Chapter Two

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Julien's Sicht


Anstatt seinen Garten zu durchqueren und über den Bürgersteig in meinen zu kommen, schwang Dima sich locker über den fast schulterhohen Zaun. Etwas beeindruckt, da er nicht wirklich aussah, als wäre er besonders stark, sah ich ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Als Dima meinen Blick bemerkte senkte er seinen Kopf etwas und nuschelte undeutlich vor sich hin. Bei dem Anblick musste ich schmunzeln. Es war irgendwie niedlich wie er versuchte sich deswegen vor mir zu rechtfertigen.

Um nicht länger blöd in der Gegend rumzustehen nahm ich seine Hand und zog ihn hinter mir her ins Haus. In dem kleinen Flur bei unserer Garderobe versperrte Mika uns den Weg. Ich merkte wie Dima hinter mir zusammenzuckte als die Akita Inu anfing gefährlich zu knurren. Ich verstand diese Reaktion nicht. Dass sie keine Fremden mag war nämlich gelogen. Eigentlich war sie sehr kontaktfreudig und mochte neue Leute auf anhieb. Nur Dima nicht.

Damit Niemand zu Schaden kam entschloss ich mich kurzerhand dafür Mika auszusperren. "Geh schon mal den Flur entlang zur Treppe. Ich komm gleich nach.", wies ich Dima an. Dieser nickte schnell und ging dann in die entgegengesetzte Richtung von Mika davon. Ohne lange zu zögern schnappte ich nun die immer aggressiver werdende Hündin und zerrte sie in den Garten.

Sobald wir das Haus verlassen hatten war sie jedoch wie ausgewechselt. Hatte sie eben noch knurrend und bellend um sich geschnappt, so verhielt sie sich jetzt als wäre nichts gewesen. Stattdessen trottete sie gemütlich rüber zu ihrem Lieblingsplatz unter unserem Apfelbaum. Dort legte sie sich auf den Rasen und schlief einfach ein.

Kopfschüttelnd betrat ich wieder unser Haus. Ich lief durch den engen und viel zu vollgestellten Flur bis zur Treppe, an der Dima schon wartete. Er war gerade dabei energisch auf seinem Handy rumzutippen. Als er mich bemerkte blickte er jedoch auf.

"Wo hast du Mika hingebracht?", wollte er wissen. "Sie hat sich im Garten hingelegt. Keine Sorge.", entgegnete ich bloß. "Du hättest sie nicht raussperren müssen. Sie hätte sich bestimmt an mich gewöhnt." Anscheinend hatte er ein schlechtes Gewissen, weil Mika jetzt solange er hier war draußen bleiben musste. Um schnell das Thema zu wechseln schlug ich vor hoch in mein Zimmer zu gehen. Dima willigte ein und so gingen wir nacheinander die schmale Treppe hoch.

Unser Haus war aufgebaut wie fast jedes in dieser Straße. Es hatte einen Garten, der das ganze Haus umschloss und einen Vorraum zwischen Haustür und Flur, von welchem aus man direkt in die Küche gehen konnte. Neben der Küche waren unten noch 1 Badezimmer und das Wohnzimmer. Oben befanden sich ebenfalls 1 Badezimmer und 3 Schlafzimmer. In einem davon schliefen meine Eltern, ich musste mir eins mit meinem 5-jährigen Bruder Fabi teilen und das Zimmer daneben gehörte meinen Schwestern.

Das Verhältnis zu meinen Geschwistern war nicht unbedingt das beste, aber ich legte da eh nicht so viel Wert drauf wie manch anderer. Fabi und Lara waren einfach zu klein, als das ich etwas mit ihnen machen könnte und Mia und ich konnten uns nicht mehr leiden. Dafür waren wir uns einfach zu ähnlich.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen sah ich wie sich die Zimmertür meiner Schwestern öffnete und meine große Schwester das Zimmer verließ. Wenn man vom Teufel sprach. "Hey, Julien. Wer ist das denn? Ich dachte du wärst unfähig mit anderen Menschen zu interagieren." Noch etwas, dass mich an ihr störte, immer wenn sie mit mir redete hatte sie ein unnormal falsches Lächeln aufgesetzt. Es machte mich jedes mal aggressiv. "Das ist Dima. Er wohnt nebenan.", antwortete ich ohne auf ihre Sticheleien einzugehen. "Aha." Als ich gerade dachte, sie würde jetzt gehen und uns endlich vorbeilassen fuhr Mia fort:"Irgendwie niedlich. Sieh zu, dass du ihm nicht so sehr wehtust." Lachend quetschte sie sich nun an uns vorbei, auf die Treppe. Dabei schenkte sie Dima ein breites Grinsen, welches er etwas eingeschüchtert erwiderte.

Ein amüsiertes Grinsen legte sich auf ihre Lippen und sie hauchte einen Kuss in seine Richtung, bevor sie sich umdrehte und die Treppe runter stolzierte. Aus irgendeinem Grund störte mich das. Ohne darüber nachzudenken rief ich ihr hinterher:"Wann willst du Mum und Dad eigentlich von deinem 'Freund' erzählen? Oder schleichst du gerne nachts durchs Haus?"

Sie blieb auf der Mitte der Treppe stehen und drehte sich langsam zu uns um. In ihren Augen, welche normalerweise keine Emotionen ausdrückten, spiegelte sich eine Mischung aus Wut und Schock, aber auch etwas, das ich als ihre natürliche Arroganz beschreiben würde, wieder. Es war ein ungewohnter Anblick, zusehen wie meine sonst so gefühlskalte und gefasste Schwester so viele Emotionen zeigte. Nach einer kurzen Schrecksekunde änderte sich ihre Mimik jedoch schlagartig. Ihre blauen Augen wurden wieder kalt und ihr Gesicht hatte den Überheblichen Ausdruck, den ich gewohnt war.

"Ich weiß nicht, was du dir da mal wieder einbildest, aber wenn du weißt was gut für dich ist hältst du die Fresse." Mia's ruhige Stimme strahlte eine Selbstsicherheit aus, die sie immer hatte, wenn sie dachte mir überlegen zu sein. Ich zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. "Ich mein ja nur. Was denkst du würden sie wohl dazu sagen, wenn sie wüssten, was du hinter ihrem Rücken alles machst?" Daraufhin stieß sie ein herablassendes Lachen aus. "Ich glaub nicht, dass du mir mit irgendetwas drohen kannst. Aber wie glaubst du würde Dad reagieren wenn ich ihm dein Geheimnis verrate?" Ich presste meine Lippen aufeinander und funkelte sie wütend an. Mit einem letzten überheblichen Lachen drehte sie sich um und ging die restlichen Stufen runter. Als die Haustür ins Schloss fiel stand ich immer noch angespannt und kochend vor Wut im Flur.

Ein leises Räuspern hinter mir riss mich aus meiner Trance. Dima stand etwas verloren im Flur und sah so aus, als wüsste er nicht so ganz was er machen sollte. "Lass uns in mein Zimmer gehen.", durchbrach ich die unangenehme Stille. Ich drehte mich um und hörte wie Dima leise aufatmete, bevor er mir folgte. Zum Glück übernachtete Fabi heute bei einem Freund. So hatten wir das Zimmer für uns allein.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen und Dima setzte sich neben mich. Wir fingen an über alles Mögliche zu reden. Um uns einfach besser kennen zulernen. So wie es aussah hatten wir eine Menge gemeinsam. Unsere Familien waren groß, wir mochten Hunde und hörten gerne Rap, vor allem Kollegah. Außerdem hatten wir einen ähnlich schwarzen Humor.

"Von was für einem Geheimnis hat deine Schwester gesprochen?", platzte es aufeinmal aus Dima heraus. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, dass er diesen Teil der Unterhaltung überhört hätte. Als ich auch nach 3 Minuten nicht auf seine Frage reagierte stupste er mich mehrmals in die Seite. "Lass das!", fuhr ich ihn genervt an. "Sorry.", murmelte er und hörte sofort damit auf.

"Was hat deine Schwester denn jetzt gemeint?", wiederholte der kleinere seine Frage. "Ähm...Also...", stotterte ich hilflos herum. Dima sah mich weiterhin erwartungsvoll aus seinen großen dunkelbraunen Augen an. 'Okay Julien. Du schaffst das. Du weißt noch was damals passiert ist. Das soll sich auf keinen Fall wiederholen. Einmal tief durchatmen und dann sagst du es ihm. Wenn er was dagegen hat kann er sich sofort verpissen. Wenn nicht dann nicht. Ganz einfach.'

"Mia und ich waren früher voll gut befreundet und ich hab ihr halt alles erzählt.", fing ich nervös an,"Wie du vielleicht gemerkt hast ist das jetzt nicht mehr so. Aber früher haben wir uns alles anvertraut." 'Gut gemacht Julien. Den Rest schaffst du jetzt auch noch.' Ich atmete noch einmal tief ein und wieder aus. Dann fuhr ich fort:"Also ich...ähm...Ich bin schwul."

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