1

3.9K 172 15
                                    

Im kalten, beinahe blauem Mondlicht schienen die Baumkronen einen fleckigen Teppich zu bilden durch dessen Löcher hin und wieder ein wenig des weißen Sternenlichts auf den moosbewachsenen Boden fiel.

Meine Beine stießen sich mit Wucht von dem weichem Untergrund ab, ich hetzte mit einer Kraft durch den Wald wie sie kaum noch zu erwarten war nachdem ich die letzten vier Wochen nicht in der Lage gewesen war Spero gefahrlos zu befreien.

Dieser manövrierte uns elegant durch das Dickicht, zwischen den breiten Baumstämmen entlang, über ihre gefallenden Brüder hinüber oder unter ihnen hinunter, zu jeder Zeit den Vorteil nutzend das seine Omegazüge ihm eine grazielere Gestalt bescheerten.

Der Beutel der um mein Genick gehängt war schlug immer wieder gegen meinen Brustkorb, ich betete das mein Handy in ihm nicht beschädigt werden würde. Und noch viel mehr das ich keine besorgten Nachrichten auf ihm fand.

In den ganzen drei Jahre die ich bereits bei Andy wohnte hatte er noch nie einen Vollmond miterlebt indem ich meinem Wolf meine Kontrolle überließ und meine wahre Natur offenbahrte. Nur zu meinem Glück. Ich hatte nicht übel Lust gehabt meinem besten Freund erklären zu müssen warum plötzlich in ein Wolf in meinem Zimmer umherwanderte.

Spero hechelte, schreckte von Zeit zu Zeit ein paar Vögel auf die nur so aus den Baumkronen schwärmten, mit empörten Kreischen verschwanden. Ich hatte micht vorgehabt am heutigen Tag etwas zu erlegen, wollte nur ein wenig abspannen. Für ein paar Stunden das tiefe Loch in meiner Seele vergessen können.

Wir mussten schon eine gute Stunde nur damit zugebracht haben die riesigen Gebiete des Clearwaterwaldes zu durchqueeren als Spero mit der Zeit abzubremsen begann, an einem kleinen Bergsee entgültig zum Halten kam.

Wasser, so klar das ich das Gestein an seinem Grund sehen konnte, wenige, uralte Bäume die es vor fremden Blicken schützten, eine zerklüffte Felswand von der Wassertropfen mit einem leisen Pochen auf die Oberfläche fielen, sie aufwirbelten.

Hunderte Sterne spiegelten sich in ihm ab, hunderte kleiner Leuchtfeuer, Millionen Meilen entfernt. Ich atmete tief durch, spürte wie die Nachtluft meine Lunge erreichte. Das hier war was ich liebte, verehrte, geschehe was wolle. Ich war ein Wolf, Nächte wie diese meine Heimat.

Ich wusste nicht viel über meine Natur, wohl noch weniger als manche Menschen. Man hatte mich als Baby vor einer Polizeistation abgelegt, mich von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht. Das erste Mal als ich mich verwandelt hatte, wohl der Schock meines Lebens.

Eigentlich hatte er mir jede Information über meine Art mittgeteilt die ich an heutigen Tag mein Wissen nennen konnte. Nur der Gedanke an diese eisig blauen Augen und mein Herz schien sich weit genug zusammen ziehen zu wollen um zu verschwinden. Er, der Grund für so viel mehr Leid als ohnehin.

Spero stieß ein leises Winzeln aus, der Ton verhallte in der Nacht wie in einem ewigen Nichts, wurde erst nach Ewigkeiten vom schwachen Wind verschluckt. Wir hatten gelitten nachdem er gegangen war. Mein Wolf mehr als ich. Ich wollte ihn dafür hassen, vom tiefsten Punkt meiner Seele her verabscheuen.

Nur verbot meine Natur mir genau das. Gab mir nicht die Möglichkeit ihn für das zu verabscheuen, was er mir angetan hat. Als er mich verstoßen hat. Mich Monate lang durch eine Hölle wandern ließ, dessen Feuer mich verbrannten, dessen Unendlichkeit mich erschaudern ließ. Ich konnte meinen Mate nicht hassen.

Das Wasser des Sees war eisig kalt als ich hastig ein paar Schlücke hinunterschlang, spürte wie es meine gereizte Kehle hinunterfloss. Ich sah wie sich ein paar dunkle Wolken in der spiegelglatten Oberfläche offenbahrten, die helleren Fetzen beiseite drängten. Es würde anfangen zu regnen.

Ich seufzte, genoss noch für ein paar Sekunden die Ruhe und orientierte mich an den noch vereinzelnd erkennbaren Sternen. Andy hatte mir gezeigt wie man sie richtig las. Sie waren mein Kompass. Mein unzerstörbarer Heimweg.

Deutlich schwerfälliger setzte ich mich in Bewegung, Pfote um Pfote über den moosig weichen Boden während die ersten Tropfen vom Himmel fielen, vorerst mit schillerndem Plätschern auf den höchsten Baumkronen landeten.

Die Orientierung wurde schwerer, mit jedem Schritt schien Dunkelheit zwischen den Ästen hevorzukriechen, mich zu vollkommen verschlucken zu wollen. Ein ungutes Gefühl kam in mir auf, ein kleines Ziehen in meinem Brustkorb und dessen sofortige Zuordung zu einer bestimmten Person.

Würde nun das geschehen, was ich vermutete, so war ich geliefert.

Ich begann zu rennen, versuchte heimzukehren ehe das eine Ereignis geschah das ich ihm zu verdanken hatte. Ein Fluch der mich daran erinnerte wieso ich warscheinlich nie wieder Vollkommenheit verspüren würde. An eisblaue Augen und einen Mann der zu Dingen bereit war, grausamer als man sich könnte vorstellen. Das höchste Opfer einzugehen das es für Wölfe gab ohne auch nur einen Funken der Verbitterung zu offenbahren.

Mittlerweile hatte es begonnen wie aus Krügen zu schütten, kaltes Wasser beschwerte mein Fell, macht jede Bewegung zu einer Qual. Ich zitterte, sowohl vor Kälte als auch vor Anstrengung. Von den Sternen war nichts mehr zu sehen, ich war hoffnungslos verirrt.

Der Schmerz gewann im Käfig meiner Rippen an Intesivität, breitete sich mit jedem Herzschlag weiter in meine Adern aus. Meine Sicht begann zu verschwimmen, mein Verstand zu vernebeln. Ich kann dieses Gefühl. Ich hasste es.

Mein Gefährte betrog mich soeben.

Ich fiel zu Boden, konzentrierte mich darauf nicht zu ersticken während der Schmerz wie Gift durch meinen Körper floss, meine Haut durchbohrte wie tausend Nadeln, meinen Leib in Flammen setzte. Spero fing den Großteil des Schmerzes auf, jaulte ununterbrochen.

Er gab dem Leid nach, verzog sich in die hinterste Ecke meines Verstandes, zwang mich somit zurück in meine menschliche Form noch ehe ich darauf vorbereitet war. Meine Knochen brachen, mein Fell verschwand, der kalte Regen fiel auf meinen entblößten Leib.

Ich schnappte nach Luft, grub die Nägel in die mittlerweile regendurchtränkte Erde. Meine Zähne gruben sich in meine Unterlippe. Mein menschlicher Körper konnte der Kraft kaum standhalten, Blut floss aus meiner Nase.

Der Beutel mit meiner Kleidung und meinem Handy hing noch immer um meinen Hals, nach dem Smartphone zu greifen stellte sich als ungeheurer Kraftakt heraus, ein Kampf gegen die Flammen die meinen Körper so eben von innen heraus verbrannten.

Meine Finger zitterten, die Buchstaben auf meiner Tastatur schienen so weit entfernt, die Taste um einen Standort anzuhängen kaum noch erreichbar.

Ray: SOS (Loc. 46.3097722, -115.5394950)

Spero jaulte, mein Kopf pochte. Ich hasste es. Ich hasste es das er mich verlassen hatte. Seinen Gefährten zurückgelassen. Das er mich betrog, immer und immer wieder. Ich konnte nicht so weiterleben.

Das Feuer in meinen Gliedern begann sich zurückzuziehen, verweilte erneut zwischen meinen Lungen, machte Platz ffür die Kälte meiner Umgebung, den tausenden feinen Nadelstichen des eisigen Regens. Mein Atem war schwer, schleppend, jede Faser meines Körpers bis in die Dysfunktionalität erschöpft.

Eine leblose Puppe im Dunkeln der Nacht, versteckt zwischen Mosen und Sträuchern, verdeckt von häuserhohen Baumkronen. Das hellbraune Haar zerstört, die roten Lippen zerbissen, die Wangen geröret. Was ein erbärmlicher Anblick ich doch sein musste.

Fast, aber nur fast hätte ich über diesen Gedanken gelacht. Doch die Trauer siegte, begleitet von der Verzweiflung die ich jetzt schon so lange in meinem Verstand trug. Es würde sich nichts ändern wenn ich nicht handelte. Doch war ich mir nicht sicher ob ich bereit war zu handeln. Nichts schien wirklich sicher. Mein Kopf war leer, gedankenlos.

Die Dunkelheit schien sich um meinen Leib zu schlingen, ihn einzunehmen. Würde nicht in ein paar Stunden etwas geschehen würde ich wohl erbärmlich erfrieren. Ein erbarmungsvolles Ende für ein Leben das keines kannte.

"Ray?" Die altbekannte Stimme schien sich zu überschlagen während eine schlacksige Gestalt auf mich zurannte, die schwarzen Haare an der schneeweißen Haut klebend wie eine Matte.

"A-andy"

Chasing MatesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt