Kapitel 6

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Mittlerweile waren schon zwei Wochen vergangen, in denen ich mit Alex' trainierte. Er ist immer noch genauso gefühlskalt, wie am Anfang. Außerdem ist sein Training mit der Zeit immer anstrengender geworden, obwohl ich das erst nicht für möglich gehalten habe. Doch es hat etwas Gutes. Dadurch, dass er mich immer wieder an meine Grenzen bringt, hilft er mir dabei stärker zu werden. Er hat sich meinen Respekt definitiv verdient, auch wenn ich ihn manchmal am liebsten umbringen würde. Luca und Noah hatten es jedes Mal geschafft mich nach dem Training wieder aufzupäppeln, wofür ich ihnen echt dankbar bin. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich verhungert, da ich nach dem Unterricht keinen Finger mehr rühren wollte und nur gegessen habe, weil sie mich dazu gezwungen haben. Alles in Allem kann ich sagen, dass ich die letzten Wochen genossen habe und zufrieden mit mir bin. Doch zwei Sachen machen mir Sorgen: Erstens träume ich immer wieder merkwürdige Dinge, die sich echt real anfühlen. Immer wieder spielt ein und die selbe Person mit, von der ich weiß, dass ich sie kenne, doch trotzdem nicht herausfinde wer es ist. Und zweitens findet bald der Mateball statt, für den ich mal so gar nicht bereit bin. Bin ich nicht noch zu jung, um mein ganzes Leben einer Person zu widmen? Ich bemerke wie sich jemand neben mich sinken lässt und ebenfalls die Füße in den kleinen See baumeln lässt. Verwundert blicke ich auf und sehe direkt in zwei blaue Augen. Schweigend sitzen wir eine Weile nebeneinander auf dem kleinen Steg und lassen unsere Füße in das Wasser baumeln. Es ist eine angenehme Stille, die Platz für die Gedanken des jeweils anderen lässt. Erst nach einer Weile unterbricht er die Stille.
„Es ist bald Blutmond und du wirst mit den anderen Achtzehnjährigen zum Mateball in die Stadt gehen. Ich schätze du hast noch keine Unterkunft für die Nacht, deswegen wollte ich dir anbieten, dass du bei mir schlafen kannst. Ich weiß wie viele Sorgen du dir wegen der Matesache machst und dachte es würde dir vielleicht helfen, wenn ich dich begleite."
Gleichgültig zuckt er mit den Schultern, während ich ihn nur fassungslos und mit heruntergeklappter Kinnlade betrachten kann. Erst nach einigen Sekunden kann ich sein Gesagtes wirklich realisieren und schenke ihm ein ehrliches Lächeln. Am liebsten würde ich ihm aus Dankbarkeit um den Hals fallen, doch das wäre wohl zu viel des Guten. Also begnüge ich mich damit mich überschwänglich zu bedanken. In solchen Momenten merkt man deutlich, dass selbst Alexander kein Herz aus Stein besitzt. Insgeheim bin ich stolz darauf, dass er mir das angeboten hat, denn so weiß ich, dass ich ihm nicht vollkommen egal bin. Grinsend knuffe ich ihm mit meinem Ellenbogen in die Seite.
„Du bist ja doch gar nicht so ein seelenloses Biest wie ich immer dachte", provoziere ich ihn und grinse ihn frech an.
Erst guckt er mich verdattert an, dann beginnt er plötzlich herzhaft zu Lachen. Ich habe mit vielen Reaktionen gerechnet, nur nicht mit dieser. Erstaunt präge ich mir seine Gesichtszüge ein und lasse mich von dem melodischen Geräusch einlullen. Ich könnte ihm stundenlang beim Lachen zuhören. Er sieht in diesem Moment so entspannt aus, fast schon jungenhaft. Der Anblick ist einfach nur atemberaubend. Ich würde ihn gern öfter so befreit sehen, doch irgendetwas hindert ihn daran. Ich wüsste gern was es ist, damit ich ihm helfen kann es zu überwinden. Das ist der Moment, in dem ich mir verspreche, dass ich seine Mauer brechen werde. Ich bin mir sicher, dass Alex auch eine liebevolle Seite in sich trägt und nicht ein einziger Eisklotz ist. Im Grunde muss ich nur das dicke Eisschild zerschlagen, das sein Herz umgibt. Denn nur wenn er mir vertraut und sich mir offenbart, kann ich ihm helfen. Ich möchte nicht, dass dieser Moment endet. Nur für ein paar weitere Sekunden, will ich sein Lachen hören. Es ist zwar gewagt und ich habe absolut keine Sicherheit dafür, dass er das auch witzig finden wird, doch ich muss es versuchen. Blitzschnell springe ich auf und schupse ihn vom Steg herunter in das kühle Nass. Als er wieder auf taucht starrt er mich vernichtend an. Was habe ich nur getan? Ängstlich weiche ich seinem Blick aus und im nächsten Moment spüre ich einen Schwall Wasser,der mich von oben bis unten durchnässt. Verwirrt blicke ich wieder zu Alex, auf dessen Gesicht sich mittlerweile ein fieses Grinsen gebildet hat. Gespielt empört sehe ich ihn an und beuge mich hinunter, um ihn vom Steg aus ebenfalls nass zu spritzen. Jedoch geht das deutlich schief. In dem Moment, in dem meine Hand das Wasser berührt, umgreift Alex sie und zieht mich zu ihm ins Wasser. Ein vergnügtes Funkeln ist in seine Augen getreten, das mir sagt, dass er nicht so leicht verlieren wird. Also stürze ich mich mit einem Kampfschrei auf ihn und versuche mit aller Macht seinen Kopf unter Wasser zu drücken. Leider ist pure Kraft, wie ihr schon wisst, nicht meine Stärke und so endet es damit, dass Alex sich nicht einen Meter bewegt und mich für meinen kläglichen Versuch auslacht. Beleidigt schiebe ich meine Unterlippe hervor, woraufhin er mir einmal versöhnlich durch die Haare wuschelt. Doch von einer Sekunde auf die andere verschließt er sich wieder und sein Gesicht spiegelt keine Reaktion mehr. Stattdessen schwimmt er wortlos zum Steg, hievt sich hoch und geht einfach davon. Lässt mich hier alleine und mittlerweile frierend zurück.

„Gib das wieder, das ist meine Schokolade."
Kichernd beobachte ich Noah dabei, wie er versucht an seine geliebte Süßigkeit zu gelangen, welche Luca weit nach oben hält. Immer wieder versucht er an ihm hochzuspringen, doch kommt nicht mal ansatzweise in die Nähe der Schokolade.
„Was kriege ich dafür, wenn ich dir die Schokolade gebe?", fragt der Größere grinsend.
Wütend funkelt Noah ihn an und versucht ihn zu treten, was Luca jedoch einfach nur noch mehr lachen lässt. Was würde ich nur ohne meine beiden Freunde tun? Plötzlich richtet sich Noah's verzweifelter Blick auf mich.
„Jetzt mach doch auch mal etwas! Wie kannst du nur zulassen, dass er mich tyrannisiert?"
Ich ziehe amüsiert eine Augenbraue hoch und frage: „Tyrannisiert? Findest du das nicht etwas zu übertrieben ausgedrückt?"
Ungläubig guckt er mich an, schüttelt wild den Kopf, zeigt auf die Schokolade und meint, dass Luca ihm seinen wertvollsten Besitz geklaut hat. Lachend rolle ich mit meinen Augen und wende mich dann an Luca.
„Nun gib ihm schon seine Schokolade wieder, bevor er noch vollkommen durchdreht."
Kurz betrachtet Luca den Kleinen noch und gibt im dann zögerlich die braune Süßigkeit zurück. Noah's Augen strahlen freudig, sobald er seinen Schatz in den Händen hält. Gleich reißt er die Verpackung auf und beißt freudestrahlend von der Schokolade ab. Belustigt schüttle ich den Kopf, als ich betrachte, wie in kürzester Zeit sein ganzer Mund von einem braunen Rand geziert ist. Glücklich mampfend fragt er uns: „Habt ihr Lust mit mir Basketball zu spielen? Ich kenne ein paar Leute, die eigentlich immer am Spielen sind. Wir können bestimmt einfach mitmachen"
Luca und ich stimmen zu und so machen wir uns auf den Weg zu den Sportplätzen.

Schnell dribble ich auf den Korb zu und setze zum Sprung an, doch einer der anderen Spieler hat meine Aktion durchschaut und erhebt sich ebenfalls in die Lüfte. Er versucht mir den Ball aus der Hand zu schlagen, doch in der letzten Sekunde wechsele der Ball in meine linke Hand und ich versenke ihn im Korb. Ungläubig guckt der Junge mich an, während ich ihm nur triumphierend entgegen grinse. Im nächsten Moment spüre ich ein Gewicht auf meinem Rücken und ich stöhne auf.
„Damit habt ihr wohl nicht gerechnet, dass ein Mädchen euch so fertig machen kann", brüllt Noah munter von meinem Rücken aus. Doch er hat Recht, die meisten Punkte in diesem Spiel gingen auf mein Konto. Das liegt jedoch daran, dass Basketball meine geheime Leidenschaft ist und ich schon ewig spiele. Wäre das hier ein Fußballmatch, dann würde ich definitiv total versagen. Plötzlich ertönt ein verächtliches Schnauben hinter uns, zudem ich mich sogleich umdrehe. Ich blicke in ein arrogantes Jungengesicht. Der Typ hat penibel zurückgestylte, blonde Haare und ordentlich abgestimmte Kleidung. Sein Blick gleitet arrogant über meinen Körper. Er begutachtet meine vom Spielen dreckigen Klamotten und meine zerzausten Haare. Als er zu sprechen beginnt, trieft seine Stimme nur so vor Abscheu.
„Du bist doch die Kleine, die sich Alex ausgesucht hat? Wie hast du ihn dazu bekommen so etwas wie dich freiwillig zu nehmen?", er verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse, bevor er weiter spricht: „Hast du ihn bestochen oder bedroht? Ich meine, du bist ein einziger Unfall. Normalerweise würde mich das nicht stören. Ich bin sicher, du wirst sowieso bald rausfliegen, aber du hast mir den Trainer weggeschnappt und das wirst du büßen."
Mit einem letzten giftigen Blick in meine Richtung dreht er sich um und schreitet davon. Vielleicht sollte ich wegen der Drohung besorgt sein, doch sein Auftritt war einfach so lächerlich, dass ich einfach nicht ernst bleiben kann. Meinen Freunden scheint es ähnlich zu gehen, denn ich höre schon leises Gekicher neben meinem Ohr. Erst jetzt werde ich mir wieder dem Gewicht auf meinem Rücken bewusst und schnell schüttle ich Noah ab. Und auch wenn ich es vielleicht bereuen werde, vergesse ich den blonden Jungen schnell wieder und widme mich lieber dem Spiel.

SchattenkriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt