Kapitel 1

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Glücklich starre ich den Brief in meinen Händen an. Die offizielle Einladung zur Aufnahmeprüfung zur Schattenkriegerin bei den Schattenwölfen. Qualifiziert hatte ich mich bei dem Rennen im letzten Monat. Dreihundert Wölfe aus verschieden Rudeln sind gegeneinander angetreten und ich war unter den ersten zehn im Ziel. Stolz grinse ich vor mich hin. Das harte Training hatte sich gelohnt! Mit meinen 18 Jahren war ich nämlich gerade alt genug um an dem Vorausscheidrennen und der Aufnahmeprüfung teilzunehmen. Nicht viele in meinem Alter konnten mit den älteren Teilnehmern mithalten. Das Flugzeug ruckelt einmal kräftig, wodurch ich nochmal erinnert werde, wo ich mich gerade befinde. Mein Grinsen wird breiter. Ich, Lucy Rosefield, sitze in einem verdammten Privatflugzeug und bin auf den Weg ins Gebiet der Schattenwölfe. Mit im Flugzeug sind außer mir noch neun weitere Anwärter für einen der heißbegehrten Kriegerposten und noch ein paar Bewerber für andere Stellen. Aus dem ganzen Land kommen genau fünfhundert Teilnehmer zur Aufnahmeprüfung. Aus jeder Region werden nur zehn Leute ausgewählt, die zur Prüfung zugelassen werden. In der Aufnahmeprüfung werden aus diesen fünfhundert Leuten einhundert ausgewählt, die zu Schattenkriegern ausgebildet werden. Wobei nicht alle diese Ausbildung überleben, sodass am Ende vielleicht siebzig ausgebildete Schattenkrieger entstehen. Die absolute Elite unter den Kämpfern. Jeder himmelt sie an, keiner legt sich mit ihnen an. Sie sind stark. Sie sind mächtig. Aber vor allem sind sie gefährlich. Und ich will um jeden Preis einer von ihnen werden. Leider bin ich damit bei weitem nicht die Einzige. Ich seufze mein Ziel zu erreichen würde ein ganzes Stück harte Arbeit bedeuten, aber das ist es definitiv wert. Ein Rumsen ertönt neben mir, woraufhin ich mich nach rechts drehe. Auf dem Sitz neben mir hat es sich ein frech aussehender Lockenkopf bequem gemacht, der mich schief anlächelt. Verwundert ziehe ich eine Augenbraue hoch und warte auf eine Erklärung dafür, warum er mich stört. Stattdessen streckt er mir nur die Hand entgegen und meint: „Hey, ich bin Noah. Ich bin für die Prüfung zum Rudelarzt hier."
Eigentlich habe ich mir vor genommen mich mit niemanden anzufreunden. Was brachte einem eine Freundschaft zu anderen Bewerbern, wenn eine große Chance besteht, dass mindestens einer von euch beiden rausfliegt? Ihr euch vielleicht sogar gegeneinander kämpfen müsst? Nein, das wäre nur Zeitverschwendung. Doch Noah würde eine Arztprüfung ablegen. Er ist weder Konkurrenz für mich, noch besteht eine besonders große Chance das er rausfliegt. Die Ärzteprüfung ist, anders als die Prüfung für Krieger, kein Wettbewerb. Bedächtig reiche ich ihm also ebenfalls die Hand.
„Lucy. Ich bin hier für die Prüfung zur Schattenkriegerin", erwidere ich kurz. Seine Augen werden ganz groß und es tritt ein Funkeln in sie. „Das ist ja verdammt cool, dann musst du richtig stark und schlau sein. Wie viele Punkte hattest du in der theoretischen Prüfung für den Ausscheid? Eigentlich hatte ich gehofft, dass du auch eine Ärztin bist, dann hätte ich schon mal jemanden gekannt. Aber falls du wirklich ausgebildet wirst, ist es sicherlich hilfreich dich zu kennen."
Während er spricht holt er kein einziges Mal Luft, weswegen ich mich frage, ob ein Job als Perlentaucher für ihn nicht geeigneter wäre. Noch völlig überrascht von dem Redefluss muss ich erstmal ein paar Mal blinzeln, bevor ich antworten kann. Als ich ihm dann erkläre, dass ich bei dem theoretischen Teil volle Punktzahl erreicht habe, scheint er total auszuflippen. Zum Glück kann ich ihn schnell wieder beruhigen, sodass wir keine Blicke auf uns ziehen.

Nach drei weiteren Stunden, in denen Noah mich ausgequetscht hat, setzen wir endlich zur Landung an. Aufgeregt wandert mein Blick zum Fenstern und streift über die weite Landschaft. Riesige Wälder ziehen sich über das Gebiet der Schattenwölfe, welche nur kurz durchbrochen werden durch Wiesen oder Flüsse. Ich fühle mich wie ein kleines Kind an Weihnachten, kann gar nicht richtig glauben, dass das gerade wirklich passiert. Doch Noah, der sich gerade über mich beugt, um ebenfalls die Landschaft zu bestaunen, beweist, dass das hier echt ist. Einen solchen lebensfrohen Jungen hätte ich mir nicht einmal in meinen kühnsten Träumen ausmalen können. Ich bemerke, wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht schleicht. Er hatte sich doch tatsächlich in den letzten Stunden in mein Herz geschlichen. Was, wenn ich das mal erwähnen darf, gar nicht so leicht ist. Normalerweise lasse ich nämlich niemanden so leicht an mich heran. Bis auf meine Familie habe ich in meinem Dorf nur eine Person, die mir wichtig ist. Meine beste Freundin Miriam. Als ich daran denke, wie wir uns angefreundet haben, muss ich grinsen. Zuerst war ich zu ihr genauso abweisend wie zu allen anderen Kindern, doch das hat sie gar nicht gestört. Trotzdem ist sie immer wieder zu mir gekommen und hat mich durch die Gegend geschleift. Und egal wie sehr ich mich dagegen gewehrt habe, irgendwann musste ich zugeben, dass sie mir wichtig geworden war. Seitdem verbrachten wir sehr viel Zeit miteinander. Sie half mir beim Training und ich half ihr bei ihren Anliegen. Diese wechselten allerdings meistens wöchentlich. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als das Flugzeug auf der Rollbahn aufsetzt. Gespannt blicke ich abermals aus dem Fenster. Ich erkenne weitere Flugzeuge, welche schon vor uns angekommen sein müssen. Außerdem eine Reihe von Menschen, die auf uns zu warten scheinen. Aufgeregt greife ich nach meinem Koffer und steige mit Noah zusammen aus dem Flugzeug. Die Sonne blendet, sodass ich erstmal heftig blinzeln muss, bevor ich etwas sehen kann. Der Pilot unseres Flugzeuges tritt vor uns und beginnt eine Ansage: „Willkommen im Reich der Schattenwölfe. Heute werdet ihr euch noch ausruhen dürfen bevor es morgen losgeht. Die restlichen Teilnehmer der Prüfungen werden heute im Laufe des Tages noch ankommen oder sind teilweise schon vor Ort. Ihr werdet nun in Gruppen aufgeteilt, je nach dem welche Prüfung ihr absolvieren wollt. Die Gruppen werden dann von den zuständigen Personen in ihr Gruppenhaus gebracht und bekommen eine kleine Führung über das Gelände. Mister Wensch treten sie bitte vor und nehmen sie sich die zukünftigen Ärzte zur Hand."
Ein groß gewachsener Mann mit Ziegenbärtchen tritt hervor. Er trägt einen langen lilafarbenen Umhang und wirkt damit eher wie en Zauberer als ein Arzt. Noah neben mir wird ganz blass, weswegen ich kurz seine Hand nehme und beruhigend zudrücke. Gequält lächelt er mich ein letztes Mal an und geht dann nach vorne. Ganz ehrlich? Ich kann seine Beunruhigung verstehen. Mister Wensch ist ein Mensch, den man nicht unbedingt nachts begegnen möchte. Sein kalter Blick scheint die  wahrscheinlich neuen Novizen quasi zu durchbohren. Dann dreht er sich plötzlich ruckartig um und entfernt sich mit großen Schritten. Und mit ihm verlässt mich auch gleichzeitig der einzige Mensch den ich bis jetzt kenne. Na ganz toll! Ich seufze und wende mich wieder unserem Piloten zu, welcher weitere Führer verteilt. Als schließlich nur noch zwei zur Auswahl stehen, wird auch endlich meine Gruppe aufgerufen. Unsere Führerin ist eine hochgewachsene Frau mit schulterlangen braunen Haaren und ebenso braunen Augen. Sie ist breit gebaut und sieht so aus, als könnte sie Baumstämme herausreißen. Doch im Gegensatz zu Mister Wensch ist ihr Blick warm und keinesfalls furchteinflößend. Erleichtert atme ich auf und folge der Frau. Wir überqueren den Flugplatz uns nehmen einen kleinen sandigen Waldweg.
„Hallo, mein Name ist Annabelle und ich bin vorerst die Leiterin eures Hauses. Ihr seit im Haus 9 untergebracht zusammen mit den Teilnehmern aus Verania, sodass ihr also insgesamt zwanzig Leute seid. Ich bin dafür zuständig, dass die Regeln im Haus alle eingehalten werden und stehe jederzeit für Fragen zur Verfügung. Die Regeln findet ihr übrigens in euerm Zimmer, dass ihr euch jeweils mit einem Teilnehmer aus Verania teilt. Und nein ihr könnt nicht auch mit jemanden aus euer Region in ein Zimmer. Die Aufteilung ist extra so damit ihr mit den Leuten in Kontakt tretet."
Ich würde also einen Zimmerpartner bekommen? Hoffentlich erwartet der oder die nicht, dass wir Freunde werden. Noah reichte mir als Bekannter erstmal völlig aus. In Gedanken versunken blicke ich auf meine Füße und frage mich, wie lang sich dieser Weg noch erstreckt. Meine Antwort bekomme ich schneller als erwartet, denn schon im nächsten Moment treten wir auf eine riesige Lichtung. Mehrere riesige Blockhütten sind auf dem Gelände verteilt. Zielstrebig steuert Annabelle auf eine dieser zu. An der Eingangstür des Hauses prangert eine riesige 9. Das muss dann wohl unser Haus sein. Nachdem Annabelle die Tür aufgestoßen hat geht die Erkundungstour durch das Haus auch schon los. Natürlich angefangen bei den Zimmern, sodass wir unsere Koffer dort verstauen können. Wir scheinen vor den Leuten aus Verania da zu sein, da noch kein weiterer Koffer im Zimmer steht. Nach den Zimmern wird uns noch das Wohnzimmer, das Esszimmer, die Küche und letztendlich auch Annabelle's Zimmer gezeigt. Alles ist sehr geräumig, da schließlich zwanzig Leute hier Platz haben müssen. Dann setzen wir die Führung draußen fort.

Nach Stunden in denen wir das für uns gedachte Gelände erkundet haben, bin ich froh endlich wieder in meinem Zimmer angekommen zu sein. Ich hoffe ich hatte mir den Weg zum Trainingsplatz gemerkt, zu dem ich morgen früh hin muss. Ein weiteres Mal heute streift mein Blick durch das kleine Zimmer. Bis auf zweit Betten, Nachtische und einem großen Kleiderschrank befindet sich nicht viel im Raum. Doch das stört mich nicht wirklich. Das Wichtigste ist, dass wir ein kleines Badezimmer nebenan haben, sodass ich mich nicht mit neunzehn anderen um das Bad prügeln muss. Überrascht stelle ich fest, dass mittlerweile ein zweiter Koffer im Zimmer steht. Das heißt wohl ich werde bald meinen neuen Mitbewohner kennen lernen. Aber erstmal kann ich meinen Koffer auspacken. Gesagt getan. Überraschenderweise befinden sich schon Sachen im Schrank. Verwundet greife ich danach und sehe sie mir an. Es handelt sich um Trainingsanzüge, welche sogar meiner Größe entsprechen. Neugierig sehe ich in die andere Schrankhälfte. Auch hier befinden sich Trainingsklamotten, jedoch in einem Männerschnitt und einige Nummer größer. Groß Gedanken darum kann ich mir nicht machen, da geht schon die Tür auf und ein Junge taucht auf. Er ist vielleicht zwei Jahre älter als ich, hat kurze braune Haare und ebenfalls braune Augen. Seine Statur erinnert mich an einen Schrank so breit ist er gebaut. Einige Sekunden sehen wir uns nur stumm an. Dann bricht es aus ihm heraus: „Du bist ja gar kein Junge."
Belustigt ziehe ich eine Augenbraue hoch und erwidere: „Offensichtlich nicht."
Darauf hin läuft mein Mitbewohner leicht rot an und sieht peinlich gerührt auf seine Füße. Was, nebenbei gesagt, echt lustig aussieht. Er erinnert mich an einen riesigen Teddybären. Schließlich scheint er sich einen Ruck zugeben und lächelt mich lieb an. „Sorry. Ich habe nur echt nicht mit einem Mädchen gerechnet. Ich bin übrigens Luca."
Ich winke ab. Ich weiß ja selber, dass nicht unbedingt viele Mädchen an der Aufnahmeprüfung teilnahmen.
„Ich bin Lucy. Nett dich kennenzulernen."
Nett dich kennenzulernen? Was ist mit mir falsch? Die Stunden im Flugzeug neben Noah hatten mir echt nicht gut getan. Sonst bin ich nie nett zu Fremden. Ich schüttle meinen Kopf. Mein Aufenthalt hier würde sich noch als ein echtes Abenteuer entpuppen, da war ich mir sicher!

Hallöchen. Das war also das erste Kapitel mit der kleinen Einführung. Nächstes Mal geht es dann richtig los. Falls ihr irgendwelche Fehler gefunden habt, würde ich mich freuen, wenn ihr diese meldet. Sonst kann ich nur noch sagen: Bis zu nächsten Teil!

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