Kapitel I

4 1 0
                                    

„Kathelyn, Liebste! Das Volk hat nach deiner Stimme gefragt!", rief mein Onkel Gabriel aus und übergab mir einen Brief, „Sie fragen, ob sie einen weiteren Hafen bauen dürfen." Ich las den Brief durch und nickte schliesslich. „Ja, ich finde die Anfrage passend. Unsere Wirtschaft blüht und wir können uns einen grösseren Hafen leisten", antwortete ich, unterschrieb das Blatt und übergab ihn Gabriel zurück, „danke, für die Info. Bitte bring ihnen den Brief zurück." Gabriel nickte lächelnd, verbeugte sich kurz und verliess somit mein Arbeitszimmer. Kaum war ich alleine, so trat eine weitere Person herein. „Guten Morgen, Prinzessin", begrüsste mich meine Dienerin Emma. Sie trug ein Tablett mit einem Krug Wasser und einer Tasse herein. „Welchen Tee gelüstet Sie heute?", fragte sie mich mit einem Lächeln und stellte das Tablett auf einen kleineren Tisch ab. „Etwas gegen Müdigkeit", antwortete ich und legte meine Füllfeder ab. Sie nickte und mit einer kurzen Handbewegung verwandelte sich das Wasser im Krug in roten Tee. Emma goss den Tee in die Tasse und stellte mir die Tasse auf mein Pult. Ich bedankte mich bei ihr und nach einer Verbeugung verliess sie mein Zimmer. Seufzend streckte ich mich und beendete meine Arbeit, welche nur aus Lesen und Unterschreiben von Protokollen bestand. Ich richtete meine goldene Krone auf. Geschwind trank ich den Tee fertig und nahm mir vor, einen Spaziergang in den königlichen Gärten zu unternehmen. Das Wetter war an diesem Tag gut und ich hatte den Bedarf nach draussen zu gehen. Ich verliess mein Arbeitszimmer, worauf ich von Ethan, meinem Leibwächter, begrüsst wurde. Er verbeugte sich kurz und lief mir hinterher. Seine braunen Locken hüpften leicht im Schritt. „Du weisst schon, du musst mich nicht immer begleiten", erinnerte ich ihn doch er lachte nur nervös. „Wenn der Herzog erführe, dass ich dich alleine gelassen hätte, dann liesse er mich garantiert köpfen!", meinte er und lächelte mich an. Seine goldenen Augen glitzerten. „Ohne meine Zustimmung wird das nicht passieren", kicherte ich und blickte aus einem grossen Fenster heraus. Ethan trat vor mich und öffnete mir eine grosse hölzerne Türe, welche in den Garten führte. Das Zwitschern der Vögel und die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut begrüssten mich. Mit leichten Schritten trat ich auf die grüne Wiese. Ein Kieselweg führte durch den Garten unter einer grünen Allee hindurch. Die grossen Bäume warfen viel Schatten auf uns. „Heute ist ein wunderschöner Tag", bemerkte Ethan und legte seine Hände hinter seinen Rücken und Flügel. Eine leichte Brise flog über uns hindurch und der Duft von süssen Blüten lag in der Luft. „Es ist wirklich schön heute", stimmte ich Ethan zu und wir liefen still Seite an Seite über den Kieselweg. Das Rauschen des Meeres konnte man in der Ferne hören. „Wie war die Arbeit, Prinzessin?", fragte Ethan mich, um die Stille zu unterbrechen. Ich lachte leise und blickte in die Baumkronen. „Ich habe dir gesagt, du kannst mich mit meinem Namen ansprechen, wenn wir alleine sind, Ethan!", seufzte ich, denn wir führten dieses Gespräch öfter als ich eigentlich wollte. „Ist eine Angewohnheit", verteidigte Ethan sich und wir lachten. „Die Arbeit verlief wie immer", beantwortete ich schliesslich seine Frage, worauf er verständlich nickte. Farbige Blumen schmückten den Wegrand, als wir näher an mein Ziel kamen. Ich hielt kurz an und pflückte zwei weisse Lilien, welche gerade neben weiteren farbigen Lilien blühten. Ruhig liefen wir weiter und ich erblickte das helle Ende des grünen Tunnels. Schliesslich traten wir in die kleine Lichtung, umzingelt von Bäumen und farbenfrohen Blumen. Eine Vielfalt von Schmetterlingen tanzte um uns herum. Vor uns lag eine Klippe, an welcher keine Bäume wuchsen, deshalb konnten wir das türkisblaue Meer erkennen. Die Aussicht war heute besonders atemberaubend. Der Grund weshalb wir hier waren, war aber nicht die Aussicht. Wir besuchten meine Eltern. Inmitten der Lichtung standen zwei weisse Marmor Grabsteine mit den goldenen Namen Markus und Leana Clourne. Ich kniete mich vor die zwei Gräber ins Gras und legte die zwei Blumen vor sie. Ich flüsterte leise, wie sehr ich sie liebe und vermisse und dass alles gut läuft. Aufgeregt erzählte ich ihnen, wie mein Tag verlief und verabschiedete mich zuletzt. Ethan gab mir eine Hand beim Aufstehen und ich klopfte kurz mein langes Kleid ab. „Du sollst dich nicht immer ins Gras setzten", ermahnte Ethan und verschränkte seine Arme, „deine schönen Kleider werden ganz dreckig!" Ich zuckte gelassen mit den Schultern und trällerte: „Meine Kleider kommen an zweiter Stelle. Meine Eltern an erste." Ethan schüttelte seinen Kopf und kniete sich vor die Gräber. Seine braunen Flügel berührten den Boden. Während er mit meinen Eltern sprach, schaute ich mein Kleid an. Es hatte die Farbe von Sonnenstrahlen. Golden schimmerte es im Licht.

Ich steckte eine braune Strähne hinter mein Ohr und wandte mich zu Ethan zurück. Ethan erhob sich leise vom Boden und drehte sich zu mir. „Lass uns gehen", forderte ich ihn lächelnd auf und er nickte. Zusammen verliessen wir die Lichtung und ich fühlte, wie mein Herz leichter wurde. Auch wenn meine Eltern nicht mehr da waren, es fühlte sich gut an, ihnen alles zu sagen. „Machst du dir manchmal Sorgen?", fragte mich Ethan plötzlich mit einer besorgten Stimme. Ich neigte meinen Kopf zur Seite und schaute ihn fragend an. „Was meinst du?", hinterfragte ich ihn. „Du bist schon erwachsen und hast immer noch keine Kräfte...", erklärte er bedrückt. Ich überlegte kurz und antwortete schliesslich: „Nein, nicht wirklich. Ich habe ja dich!" Ethan lachte leise, aber ich spürte trotzdem, dass er besorgt war. „Und möchtest du nicht nach draussen gehen?", murmelte er und schaute nach vorne. Ich lächelte still vor mich hin. „Manchmal. Aber ich verstehe ja, weshalb ich nicht nach draussen gehen darf, deshalb ist es mir recht", erklärte ich ihm und er nickte still. Seine Federn wehten im Wind und unbewusst streckte ich meine Hand nach ihnen aus. Ethan hielt an und schaute mich überrascht an. „Was ist?", fragte er mich und kicherte, während ich ihm durch seine Federn strich. Ich schüttelte meinen Kopf und antwortete: „Ach, nichts. Ich finde deine Flügel immer so interessant." Ethan summte vor sich hin und streckte seine Flügel aus. Je länger ich seine Federn anblickte, desto frustrierter wurde ich. „Wie kannst du dich überhaupt umziehen? Ist das nicht kompliziert?", fragte ich ihn, genervt schon von der Idee. Ethan trug eine Uniform, welche speziell für ihn angefertigt wurde, aber für mich schien es trotzdem unmöglich. Er lachte laut und kratzte sich hinter seinem Nacken. „Es ist kompliziert", meinte er und wir lachten. Ich liess seine Flügel los und wir liefen weiter.

Der Kieselweg hörte auf und wir traten auf die Wiese. Ich setzte mich auf eine hölzerne Bank, welche im Schatten der Bäume lag. „Möchtest du Tee? Soll ich Emma rufen?", fragte mich Ethan, aber ich dankte ihn freundlich ab. Ethan setzte sich neben mich hin. Ich blickte in den wolkenlosen Himmel. „So soll's immer sein, Ethan", seufzte ich glücklich. Ethan summte zustimmend. Plötzlich hörten wir ein tiefes Donnern. Ein Rufhorn ertönte alarmierend. Wir fuhren hoch und schauten uns an. Ich vernahm dumpfe Schreie. „Kathy, wir müssen-" „Ethan", unterbrach ich ihn tonlos und zeigte in den Himmel hinter ihm. Er drehte sich um und seine goldenen Augen weiteten sich. Eine Gruppe Reiter auf Greifen flogen in unsere Richtung. Dunkle Rauchwolken stiegen unter ihnen hervor. Sie schienen die Stadt anzugreifen. „Das sind Rebellen!", stellte Ethan fest und drehte sich zu mir. „Schnell! Ins Schloss!", befahl er, doch ein plötzlicher Windstoss liess mich aus der Fassung fallen. Zwei Greife landeten im Garten und zwei Rebellen sprangen von ihnen herab. Ethan stand beschützend vor mich und zog sein silbernes Schwert hervor. Eine Rebellin rannte auf uns zu und streckte ihre Hand aus. Kaum tat sie dies, so fiel Ethan ohnmächtig zu Boden. „Ethan!", rief ich entsetzt und wollte mich zu ihm hinknien. Die Rebellin trat vor mich hin und streckte auch mir die Hand entgegen. Ich wollte schreien, doch nur schwarze Leere begrüsste mich. Den harten Boden spürte ich zuletzt.

Kathelyn und der TurmalinWhere stories live. Discover now