Chapter Four

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Dima's Sicht


So leise wie möglich schloss ich die Haustür hinter mir. Im Haus war es dunkel, aber das bedeutete nicht, dass niemand mehr wach war. Wenn ich mir also keine unnötig lange Predigt anhören wollte musste ich leise sein.

Ich huschte über den Flur. Die Tür zum Wohnzimmer war einen Spalt geöffnet. Ich konnte gedämpfte Stimmen hören. Das bedeutete wenn ich es jetzt schaffen würde unbemerkt die Treppe hochzukommen wäre alles in Ordnung.

Bis Morgen hätte Sergej das bestimmt wieder vergessen. Aber ich musste vorsichtiger sein, wie lange ich wegbleibe. Das knarren einer morschen Treppenstufe riss mich aus meinen Gedanken. Aus dem Wohnzimmer konnte ich gedämpfte Stimmen hören.

Um weitere Geräusche zu vermeiden zog ich mich mehr oder weniger am Treppengeländer hoch. Warum war dieses Haus auch so alt. Alles hier war entweder morsch oder verrostet, aber außer mich schien das niemanden zu stören.

In meinem Zimmer angekommen atmete ich erleichtert auf. Ich kümmerte mich nicht darum das Licht anzuschalten, nach der langen Zeit in der wir hier wohnten kannte ich mein Zimmer in und auswendig.

Gähnend zog ich mir meinen Pulli und meine Hose aus. Ich warf die Sachen achtlos auf den Boden. Darum konnte ich mich morgen kümmern. Ich wollte mich gerade ins Bett legen, da bewegte sich jemand. "Auch endlich zuhause?", ertönte Sergej's gespielt ruhige Stimme.

'Fuck!' Aufgeschreckt schnellte mein Kopf hin und her. Erschrocken stolperte ich nach hinten bis ich die Türklinke in meinem Rücken spürte. Blindlings tastete ich nach dem Lichtschalter.

Das grelle Licht flutete mein Zimmer. Ich musste meine Augen zusammenkneifen um mir meine Netzhäute nicht zu verbrennen.

Sergej starrte mich die ganze Zeit über an. Er hatte diesen Blick, der bedeutete, dass er kurz davor war auszurasten und nur gerade so in der Lage war sich zu beherrschen.

"Was hast du dir dabei gedacht? Du kannst nicht einfach zu irgendwelchen Leuten nach Hause gehen. Vor allem nicht wenn sie einen HUND haben. Was ist denn los mit dir?" Seine Stimme war bei jedem Satz um gefühlte 10 Dezibel lauter geworden. Am Ende brüllte er mich einfach nur noch an.

Aber wie jedes Mal wenn Sergej mich anschrie oder wegen irgendetwas meckerte schaltete ich nach einer gewissen Zeit einfach ab.

Mein momentan größtes Problem war eigentlich, dass ich vergessen hatte mein Fenster zu schließen bevor ich in den Garten gegangen war um zu gucken, ob ich unsere Nachbarn, besser gesagt Julien, durch ein Fenster beobachten könnte.

Im Endeffekt lief es zwar besser als eigentlich geplant, aber dafür stand ich jetzt in meinem eiskalten Zimmer, in nichts als Boxershorts, und wurde von meinem "Cousin" angeschrien. "Warum kannst du nicht einfach das machen, was dir gesagt wird? Ist es so schwer für dich im Haus zu bleiben und NICHTS zutun, dass irgendwen auf uns aufmerksam machen könnte? Hast du mir überhaupt zugehört?", holte mich eben genannter wieder in die Gegenwart zurück.

"Hnn? Was hast du gesagt?", erwiderte ich völlig verwirrt und hätte mich im nächsten Moment am liebsten dafür geohrfeigt, aber das übernahm Sergej für mich. 'Super Leistung Dima. Jetzt ist er richtig wütend.', meldete sich die Stimme in meinem Kopf zu Wort.

Tatsächlich sah Sergej so aus als würde er jeden Augenblick explodieren, was bei seiner Größe und Muskelmasse wirklich angsteinflößend war. Ich hatte keine Ahnung wie ich mich verhalten sollte um den Schaden möglichst klein zu halten. In meiner Wange hatte sich mittlerweile ein pochender Schmerz ausgebreitet. Morgen sähe das bestimmt schlimm aus.

Sergej sah mich weiterhin wortlos und ohne eine Miene zu verziehen an. Am liebsten wäre ich so schnell wie möglich davongelaufen, doch das wäre ein fataler Fehler gewesen. Sergej war offensichtlich um einiges schneller und stärker als ich. Ich würde es vielleicht gerade so mit Glück bis zur Treppe schaffen.

Die Fluchtgedanken nun endgültig verwerfend richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf den 1,90 Meter großen Russen, dessen Stimmung sich immer noch nicht verbessert hatte. Bestenfalls wirkte er jetzt etwas nachdenklich, aber ob das wirklich gut für mich enden würde war ich mir unsicher.

Nach ein paar Minuten, welche mir durch die unangenehme Stille wie eine Ewigkeit vorkamen, meldete sich Sergej wieder zu Wort.

"Vielleicht hast du doch nicht so viel Mist gebaut. Johnny hat zwar bereits angefangen eine Beziehung zu einem der Mädchen aufzubauen, aber es kann nicht Schaden, wenn du dich um den Jungen kümmerst. Wenn wir Glück haben vereinfacht es sogar alles. Du musst nur machen was ich dir sage. Kriegst du das hin?", erklärte Sergej mir erstaunlich gelassen seinen Plan.

Das Problem war jedoch, dass ich wusste, was Sergej meinte als er sagte »Es würde alles vereinfachen«. Normalerweise hatte ich auch keine Einwände oder bedauerte es, aber aus irgendeinem Grund hatte ich bei dem Gedanken daran, dass Julien das gleiche passierte ein seltsames Gefühl im Bauch.

Sergej's drohender Blick verriet mir, dass ich nicht so einfach davonkommen würde, sollte ich es verbocken, geschweige denn ablehnen.

Und so nickte ich bloß, während mein Magen sich anfühlte, als würde er Achterbahn fahren. Sergej hingegen wirkte nahezu euphorisch. Er hatte ein, für seine Verhältnisse, freundliches Grinsen und seine dunklen Augen leuchteten sogar ein bisschen.

"Großartig! Es sind mindestens 5 Personen, was bedeutet wenn alles so läuft wie geplant müssen wir uns für mindestens einen weiteren Monat weniger anstrengen und wir müssten nicht alles rationieren. Wir hätten endlich wieder genug zu Essen.",schwärmte er schon fast begeistert vor sich hin.

Es passte überhaupt nicht zu dem Sergej den ich seit so vielen Jahren kannte und irgendwie machte es mir etwas Angst. Der Sergej den ich gewohnt war, war emotionslos und kalt. Außerdem würde er mir niemals eine anscheinend so wichtige Aufgabe überlassen. Mir wurde oft genug gesagt, wie nutzlos ich doch war und das ich unsere Situation nur schlimmer machen würde.

Für seinen schlagartigen Stimmungswechsel konnte es eigentlich nur zwei Gründe geben. Entweder ich war am träumen und diese ganze Unterhaltung hatte es nie gegeben oder er war genau wie der Rest von uns total am Ende und hatte jetzt komplett seinen Verstand verloren.

Meine erste Theorie wurde zunichte gemacht, als Sergej damit fort fuhr mir seinen Plan zu Enden zu erklären.

"Also Dima, du wirst dich mit dem Jungen anfreunden und mehr über ihn und seine Familie herausfinden. Jedes Mal wenn du zurückkommst erzählst du mir alles was du herausgefunden hast. Verstanden?" Wieder nickte ich nur. "Gut. Und solltest du Johnny sehen tust du so, als ob du ihn nicht kennst. Wenn dich jemand nach deiner Familie fragt, was sagst du dann?", da war er wieder, der Sergej den ich kannte. Der Sergej, der sich nur für eins interessierte: Unser, oder besser gesagt Sein, Überleben und dem alles andere egal war.

"Ich wohn bei meinem Cousin und ein paar Freunden. Meine Eltern sind tot. Sie sind bei einem Unfall gestorben.", gab ich das wieder, was wir schon unzählige Male besprochen hatten.

"Ich denke das reicht fürs erste. Den Rest besprechen wir Morgen. Schlaf gut." Mit diesen Worten ging er an mir vorbei nach unten.

Ich schaltete das Licht wieder aus und schlurfte zu meinem Bett rüber. Das alte Gestell gab ein knarzendes Geräusch von sich als ich mich drauffallen ließ. Das kalte Kissen fühlte sich gut an gegen den warmen Schmerz in meiner Wange. Anstatt mein Fenster zu schließen rollte ich mich zusammen und zog mir die Decke über den Kopf. Das unangenehme Gefühl war immer noch da.

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