Ungeduldig sah Tom nun bereits zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit auf seine Armbanduhr und stöhnte. Er stand etwas abseits an einem privaten Abflug-Gate des Londoner Heathrow Airports und wartete ungeduldig auf Holly ... nein ... Grace. Er war immer noch befremdlich, ihren neuen Namen zu denken, geschweige denn ihn laut auszusprechen.
Tom hatte nach dem ersten Treffen mit Holly im Hotel vergeblich versucht etwas über Grace Parkers Verschwinden in Erfahrung zu bringen. Ihr Name tauchte in keinem offiziellen Dokument mehr auf, das er von ihr erhalten hatte: Ausweis, Sozialversicherungsnummer, Führerschein – alles war ausgestellt auf eine rotblonde, zierliche Frau namens Holly Clark. Er konnte sich nicht erklären, was Grace zugestoßen war. In seiner Verzweiflung hatte Tom sogar versucht, ihre Eltern in Schottland ausfindig zu machen – ohne Ergebnis.
Grace existierte nicht mehr. Die Frau, die er einst geliebt hatte, war offiziell von der Erdoberfläche verschwunden.
Es dauerte noch einmal fünfzehn Minuten, bevor Tom Hollys schlanke Gestalt am Flugschalter am anderen Ende der großen Halle entdeckte. Sie zerrte einen sperrigen schwarzen Koffer hinter sich her und blickte sich suchend in der Halle um. Offensichtlich hatte sie keine Ahnung, was sie mit sich anfangen sollte. Tom hob eine Hand in der Hoffnung Holly würde ihn sehen, doch diese wandte sich bereits wieder ab, um ihr Handy aus der Manteltasche zu fingern. Tom setzte sich in Bewegung und verfiel nach ein paar Schritten in ein leichtes Joggen. Er wollte nicht nach ihr rufen, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Das letzte was er jetzt gebrauchen konnte, waren Fans oder Paparazzi.
Er musterte die junge Frau am Schalter, während er auf sie zu lief. Holly trug einen cognacfarbenen Mantel, dessen Gürtel in der Taille fest zusammengeknotet war. Ihre rotblonden Haare steckten unter einer modischen blauen Kappe, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Dazu trug sie dunkelbraune Lederhandschuhe. Es war immer noch eiskalt in London. Holly stand mit dem Rücken zu Tom, als er sie erreichte. Vorsichtig streckte er seine Hand aus und berührte leicht ihre Schulter.
Jetzt passierte eine Reihe von überraschenden Dingen gleichzeitig. Holly fuhr zusammen und stieß dabei einen undefinierbaren Laut aus, der Tom bis ins Mark erschütterte. Sie stolperte vorwärts, um der Berührung zu entkommen. Dabei glitt ihr das Handy aus der Hand und schlug unüberhörbar auf dem harten Boden auf. Instinktiv schnellte ein Arm schützend vor ihr Gesicht, mit dem anderen schlug sie blindlings in seine Richtung.
„Hey!", Tom ergriff energisch ihren Arm und zwang sie ihn anzusehen. Sie zitterte am ganzen Körper.
„Ich bin es doch nur, Tom". Holly starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, ihre Finger waren zu Fäusten geballt - bereit einen Angreifer abzuwehren. Vorsichtig ließ Tom sie los und trat mit erhobenen Händen einen Schritt zurück.
„Meine Güte, Holly. Ich wollte Sie nicht erschrecken." Er schaute sie entschuldigend an und legte die Stirn in Falten. Hollys Augen waren immer noch weit aufgerissen, ihr Gesicht wirkte leichenblass.
„Oh Gott, Tom. Es tut mir leid ... ich wollte nicht ... ich dachte...," ihre Stimme zitterte, als sie die Entschuldigung stammelte. Nervös machte Holly einen Schritt in Toms Richtung, streckte unbeholfen eine Hand nach ihm aus, zog den Arm dann aber schnell wieder zurück. Er fiel schlaff an ihrer Seite herunter.
Beide schwiegen und starrten einander an. Die Stille nagte an Holly wie ein Raubtier an seiner Beute. Zweimal räusperte sie sich, um etwas zu sagen, verstummte jedoch sofort wieder. Er musste denken, dass sie völlig übergeschnappt war und wer konnte es ihm verübeln? Tom, der seine Fassung schneller zurückgewonnen hatte, nahm schließlich wortlos ihren Koffer, hob das Handy auf und bedeutete der jungen Frau mitzukommen.
Auf dem Weg zum privaten Gate versuchte er Holly in ein Gespräch zu verwickeln. Betont locker ging Tom Termine für L.A. mit ihr durch, erklärte ihr den Ablauf der nächsten Tage, fragte sie etwas zu den getroffenen Vorbereitungen für die Reise. Holly nickte, sofern sie die Antwort wusste, oder schüttelte einfach den Kopf. Ansonsten blieb sie still und stolperte neben Tom durch die riesige Abflughalle. Zweimal strauchelte sie und drohte zu fallen, bis Tom schließlich ihre Hand ergriff und sie festhielt. Holly ließ es geschehen.
Erst als sie eingecheckt hatten und die junge Frau sich schließlich in einen der riesigen weißen Ledersessel der Privatmaschine fallen ließ, entwich in einem tiefen Seufzer der Atem aus ihrer Brust, der sich dort angestaut hatte.
„Hier", wie aus dem Nichts tauchte Tom vor ihr auf. In der einen Hand hielt er Hollys ramponiertes Smartphone. Es hatte den Sturz ganz offensichtlich nicht überlebt. Sie stöhnte innerlich auf. Verdammt. In der anderen Hand blitze ein durchsichtiges Glas. Holly konnte die braune Flüssigkeit nicht genau zuordnen, sie war sich aber ziemlich sicher, dass es Alkohol war. Gierig griff sie nach dem Glas, als er es ihr reichte und nahm einen großen Schluck. Die Flüssigkeit brannte in ihrer Kehle wie Feuer, trotzdem fühlte Holly sich augenblicklich besser. Tom ließ sich auf den Sitz neben sie fallen und musterte seine Assistentin eindringlich.
„Erzählen Sie mir, was das gerade war?" Sein Ton war gelassen aber bestimmt. Holly presste die Lippen aufeinander.
„Ich habe mich erschrocken, weiter nichts", sie rang sich ein Lächeln ab. Toms Miene wurde ernst.
„Ich glaube, wir wissen beide, dass gewöhnliche Schreckhaftigkeit anders aussieht, Ms. Clark. Er ließ ihren Namen langsam von seiner Zunge rollen. Holly schluckte schwer und wandte den Blick ab.
„War das eine Panikattacke," Tom blieb hartnäckig, „wie neulich vor dem Restaurant?" Sein Blick wurde ein wenig finsterer.
„Holly, gibt es da etwas, das ich wissen muss, jetzt da Sie für mich arbeiten?"
Da war sie, die Gelegenheit, auf die Holly insgeheim gewartet hatte. Unvermittelt schossen ihr Tränen in die Augen. Plötzlich wollte sie nichts lieber als Tom alles zu beichten. Holly sehnte sich auf einmal danach in seiner Umarmung zu versinken und alles Böse, das ihr wiederfahren war, zu vergessen. Sie dachte daran, wie sich seine Lippen auf ihren angefühlt hatten, als sie ihn geküsst hatte.
Aber sie konnte sich ihm nicht offenbaren. Er war gegangen. Tom hatte sie verlassen. Er hatte sie sich selbst überlassen. Wut stieg in Holly auf. Schnell sprang sie auf und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht.
„Hören Sie, Mr. Hiddleston", ihre Stimme zitterte und sie musste sich an der Sitzlehne festhalten, um nicht einzuknicken. „Ich bin lediglich schreckhaft und kann nicht gut mit Menschenmassen umgehen. Ist das ein Verbrechen?" Holly gefiel es, wie sicher sich ihre Stimme nun anhörte. Selbstbewusst verschränkte sie die Arme vor der Brust und kniff die Augen zusammen.
„Wovor hast du Angst?" Toms Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Er wirkte so ruhig, aber Holly wusste, dass er im Begriff war die Beherrschung zu verlieren.
Wovor hast du Angst, Holly?", presste er erneut hervor und stand auf, um sie anzuschauen. Instinktiv wich Holly einen Schritt zurück.
„Das ist doch albern", sie hob abwehrend die Hände und wollte sich an ihm vorbeidrängen. Er hielt sie fest. Holly lachte hysterisch auf und presste ihre Fäuste gegen seine Brust.
„Lassen Sie mich los", ihre Stimme glich einem Quietschen. Tom lockerte seinen Griff und Holly stürmte an ihm vorbei in Richtung Ausgang. Die Flugzeugstür war bereits verschlossen. Suchend blickte Holly umher. Die Stewardess hatte sich in das Cockpit zurückgezogen, um mit den Piloten alles für den Start vorzubereiten. Holly war gefangen. Panik stieg in ihr auf.
„Wovor hast du Angst, Grace?"
Holly erstarrte, als sie ihren Namen aus seinem Mund hörte. Das ist nicht möglich, hämmerte es in ihrem Kopf. Tom wusste, wer sie war.
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Schatten der Vergangenheit [Tom Hiddleston]
RomanceHolly Clark war sich einer Sache völlig sicher: Sie hasste den Mann mit jeder Faser ihres Körpers. Fünfzehn lange Jahre waren vergangen, seit er ihr Leben zur Hölle auf Erden gemacht hatte. Niemals wollte sie ihn wiedersehen müssen. Als sie jedoch ü...