Chapter Five

64 11 1
                                    


Julien's Sicht


"Verpiss dich. Ich will schlafen.", meckerte ich und drehte Mia den Rücken zu. Zu meinem Bedauern interessierte sie das nicht. Ich hörte wie sie die Tür hinter sich schloss und kurze Zeit später fühlte ich wie sich jemand auf meine Matratze setzte.

"Wir müssen reden." Ihre Stimme klang nervös. Wenn ich es nicht besser wüsste hätte ich gedacht sie sei verunsichert. Aber das konnte nicht sein. Das letzte mal, dass ich meine ältere Schwester unsicher erlebt hatte war mindestens 10 Jahre her.

"Kann das nicht bis morgen warten?", versuchte ich Mia ein weiteres Mal zum gehen zu bringen. Doch sie schüttelte bloß ihren Kopf. "Es ist wirklich wichtig."

Mich mit dem Gedanken abfindend, dass ich diese Nacht wohl keinen Schlaf mehr bekommen würde, setzte ich mich auf und sah meine Schwester erwartungsvoll an. "Also? Was ist so wichtig?"

"Du weißt, dass ich dich nicht hasse oder?" Tat ich nicht. Normalerweise hätte ich gedacht sie würde mir etwas vorspielen. Eigentlich würde das auch zu ihr passen, aber etwas in ihrer Stimme ließ mich daran zweifeln. Sie klang so unsicher, von der Arroganz von vor ein paar Stunden war nichts mehr vorhanden. Auch ihre Mimik wirkte anders. Es war als säße eine vollkommen andere Person vor mir.

Als ich nicht antwortete fuhr sie fort: "Du bist mein Bruder Ju. Ich könnte dich gar nicht hassen. Ich weiß, dass ich zu dir nicht immer besonders nett war" Das war eine Untertreibung. "Aber ich will das wieder gut machen. Es tut mir Leid."

Ich sagte immer noch nichts und sah sie bloß mit hochgezogener Augenbraue an. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber noch weniger war ich auf das vorbereitet, was folgte.

"Ich weiß zwar nicht wie du herausgefunden hast, dass ich einen Freund habe, aber ist auch nicht so wichtig. Wichtig ist eigentlich nur, dass ich deine Hilfe brauche.", sie sah mich erwartungsvoll an. "Und wobei?", ich traute ihr immer noch nicht so ganz.

"Johnny und ich wollen weg von hier. Wir hatten geplant, dass wir nächste Woche abhauen. Und jetzt brauch ich halt jemanden, der Mum und Dad ablenkt, damit ich unbemerkt verschwinden kann. Das müsstest dann du übernehmen."

"Was genau soll ich denn machen?", ich war nicht wirklich überzeugt von dem, was sie mir da erzählte. "Ja du müsstest sie halt irgendwie von mir ablenken. Keine Ahnung wie. Sag ihnen du hast scheiße gebaut oder geh mit ihnen irgendwo hin. Hauptsache sie merken nicht wenn ich gehe."

Das war eine total bescheuerte Idee. Ich spürte ihren abwartenden Blick auf mir "Verpiss dich aus meinem Zimmer." Ich hatte keinen Bock mehr. Warum sollte ich ihr bei so etwas helfen, wenn alles was sie zur Wiedergutmachung der letzten Jahre voller Streit, Drohungen und Anschuldigungen ein halbherziges 'Es tut mir Leid' war.

Ich konnte förmlich sehen, was in ihrem Kopf vorging. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von freundlich zu geschockt und schlussendlich zu wütend.

"Warum denn nicht Ju? Du hasst es hier doch genauso wie ich. Wir wissen beide, wenn du vorhättest abzuhauen, würde ich dir dabei helfen", ich konnte förmlich spüren wie sie sich beherrschen musste um mich nicht anzuschreien.

"Also erstens würdest du das nicht machen. Zweitens bist du eine dumme Fotze, wenn du denkst ein 'Tut mir Leid' macht die ganzen letzten Jahre wieder gut. Und drittens ist das ein bescheuerter Plan. Du willst also, dass ich Mum und Dad ablenke während du dich für immer von hier verpisst? Auf mich sind die dann genauso wütend, aber ich bin dann noch da!" Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich erst nach meiner Ansprache merkte wie Mia angefangen hatte zu 'weinen'.

Sie hatte ihr Gesicht in ihren Händen vergraben und schluchzte vor sich hin. Schon als Kind hatte sie immer angefangen zu heulen wenn sie ihren Willen nicht bekam. Das hatte sich auch nicht wirklich geändert, außer dass sie nicht mehr richtig sondern nur noch gespielt heulte. Zu ihrem Pech war sie keine besonders gute Schauspielerin.

"Hör auf zu heulen und verschwinde endlich." So langsam ging mir die Geduld aus. Außerdem merkte ich wie ich allmählich müde wurde. Tatsächlich blickte Mia auf. Auf ihren Wangen konnte ich Tränenspuren erkennen und auch ihre Augen glitzerten. Anscheinend hatte sie sich diesmal sogar richtig bemüht es echt aussehen zu lassen.

Sie wischte sich mit den Handrücken über die Wangen und atmete einmal tief ein und aus. "Weißt du warum ich hier weg muss?" Eins musste ich ihr lassen: So offensichtlich falsch ihr Geschluchze auch gewesen war, der weinerliche und schon fast verzweifelte Unterton in ihrer Stimme klang beinahe echt.

"Keine Ahnung, aber du wirst es mir jetzt bestimmt gleich erzählen.", ging ich genervt auf ihre Frage ein. "Ich bin schwanger." Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen. Diese ganze Situation wurde immer lächerlicher. "Lach nicht so blöd. Du weißt wie Dad drauf ist. Er wird komplett ausrasten. Und Mum wird ihm nicht widersprechen. Bitte, ich brauch echt deine Hilfe." Schon wieder rieb sie energisch durch ihre blauen Augen, in denen sich weitere Krokodilstränen gebildet hatten.

"Denkst du ich bin irgendwie behindert? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich darauf reinfalle. Diese Geschichte ist so übertrieben, das würd dir nicht einmal Fabi glauben. Da hilft auch dein Geheule nicht. Kannst du jetzt endlich gehen. Ich schreib morgen eine Klausur.", sagte ich, nachdem ich aufgehört hatte zu lachen.

"Na gut. Wenn du mir nicht glauben willst muss ich das ohne deine Hilfe machen. Aber glaub ja nicht, dass ich mich bei dir melde nachdem ich weg bin." Mit diesen Worten stand sie auf und ging zur Tür. Bevor sie mein Zimmer verlassen hatte rief ich ihr hinterher: "Wenn du wirklich abhauen solltest würdest du mir meinen Kindheitstraum erfüllen."

Mia antwortete nicht mehr, sondern zog bloß die Tür hinter sich zu. Wenigstens hatte sie den Anstand auch das Licht wieder auszuschalten. Ich hörte wie ihre Schritte leiser wurden und kurz darauf knallte die Haustür ins Schloss.

Ich tastete auf meinem Nachttisch nach meinem Handy. In meinem dunklen Zimmer leuchtete das Display grell auf, weshalb ich meine Augen zukneifen musste. Die Uhr zeigte 4:28. In knapp anderthalb Stunden musste ich schon wieder aufstehen. Innerlich aufstöhnend drehte ich mich auf die Seite und schloss meine Augen.

Bevor ich vollkommen im Land der Träume versinken konnte, erwischte ich mich dabei wie ich darüber nachdachte, was Dima jetzt wohl gerade tat.

'Wahrscheinlich ist er am schlafen, wie jeder normale Mensch um diese Uhrzeit.' Mit diesem Gedanken schlief ich dann endgültig ein.

In dieser Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum.

Mach die Augen aufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt