Julien's Sicht
Über die letzten 2 Wochen hatte sich bei uns einiges verändert. Zum einen war Fabi zu Lara ins Zimmer gezogen und zum anderen sorgten meine Eltern nun dafür, dass wir so viel Zeit wie möglich zusammen verbrachten.
Mein Vater war ausgeflippt als er und meine Mutter im Krankenhaus ankamen. Er hatte die Ärzte und Pfleger angeschrien. Meine Mutter hingegen hatte die ganze Zeit über kein Wort gesagt. Sie hatte einen Blick auf Mia geworfen und angefangen zu weinen. Erste als sie schluchzend neben mir auf einem Stuhl zusammengebrochen war, hatte mein Vater sich beruhigt. Er hatte sie und mich in den Arm genommen und auf uns eingeredet. Ich hatte nicht verstanden, was er sagte. Ich nahm immer noch nur die Hälfte von allem wahr.
Die Rückfahrt verlief komplett ruhig. Keiner von uns sagte ein Wort. Einzig die leisen Schluchzer meiner Mutter durchbrachen in regelmäßigen Abständen die Stille. Im Spiegel konnte ich meinen Vater sehen. Auch wenn er versuchte es zu verstecken, seine Augen glitzerten im Licht der vorbeiziehenden Straßenlaternen.
Seit diesem Tag hatte sich unser Familienleben geändert. Mein Vater war ein Workaholic. Wenn er die Wahl hatte, etwas mit uns zu machen und zu arbeiten, entschied er sich meistens für seine Arbeit. Doch jetzt hatte er sich Urlaub genommen und meine Mutter hatte dafür gesorgt, dass wir sowohl morgens als auch abends gemeinsam aßen.
Zuerst hatte es sich komisch angefühlt, all diese Dinge zu machen, wie eine normale Familie. Mittlerweile war es jedoch gar nicht mehr so schlimm. Es machte sogar schon fast ein wenig Spaß, meinen Geschwistern zuzuhören wenn sie von ihrem Tag erzählten.
Doch dies alles passierte nur, weil meine Schwester gestorben war.
Sie war der einzige Grund, weshalb wir nun ein halbwegs normales Verhältnis zueinander hatten. Oder es zumindest vorspielten. Mir war nicht entgangen, wie meine Eltern automatisch das Thema wechselten, wenn Fabi oder Lara Fragen über Mia stellten. Sie versuchten mit allen Mitteln jedes Gespräch über sie zu vermeiden.
Ich hasste diese Feigheit von ihnen.
"Julien! Kommst du jetzt endlich? Wir müssen los!", ertönte auch schon die Stimme meines Vaters. Wenn man vom Teufel spricht...
Ich warf noch einen letzten Blick in den Spiegel. Ich fühlte mich falsch, als wäre ich verkleidet. Das letzte Mal, dass ich einen Anzug getragen hatte, war auf der Hochzeit meiner Tante, aber damals war ich 5. Ich fühlte mich beschissen. Und genauso sah ich auch aus. Mein Gesicht war blass und meine Augenringe hätten einem Panda Konkurrenz gemacht. Die letzten Nächte hatte ich kein Auge zugemacht. Jedes Mal, wenn ich versuchte etwas Schlaf zu bekommen, war da dieses Piepen, schrill und durchdringend, und blaue Augen, die mich leblos anstarrten.
Ich wollte nicht zur Beerdigung fahren. Doch ich hatte keine Wahl. Meine Eltern waren der Meinung, es würde uns gut tun, wenn wir uns auf diese Weise verabschieden konnten.
Die Beerdigung verlief relativ ereignislos. Alle möglichen Menschen kamen auf mich zu und versicherten mir, dass alles gut werden würde. Ich ließ es über mich ergehen, während ich abwartend auf mein Handy starrte.
Seit er mir vor 2 Wochen abgesagt hatte, hatte ich nichts mehr von Dima gehört. Er hatte meine Nachrichten zwar empfangen, jedoch keine einzige gelesen. Auf meine Anrufe reagierte er auch nicht. Was war nur los mit ihm?
Gio hingegen schrieb mir täglich. Hauptsächlich um sich zu erkundigen, wie es mir ging, doch ich war nicht in der Stimmung ihm zu antworten. Etwas positives an der ganzen Situation war, dass meine Mutter mich für einen Monat krankgemeldet hatte. Ihre Begründung war, dass ich durch 'den Vorfall', wie sie es nannte, traumatisiert war und deswegen Zeit bräuchte, um alles zu verarbeiten. Ich war nur froh, dass ich sie davon abhalten konnte, mir einen Therapeuten zu suchen. Ich brauchte keine Hilfe. Es ging mir gut.
Auch wenn ich nicht hingehen wollte, musste ich doch gestehen, dass es sich ganz gut anfühlte mich zu verabschieden. Aber es fühlte sich auch endgültig an.
Ich fragte mich, was aus ihrem Freund geworden war. So weit ich wusste, hatte es weder eine Anzeige in der Zeitung, noch eine offizielle Beerdigung gegeben. Meine Eltern hatten sich geweigert, für seine Bestattung zu zahlen, obwohl es vielleicht sogar eine schöne Geste gewesen wäre, die beiden zusammen zu begraben. Aber mich fragte ja nie jemand.
Ich sah mich in der Menge um. Es waren hauptsächlich Verwandte gekommen, aber auch einige von Mia's Freunden waren hier. Ich suchte nach einer ruhigen Stelle. Zwischen den ganzen Menschen hielt ich es nicht mehr aus. Plötzlich fiel mein Blick auf eine Person. Sie stand abseits von den anderen und trug eine Kapuze, welche ihr Gesicht verdeckte.
Ich beobachtete ihn. Aus irgendeinem Grund hatte ich ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. Mir kam es so vor, als würde er mich beobachten. Dann sah er auf. Unsere Blicke trafen sich und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich ein rötliches Funkeln sehen.
Ich beobachtete ihn. Aus irgendeinem Grund hatte ich ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. Mir kam es so vor, als würde er mich beobachten. Dann sah er auf. Unsere Blicke trafen sich und für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich ein rötliches Funkeln sehen. Schnell drehte ich mich weg.
Es wurde immer schlimmer. Was war mit mir los? Warum sah ich dauernd Dinge, die nicht da waren?
Als ich mich das nächste Mal umdrehte war er nicht mehr da. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden ließ mich nicht los.
Den Rest der Woche merkte ich, wie ich mich schon fast automatisch nach irgendetwas verdächtigem umsah. Aber egal wie oft ich dies tat und niemanden sehen konnte, ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich meine Umgebung absuchte. Entweder ich wurde wirklich verfolgt und dies war bloß ein unterbewusster Urinstinkt oder ich wurde so langsam verrückt.
Donnerstag morgens war auf dem Spielplatz nie etwas los. Wahrscheinlich wollten Fabi und Lara deswegen unbedingt, dass ich mit ihnen dorthin ging. So hatten sie die ganzen Geräte für sich. Ich sah ihnen zu, während sie zusammen gegen unsichtbare Piraten kämpften. Ihr Lachen hallte über den leeren Spielplatz.
Meine Gedanken begannen wieder abzuschweifen. Sie kreisten immer um das gleiche. Warum passierte gerade mir sowas? Was hatte ich getan, um das alles zu verdienen?
Ich hätte etwas unternehmen sollen. Wäre ich nicht wie erstarrt gewesen hätte ich sie aufhalten können. Ich hätte meinen Eltern bescheid sagen können. Ich hätte schneller sein können. Ich hätte-
"Julien? Geht es dir gut?", Fabi sah mich besorgt an, während Lara neben mir auf der Bank Platz nahm.
"Klar, mir gehts super.", versicherte ich den beiden. Doch das schien sie nicht wirklich zu beruhigen. "Ist was passiert?"
"Können wir nach Hause gehen?", Lara rutschte noch näher an mich heran und flüsterte: "Der Mann da beobachtet uns."
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Mach die Augen auf
Fanfiction"Schließe am letzten Tag jeden Monats deine Jalousien oder Vorhänge, bevor du schlafen gehst. Wenn du in der Nacht klopfende Geräusche an deinem Fenster hörst, öffne nicht deine Augen. Wenn du einer der Pechvögel bist, wirst du diesen Ton irgendwann...