Kapitel 2 | Der Plan

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„Wow", Holly presste ihre Stirn gegen das kühle Leder des Lenkrads. Ihr Kopf fühlte sich schwer an und ihr war übel. Für einen Moment glaubte sie, sich übergeben zu müssen. Sie kurbelte das Fenster ihres alten VW Polos herunter und atmete die staubige Londoner Stadtluft ein. Es ging ihr dadurch nicht wirklich besser, aber der kalte Wind tat gut und so erlaubte sie sich einen kurzen Moment mit geschlossenen Augen in dieser Position zu verweilen, bevor sie in die Realität zurückkehrte.

Tom! Tom Hiddleston wollte, dass sie für ihn arbeitete. Unwillkürlich stieß sie einen spitzen Schrei aus. Sie musste träumen. Ausgerechnet der Mann, den sie wie keinen zweiten auf der Welt hasste, wollte sie in seinem Team! Und ganz offensichtlich erinnerte er sich nicht einmal mehr an sie. Holly spürte erneut Wut in sich aufsteigen. Wie viel Zeit war nach ihrer letzten Begegnung vergangen? Fünfzehn Jahre? Holly überschlug im Kopf die Zahlen und biss dabei auf ihrer Unterlippe herum. Es war zugegebenermaßen eine schreckliche Angewohnheit, aber in Anbetracht ihrer momentanen Situation absolut notwendig. Fünfzehn lange Jahre waren vergangen und trotzdem fühlte sie sich plötzlich wieder als sei sie sechzehn. Holly stöhnte auf und verdrängte das Bild des 16-jährigen Teenagers schnell aus ihrem Gedächtnis. Diese Holly existierte nicht mehr. Sie war keine kleines, dummes Mädchen mehr. Ganz im Gegenteil, sie war erfolgreich, gutaussehend, intelligent, charmant - eine Gewinnerin und auch Tom Hiddleston konnte daran nichts ändern. Entschlossen drehte sie den Schlüssel im Zündschluss herum, als ihr Handy plötzlich zu vibrieren begann. Ein Blick auf den Bildschirm ließ das neugewonnene Selbstbewusstsein jedoch sogleich in tausend Scherben zerspringen.

„Dinner, Samstagabend. Ich hole Sie ab, 19 Uhr. Tom."

Holly starrte auf das Display und verzog das Gesicht in Anbetracht des unterkühlten Tonfalls der Nachricht.

„Ich muss meinen Therapeuten anrufen", murmelte sie und startete seufzend den Wagen.



Missmutig schielte Holly auf die halbvolle Flasche Rotwein, die auf ihrem Schreibtisch stand und dann zurück auf den hellen Computerbildschirm. Es war Freitagabend. Sie kniff die Augen zusammen und rieb sich die Schläfen. In ihrem Kopf hämmerte es. Die letzten zwei Stunden hatte sie damit verbracht Toms Namen in alle möglichen Internet-Suchmaschinen einzugeben, Artikel zu lesen, Videos zu streamen, Bilder anzuschauen und Wein zu trinken. Es war nicht so, dass Holly nicht wusste, was Tom in den letzten fünfzehn Jahren getrieben hatte. Ganz im Gegenteil. In Großbritannien war es fast unmöglich ein Boulevard-Magazin aufzuschlagen ohne dass einem sein perfektes Lächeln entgegensprang. Mechanisch klickte sie sich durch die Webseiten und blieb dann schließlich an einem Bild von Tom und Taylor Swift hängen. Holly öffnete den Link an und überflog den Artikel hastig. Was zum Teufel? Offensichtlich bandelte Tom seit kurzem mit Taylor Swift an. Sie stöhnte verächtlich. Was für ein oberflächlicher Idiot. Sie hatte Taylor Swift noch nie leiden können. Die Frau konnte nicht singen und sah aus wie ein verdammtes Gerippe. Es sah Tom eigentlich gar nicht ähnlich sich mit ihr und ihren zurückgebliebenen Freunden einzulassen, dachte Holly unwillkürlich und fixierte nachdenklich den Bildschirm. Sie starrte auf ein Foto, das Taylor und Tom knutschend am Meer auf einem Felsen zeigte. Sie sahen verliebt aus. Holly zoomte das Bild heran und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Tom sah glücklich aus. Die junge Frau presste die Lippen aufeinander und blickte auf das unscharfe Foto. Sie wusste nicht mehr, wie es sich anfühlte glücklich zu sein. Seit sie 17 Jahre alt war, bestand ihr Leben aus Depressionen, Alkohol, Therapien und Selbsthass. Dass sie heute beruflich erfolgreich und psychisch einigermaßen stabil war, hatte sie unzähliger Therapiestunden zu verdanken. Langsam schloss Holly die Augen und dachte nach. Das war ihre Chance sich an Tom zu rächen. Ihr Herz schlug unwillkürlich schneller. Er wollte sie in seinem Team! Als Leiterin seiner PR-Abteilung hätte sie uneingeschränkten Zugang zu seinem beruflichen Leben. Sie könnte viel Zeit mit ihm verbringen, herausfinden, was ihm wichtig war, sein Vertrauen gewinnen, um ihn dann dort zu treffen, wo es richtig weh tat.

Keep your friends close, but your enemies closer.

Holly murmelte das Zitat halblaut vor sich hin und lächelte plötzlich. Hier war nach all der langen Zeit ihre Gelegenheit dem Mann weh zu tun, der einen Teil ihres Lebens zur Hölle auf Erden gemacht hatte. Worauf wartete sie also noch? Dieses Jobangebot war das Beste, was ihr passieren konnte. Hollys Grinsen wurde zunehmend breiter, während der Plan in ihrem Kopf Gestalt annahm. Gott, sie würde dafür sorgen, dass Tom alles verlor, was ihm lieb und teuer war. Und gleich morgen würde sie damit anfangen.

Vor Aufregung zitternd klickte sie die nächste Seite auf ihrem Computerbildschirm an.

„Shit", Holly biss sich auf die Lippe, als sie den Cursor über ein Foto gleiten ließ, das Tom mit freiem Oberkörper beim Joggen am Strand zeigte. Verdammt, sah dieser Mann heiß aus. Schmerzliche Vergangenheit hin oder her - Toms Erscheinungsbild war atemberaubend. Widerwillig wanderte ihr Blick auf seinen trainierten Oberkörper und verweilte gefährlich lange auf dem durchaus beeindruckenden SixPack. Holly stöhnte innerlich auf. Okay, Tom sah gut aus. So what? Natürlich blieb er trotzdem ein Idiot. Nichtsdestotrotz erlaubte sich Holly für eine halbe Sekunde den Gedanken daran, was passiert wäre, wenn sie Tom unter anderen Umständen kennengelernt hätte. Was würde sie dann jetzt wohl für ihn empfinden? Als Antwort spürte sie fast augenblicklich ein angenehm vertrautes Ziehen in der Leistengegend. „Oh, bitte nicht! Reiß dich zusammen!", fluchte sie flüsternd und schlug verzweifelt die Beine übereinander. Für einen winzigen Moment liebäugelte Holly mit dem absurden Gedanken, sich an Ort und Stelle Erleichterung zu verschaffen, nur um ihn dann sofort wieder zu verwerfen. „Verdammt!" Hastig führte sie das Glas an ihre Lippen und trank gierig den letzten Schluck Rotwein. „Ich hasse dich, Tom!", flüsterte Holly kaum hörbar. Dann klappte sie den Laptop zu und ging ins Bad, um eine kalte Dusche zu nehmen.



„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?" Charlotte nippte an ihrem Weißwein und musterte die schlanke Gestalt vor dem Spiegel eindringlich, während sie gelangweilt durch eines der Fashion-Magazine blätterte, die Hollys gesamtes Bett sowie einen Teil des Fußbodens bedeckten. Sie war ganz und gar nicht begeistert von dem Plan ihrer besten Freundin und fühlte sich als Hollys engste Vertraute verpflichtet ihr ins Gewissen zu reden.

„Ich meine, Tom f.u.c.k.i.n.g Hiddleston!" Charlotte machte eine übertrieben dramatische Geste mit ihren Armen und betonte jede einzelne Silbe theatralisch. Holly, du hasst den Kerl, seit du sechzehn bist!"

„Na und!" Holly unterbrach den Kampf mit ihrem hautengen schwarzen Etuikleid für einen Moment, um ihrer Freundin einen bösen Blick zuzuwerfen. „Jetzt bin ich 31 und Tom kann mir nichts mehr anhaben! Ich bin erwachsen, Char. Kein kleines Kind mehr!

„Er wird dir wieder wehtun, Holly!" Charlottes Tonfall hatte jetzt etwas Flehendes an sich. Sie war offensichtlich tatsächlich besorgt.

„Das lasse ich nicht zu. Nicht noch einmal. Dieses Mal sitze ich am längeren Hebel." Holly zwinkerte Charlotte selbstsicher zu und strich triumphierend das schwarze Designerkleid glatt. Auch ohne in den Spiegel zu schauen wusste die junge Frau, dass sie fantastisch aussah. Die Arbeit der letzten Stunden hatte sich gelohnt. Das lange rotblonde Haar fiel ihr in großen Wellen über die nackten Schultern und das hautenge schwarze Ralph Lauren-Kleid betonte ihre weibliche Figur an genau den richtigen Stellen. Das Make-up war bis auf die roten Lippen und schwarzen Wimpern dezent gehalten und half dabei Hollys natürlich schönen Gesichtszüge perfekt zu unterstreichen.

„Du bist wunderschön", Charlotte legte das Magazin beiseite und schaute ihre beste Freundin unverwandt an. Ihr Blick hatte etwas Trauriges an sich. „Tom ist ein Idiot. Vergiss das bitte nicht."

„Ich weiß", Holly seufzte leise und sank neben Charlotte auf die Bettkante nieder. „Aber ich muss das jetzt tun. Sieh es einfach als Art Therapieversuch", sagte sie betont gelassen, obwohl ihr eigentlich gar nicht danach war. Vielleicht wollte sie Charlotte beruhigen, vielleicht auch nur sich selbst.

„Versprich mir einfach, dass du vorsichtig bist, okay?"

Holly lächelte schwach.

„Versprochen", flüsterte sie und umarmte ihre Freundin.

Schatten der Vergangenheit [Tom Hiddleston] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt