Julien's Sicht
Stille. Ich hatte erwartet, dass Dima jetzt angewidert reagieren würde oder einfach ging. Aber nichts dergleichen. Er grinste mich an. "Okay. Cool. Warum sollen deine Eltern das nicht wissen?"
"Mein Vater hat was dagegen. Er würde mich rausschmeißen. Und wie meine Mutter reagieren würde weiß ich nicht. Aber es ist besser so." Dima sah mich aus seinen dunklen Augen an. "Wie ist das eigentlich bei dir? Hast du Geschwister oder bist du Einzelkind?", versuchte ich das Thema zu wechseln.
"Ich bin Einzelkind. Aber meine Eltern sind tot, darum wohn ich mit meinem ..äh.. Cousin und Freunden. Das ist also fast wie Geschwister.", erklärte er beiläufig. "Tut mir leid für dich.", brachte ich nur hervor. "Warum? Das ist voll cool. Mein Cousin ist manchmal ein bisschen zu ernst und er kann echt streng sein, aber meistens ist er voll ok.", kam Dima's ungerührte Antwort. "Bist du nicht traurig wegen deinen Eltern?", hakte ich etwas ungläubig nach.
"Nö. Meinen Vater kannte ich eh nicht. Und meine Mum mochte mich nicht. Außerdem ist das schon voll lange her.", rechtfertigte Dima sich. "Achso.", antwortete ich leicht geschockt darüber, dass in seiner Stimme ein fröhlicher Unterton mitschwang. 'Ich glaub er psychisch gestört. Oder traumatisiert. Vielleicht ist was schlimmes passiert. Soll ich ihn fragen?'
Während ich so in meinen Gedanken vertieft dasaß hatte ich nicht gemerkt, Dima aufgestanden und zu meinem Fenster herüber gelaufen war. Seine Frage 'Wo wir Mika eigentlich her hatten' erschreckte mich, verständlicher Weise, mehr als ich zugeben würde.
"Meine Mum arbeitet im Tierheim. Vor ungefähr einem Jahr hat sie Mika mitgebracht.", überspielte ich meinen kurzzeitigen Schock und stellte mich neben Dima ans Fenster. Zusammen beobachteten wir, wie Mika vergeblich versuchte einen Schmetterling zu fangen.
Einige Minuten standen wir einfach schweigend nebeneinander. "Ich will auch einen Hund. Aber Juri hasst Hunde. Darum hat Sergej das verboten. Ich bin immer noch dafür, dass wir einfach Juri rausschmeißen und uns dann einen Hund holen. Aber die anderen sind dagegen.", durchbrach Dima plötzlich die Stille.
Etwas verwirrt sah ich zu ihm herüber. Ich wusste nicht ob ich antworten sollte oder nicht also blickte ich ihn relativ neutral an. Dima schien das nicht zu bemerken. Er starrte weiterhin in den Garten. Sein Blick wirkte leicht verträumt. Als hätte er gar nicht mitbekommen, das er gerade etwas gesagt hatte.
Mich damit zufriedengebend, dass Dima es wohl wirklich nicht bemerkt hatte, wandte ich mich wieder Mika zu.
Sie rannte immer noch einem Schmetterling hinterher, obwohl es für sie beinahe unmöglich war ihn zu erwischen. Als sie unter meinem Fenster herlief hielt sie plötzlich abrupt an.Mika's Ohren stellten sich auf und ihr Kopf schnellte suchend umher. Letztendlich blieb ihr Blick auf Dima und mir hängen. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und sie zeigte bedrohlich ihre Zähne. Selbst durch das Fenster zwischen uns war ihr Bellen laut zu hören.
In der Hoffnung, dass sie sich wieder beruhigen würde, entfernte ich mich langsam aus ihrem Blickfeld und zog Dima mit mir. Wir setzten uns wieder auf mein Bett.
Dima sah etwas niedergeschlagen aus. Doch bevor ich ihn fragen konnte, was los war, begann er bereits zu sprechen:"Meinst du Mika gewöhnt sich an mich?" "Ähhm.", machte ich nur. Ehrlich gesagt glaubte ich eher weniger daran, dass die Akita Inu ihre Einstellung gegenüber Dima so schnell änderte. Ich wollte gerade etwas intelligenteres und vielleicht sogar hilfreiches antworten, da fuhr Dima schon fort. "Wir hatten auch mal einen Hund. Aber nicht für lange. Meine Mutter hat ihn wegegeben nachdem sie..." Dima brach ab. "Ist egal. Ich mag einfach Hunde."
Er wollte weiter reden, da vibrierte sein Handy. Dima wurde merklich angespannter und etwas Farbe wich aus seinem Gesicht als er auf den Bildschirm sah. "Ähm.. Ich muss da kurz rangehen", nuschelte er und verließ den Raum. Ich hatte nicht sehen können wer angerufen hatte, aber durch unser Gespräch war ich schon etwas neugierig geworden. Meine Zimmertür stand ein wenig offen und ich konnte hören, wie Dima den Flur auf und ab lief.
Seine Stimme klang nur dumpf durch die Tür, weshalb ich bloß Bruchstücke hören, welche ich aber ohnehin nicht Verstand. "У соседй.", zischte Dima hektisch in sein Handy. Daraufhin wurden seine Schritte wieder leiser. Ich hatte keine Ahnung was es bedeutete, doch Dima klang etwas aufgebracht. "Однако, я тороплюсь их имеют собаку.", seine Stimme näherte sich wieder meinem Zimmer und vor meiner Tür stoppten die Schritte.
Kurz darauf öffnete sich die Tür ein Stück weiter und Dima steckte seinen Kopf durch den Spalt. "Ich muss gehen. Mein Cousin hat gerade angerufen." Er wirkte plötzlich viel schüchterner als noch vor 5 Minuten, wenn mich nicht alles täuschte klang er sogar etwas ängstlich. Ich nickte nur und stand auf. "Ich bring dich runter. Dann kann ich auch gleich Mika reinholen." In Gedanken überlegte ich bereits wie ich Mika von Dima fernhalten konnte, damit er unbeschadet unseren Garten durchqueren konnte.
An der Haustür wies ich Dima an erst einmal zu warten, bis ich mich um Mika gekümmert hatte. Die Akita Inu lag unter ihrem Lieblingsbaum und schien zu schlafen. Ich beugte mich zu ihr runter und strich sanft durch ihr weißes Fell. Sie wachte nicht auf und regte sich auch sonst nicht. Das reichte mir eigentlich schon und ich ging zurück zu Dima. "Mika schläft. Du kannst also durch den Garten gehen.", informierte ich ihn. "Okay. Vielleicht sehen wir uns ja nochmal. Oder du schreibst mir einfach.", verabschiedete er sich und schwang sich wie zuvor über den Gartenzaun.
Ich drehte mich wieder um und ging zurück in mein Zimmer. Da ich nichts zutun hatte, setzte ich mich an meine Hausaufgaben. Jedoch gab ich es nach 20 Minuten auf. Ich konnte mich einfach nicht auf die Berechnung von Parabeln konzentrieren, welche meiner Meinung nach sowieso vollkommen überflüssig waren.
Aus Langeweile beschloss ich Gio anzurufen. Vielleicht war heute ja noch etwas interessantes passiert. Ich griff nach meinem Handy und wählte seine Nummer. Nach gefühlten Stunden meldete er sich dann endlich zu Wort. "Weißt du wie spät es ist?", ertönte seine verschlafene Stimme am anderen Ende der Leitung. "Nein. Wieso?", fragte ich etwas überrascht. "Wir haben 23 Uhr und schreiben Morgen eine Klausur. Lass mich schlafen.", war seine Antwort bevor er einfach auflegte. Etwas perplex darüber, dass es schon so spät war und dass ich Morgen anscheinend eine Klausur schrieb starrte ich aus meinem Fenster. Tatsächlich war es dunkel draußen. Warum hatte ich das nicht bemerkt, als ich Dima rausgebracht hatte?
Einen weiteren Moment überlegte ich, ob ich vielleicht noch etwas lernen sollte. Jedoch entschied ich mich dagegen, da Gio mir nicht gesagt hatte in welchem Fach wir Morgen die Klausur schrieben. Also machte ich mich bettfertig, stellte meinen Wecker ein und legte mich hin.
Ich konnte jedoch nicht einschlafen. Immer wieder holte ich mein Handy hervor um die Uhrzeit zu überprüfen. Als ich dann nach 2 Stunden endlich einigermaßen weggedämmert war ging meine Tür auf. Durch das grelle Licht, welches in mein Zimmer strömte, war ich sofort wieder hellwach. Die schuldige Person kam auf mich zu. Trotz meiner zusammengekniffenen Augen konnte ich allmählich meine Schwester erkennen.
"Julien? Bist du wach?" Verwirrt nickte ich bloß. "Gut. Wir müssen reden."
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Mach die Augen auf
Fanfic"Schließe am letzten Tag jeden Monats deine Jalousien oder Vorhänge, bevor du schlafen gehst. Wenn du in der Nacht klopfende Geräusche an deinem Fenster hörst, öffne nicht deine Augen. Wenn du einer der Pechvögel bist, wirst du diesen Ton irgendwann...