6. Ein Treuebund, der keiner ist

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Katherine stand unschlüssig vor dem Haus herum. Nein, nicht vor dem Haus ihres Vaters. Sobald dieser aus dem Haus gegangen war, auf dem Weg zur Arbeit, hatte sie sich einen Rucksack gepackt und war aufgebrochen. Fast einen ganzen Tag hatte sie Zeit. Ihr Vater sollte ja nichts von ihrem kleinen Ausflug mitbekommen.

Aufgebrochen, um Dudley zu finden. Denn ihr Entschluss, er war gefasst: Sie wollte ihm helfen.

Man mochte vielleicht meinen, Katherine sei nur auf Erfolg aus. Katherine wolle nur Kontakte zu "den Gewinnern" hegen, an erster Stelle zu Harry Potter, der berühmtesten Person in der Zaubererwelt überhaupt. Um ihr selbst Aufsehen einzubringen und so auf wertvolle andere Kontakte zu stoßen.

Es würde zu ihr passen. Aber dem war nicht so. Für Katherine war jeder, der besser oder beliebter als sie selbst war, ein Feind, den sie einzuholen hatte.

Diejenigen, die jedoch noch lange nicht an sie rankamen, das waren sie, die ihr Herz so wirklich erwärmten, bei denen sie den Drang verspürte, ihnen zu helfen.

Oder besser gesagt, sie auszunutzen.

Denn man musste zugeben, so ganz freiwillig machte sie das mit der "Hilfe" dann doch nicht. So ganz ohne Gewinn, nein. Nein, das war dann doch nicht ihre Art.

Eine Handlung ohne irgendeinen Gewinn - undenkbar!

Was sie sich von Dudley versprach, das war jedoch eine besonders verwickelte Sache.

Katherine liebte es, wenn Leute in ihrer Schuld standen. Sie spielte gerne mit dem Gewissen, denn sie wusste: Leute, die in ihrer Schuld standen, die waren es gewöhnt, zu ihr hinaufzuschauen. Und das behielten sie in den meisten Fällen bei, auch wenn die Schuld längst aufgehoben war.

Wenn jemand in ihrer Schuld stand, konnte sie ihn ausspielen. Sehr oft ausspielen. Und man konnte sich auf ihn verlassen: Das Gewissen war die beste Motivation für Gehorsam, das hatte Katherine früh erkannt. Denn es war genau das, was sie nicht hatte. Früh hatte sie gelernt, dass etwas mit ihr anders war. Fast noch früher hatte sie gelernt, wie man so tat, als hätte man es. Dieses Gewissen.

Sie hütete sich davor, auch nur irgendetwas darüber preiszugeben. Keiner sollte davon wissen, wie kaltblütig sie doch war.

Katherines Gedanken schweiften wieder zu Dudley. Diese Leute, die einem mal etwas schuldig gewesen waren, brachten einem, oftmals ein Leben lang, Respekt entgegen. Das gefiel Katherine. Sie wollte mehr davon.

Deshalb stand sie jetzt vor dem Haus der Dursleys. Ein Mehrfamilienhaus, umzäunt von einer Mauer und Büschen, die ihren Garten von dem der Nachbarn abgrenzten.

Sie wartete. Denn sie fand, er war es, der herauszukommen hatte.

Doch dann fiel ihr ein, dass sie sowieso schon den weiten Weg zurückgelegt hatte und das nicht gut aussah, wenn man unschlüssig vor dem Haus herumlungerte. Möglicherweise hatte er nicht mal ihre Ankunft gespürt. Sie schüttelte kurz ihren Kopf. Was für eine Anfängerin sie noch war, darauf hätte sie doch gleich kommen müssen.

Entschiedenen Schrittes ging sie dann auf die Tür zu.


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Eine etwas ältere Frau mit eingefallenen Wangen und grauem Haar öffnete ihr. Katherine spürte ihren misstrauischen Blick ihren Körper entlangwandern und an ihrem Gesicht hängebleiben.

Natürlich hatte sie dezent Schminke aufgelegt und die ordentlichste Kleidung an, die sie hatte finden können. Dazu noch die hohen Schuhe. Sie musste beeindrucken, wichtig wirken. Und keinesfalls sollte bemerkt werden, dass sie gerade mal zehn Jahre alt war.

Gibt es denn dann überhaupt noch Muggel?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt