Im Archiv

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John lief durch die dunklen Gänge.
"Sherlock?!"
Langsam wurde er wütend. Wieso ließ ihn der Detektiv allein in einem Archiv, in dem er sich nicht im Geringsten auskannte und wo es außerdem noch stockfinster war?
"Sherlock, wo bist du?"
Da packte ihn jemand von hinten und John schrie erschrocken auf. Er wollte sich umdrehen, um sich dem Griff zu entziehen, aber sein Widersacher hielt ihn zu fest. Der Doktor entschied sich für einen ernsteren Angriff, als..
"Für einen Soldaten bist du ganz schön schreckhaft, John."
John konnte das Grinsen im Gesicht des Detektivs förmlich hören.
"Bist du verrückt geworden, Sherlock?!"
John fasste sich wieder. "Und jetzt lass mich los!"
"Oder?", der Detektiv war heute offenbar auf Provokation getrimmt.
"Oder es passiert etwas! Ich warne dich!"
"Und was passiert dann?"
Sherlocks samtweiche Stimme (John vermutete hinterher, dass der Detektiv absichtlich so geredet hatte) ließ den Doktor kurz aus der Fassung geraten. Zeit genug für Sherlock, um ihn an der Wand einzuklemmen. Johns Handgelenke hielt er über dem Kopf des Doktors an der Wand fest.
"Tja, da steht er nun, der Soldat. Entwaffnet von einem Detektiv..."
"Sherlock, was soll das?"
John versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Vergeblich. So langsam war er genervt.
Unvermittelt ließ der Detektiv ihn los.
"Ich wollte dir nur mal zeigen -"
"Was zeigen? Was zeigen, Sherlock?! Dass du ein durchgeknallter....Freak bist?!"
Stille.
John hörte nur sein eigenes Keuchen, von Sherlock kam nichts. Nicht das kleinste Geräusch. Kein Atem, kein Räuspern, kein Konterspruch.
John dachte, dass er womöglich zu weit gegangen war, als plötzlich das Licht anging.
Sherlock stand immer noch dort. Und wie er da stand. John wurde es mulmig.
Der Detektiv starrte ihn mit einer Mischung aus kalter Wut, bitterer Enttäuschung und....Traurigkeit an. Ja, in seinen Augen glitzerte es, als ob Johns Worte ihn verletzt hätten. Es hatte etwas von einem verlassenen Kind, da auch Sherlocks Schultern herabhingen, als ob sein Mantel auf einmal zu schwer wäre. Seine Locken waren wirr, und seine Arme hingen schlaff an den Seiten herab.
John setzte zu einer Entschuldigung an, da sagte der Detektiv etwas, womit John nie gerechnet hätte.
"Es tut mir Leid. "
John schüttelte den Kopf, als müsste er etwas abschütteln.
"Bitte was?"
"Es...es tut mir Leid. Ich bin zu weit gegangen, bitte verzeih mir."
John meinte, sich verhört zu haben.
"Ähm..schon okay. Nein, ich meine...es tut MIR Leid. Ich hätte dich nicht so nennen dürfen. Das war unhöflich. "
"Unhöflich." Wiederholte Sherlock, als müsste er das Wort erst verarbeiten.
Sein Gesichtsausdruck war ein wenig abwesend.
John schaute ein wenig fassungslos. Dann räusperte er sich.
"Ehm...wollten wir nicht im Archiv etwas suchen?"
"Ja natürlich. Die Akten. Die Akten."
Sherlock steckte die Hände in seine Manteltaschen und lief voraus.
Der Doktor beeilte sich, ihm hinterherzukommen.

~*~

"Sherlock? Es ist jetzt schon fast 8 Uhr abends, und wir haben immer noch keine Spur! Lass uns doch eine Pause machen!"
John ließ sich erschöpft in seinen Sessel fallen. Sie waren mittlerweile wieder in der 221B Baker Street und die Wand neben dem Smiley war mit Zetteln, Fotos und Flugplänen übersät, vor denen Sherlock stand und nachdenklich seinen Kopf auf die aneinandergelegten Hände stützte.

„Hm“, machte der Detektiv und John seufzte.

„Wie auch immer. Ich mach uns mal was zu essen.“

Kopfschüttelnd erhob sich der Doktor und ging ich die Küche. Im Kühlschrank fand er (Mrs. Hudson sei Dank!) hinter diversen...Körperteilen und -flüssigkeiten noch Butter und Marmelade. Er setzte Teewasser auf und schmierte für sich und seinen Mitbewohner Brötchen, obwohl er erwartete, dass dieser mal wieder nichts essen würde. Während der Tee zog, setzte sich John auf einen Stuhl und sah zu Sherlock hinüber, der sich wieder in seiner Nachdenkpose auf das Sofa gelegt hatte. Das wurde also nichts mehr mit dem Essen. 

John packte trotzdem alles auf ein Tablett und ging damit ins Wohnzimmer, stellte es auf dem niedrigen Wohnzimmertisch ab und setzte sich auf den Fußboden davor, weil Sherlock ja das Sofa belegt hatte. 

Der Doktor biss in ein Brötchen. „Willst du nichts, Sherlock?“

Der Detektiv antwortete nicht, was John auch nicht sonderlich wunderte. „Na, dann nehm ich dein Brötchen.“

Sherlock setzte sich auf. Gedankenverloren stierte er zu den Sesseln, mit einer Intensität, als würde dort ein Nilpferd sitzen. Er nahm seine Tasse und zog den Teebeutel raus. Und ließ ihn wieder hineingleiten. Dann begann er wieder zu reden.

„Ja..es ist die einzige Möglichkeit...es gibt keine andere..wenn es das ist...im Archiv...dann passt es..“
Der arme Teebeutel wurde von dem Detektiv immer noch raus und rein gezogen. John folgte wie hypnotisiert der Bewegung. Rein, raus, rein, raus, rein, raus, rein, raus, rein....

Mit einem Ruck wendete Sherlock den Kopf und starrte den Doktor mit weit aufgerissenen Augen an. „Ich weiß es jetzt, John!“


BBC Sherlock - Die Entführung (und danach)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt