun könnte, irgendwas anderes, was ihm vielleicht Spaß machen würde.
Das einzige, was er bis jetzt jeden Tag tat, war dem Volleyballteam beim Training zuzusehen und Aufgaben aus dem Unterricht zu lösen.
Viel mehr Möglichkeiten gab es bisher nicht wirklich, da seine Eltern nicht sehr oft Zuhause waren war er meist an Bokutos Hand gefesselt und hatte nicht unbedingt die Chance etwas anderes zu unternehmen, als Volleyball.
Das Ganze schien ihn langsam zu nerven, das Adrenalin zu spüren, bei dem Schlag auf den Ball oder ähnliches war eine Sache, aber den ganzen restlichen Nachmittag auf einer Bank zu sitzen und sich anzuhören, wie begeistert der Kapitän von sich selbst ist und auch das Team jedes Mal zu loben scheint, bei einem recht gut gespielten Ballwechsel nagte langsam an Keijis Nerven.
Jeden Tag war es dasselbe, zwar verwendeten sie neue Techniken und Strategien, und auch die Punktevergabe ist jedes Mal anders, doch im Prinzip war es für ihn immer gleich.
Er sah einfach zu und tat im Endeffekt gar nichts.

Erneut begann das Training, wie so jeden Tag.
Koutarou stürmte nahezu in die Umkleide und war innerhalb von Sekunden in seinen Sportklamotten, während Keiji gerade seine Tasche abgelegt hatte.
Auffordernd, sich zu beeilen starrte Bokuto dem schwarzhaarigen entgegen, als er dabei war seine Sportsachen rauszusuchen.
„Du kannst ruhig schon vorgehen, umziehen kann ich mich soweit schon alleine."
Entgegen des monotonen Ausdruckes in Akaashis Gesicht nickte die begeisterte Eule etwas übertrieben und verschwand unter den kurzen Worten „In Ordnung!" aus der Umkleidekabine.

In vollkommener Stille, da nun auch der letzte des Teams den Raum verlassen hatte, durchzuckte ein Gedanke den schwarzhaarigen.
Warum sollte er denn erneut ganze vier Stunden oder länger in dieser Halle sitzen und den anderen dabei zusehen, wie sie sich an den Rand der Erschöpfung kämpften?
Warum sollte er nicht einfach etwas machen, das ihm mehr Spaß machen würde?
Mit entschlossenem, jedoch auch zögerlichem Seufzen griff er nach seiner Tasche und begab sich aus dem Raum.
In der Ferne waren bereits starke Schläge und ständiges Quietschen zu hören, was darauf hinwies, die anderen haben bereits begonnen zu trainieren.
Unter leisen Schritten schlich Akaashi an der erdrückenden Luft der Halle vorbei und versuchte ungesehen die Schule verlassen zu können.
Sein Herz begann zu rasen.
Zwar war ihm vollkommen bewusst, dies war wohlmöglich die dümmste Idee, der derzeitigen Situation und er würde den anderen Sorgen bereiten und nicht zuletzt vermutlich Koutarou den ganzen Ärger einhandeln, jedoch konnte er sich nicht davon abhalten, den Schulgrund zu verlassen und in die Innenstadt zu flüchten.

Eine gewisse Panik überfiel den schwarzhaarigen, je weiter er sich vom Schulgebäude entfernte und je näher er der Masse an Menschen kam, die die Gassen der Innenstadt füllte.
Leichte Magenschmerzen breiteten sich in ihm, jedoch auch ein Kribbeln durchzuckte diesen, da der Nervenkitzel zu groß war, als das er hätte umkehren können.
Trotz der Schuldgefühle, die ihn bereits jetzt schon übermannten, war Keiji erleichtert und aufgeregt, alleine durch einen Ort zu streifen, den er nicht mehr kannte.

Irgendwie fühlte er sich frei, frei vonallen Belastungen, die auf ihm ruhten.


Owlways Keep FightingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt