Kapitel 5

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Mittlerweile renne ich Alex schon eine gefühlte Stunde hinterher. Was anstrengender ist, als zu erst vermutet. Das kommt hauptsächlich davon, dass Alex' Route sich als eine Art Hürdenlauf entpuppt hat. Mal lag ein riesiger Baum im Weg, ein anderes Mal mussten wir einen Fluss durchqueren und Hügel hoch und runter rennen gehört natürlich auch zum Programm. Dementsprechend bin ich ein wenig aus der Puste, obwohl ich normalerweise keine Probleme mit meiner Ausdauer habe. Trotzdem erlaubt mir mein Stolz nicht, dass ich langsamer werde und so hechle ich weiter hinter Alexander her. Er scheint in kleinster Weise angestrengt zu sein. Es wirkt so, als würde er das jeden Morgen machen. Was ich ihm, nebenbei gesagt, zutrauen würde. Geschmeidig springt er über einen weiteren Ast. Fast wirkt er gar nicht mehr wie ein Wolf, sondern eher wie eine Katze, so elegant bewegt er sich. Daneben fühle ich mich ungelenk und tollpatschig. Dieses Gefühl verstärkt sich, als ich mit einer Pfote am Baum hängen bleibe und mich schon im nächsten Moment über den Boden kugle. Durch das Geräusch vom Aufprall scheine ich meinen Trainer auf mich aufmerksam zu machen. Er dreht sich um und trottet zu mir hin, dann beugt er sich zu mir hinunter und stupst mich behutsam mit seiner Schnauze an. Er entfernt sich wieder von mir und guckt mich mit schief gelegten Kopf fragend an. Ich schüttle nur leicht den Kopf, als Zeichen dafür, dass ich mir nicht weh getan habe. Dann rapple ich mich wieder auf, schüttle den Dreck aus meinem Fell und gebe Alex zu verstehen, dass wir weiter können.Mit einem letzten prüfenden Blick läuft er wieder los. Diesmal jedoch deutlich langsamer und ich erwische ihn dabei, wie er immer wieder kurz nach mir sieht, um sich zu vergewissern, dass es mir wirklich gut geht. Diese Tatsache verwundert mich, denn er scheint nicht gerade der Typ zu sein, der sich übermäßig viel um andere sorgt. Zumal dieser Sturz wirklich nicht besonders schlimm war, da hatte ich schon deutlich schmerzhaftere Erlebnisse. Ich erinnere mich an das eine Mal, als ich aus Versehen während dem Klettern an einen Bienenstock gekommen war. Schon allein bei dem Gedanken daran sträubt sich mir das Fell und ich muss mich schütteln. In Gedanken versunken merke ich nicht, dass Alex stehen bleibt, weswegen ich geradewegs in ihn hineinrenne. Sogleich wirft der Wolf mir einen Todesblick zu, was mich dieses Mal jedoch eher beruhigt. Das heißt er ist wieder der unnahbare Alex und nicht der Besorgte. Das vorher hat mich einfach zu sehr irritiert, so weiß ich wenigstens, was ich zu erwarten habe. Erst jetzt bemerke ich, dass ich gar nicht weiß, weswegen wir stehen geblieben sind. Vorsichtig spähe ich hinter Alex hervor. Vor uns befindet sich eine kleine Lichtung, welche durch einen schmalen Fluss durchbrochen wird. Staunend betrachte ich die blühende, grüne Landschaft um mich herum. Es ist wirklich wunderschön hier, doch was machen wir hier? Fragend gucke ich ihn an. Daraufhin zeigt er mit seiner Schnauze auf meine Klamotten, welche ich immer noch im Maul trage. Ich verstehe und husche schnell hinter einen Baum, um mich zurück zu verwandeln. Als ich wieder hervorkomme steht Alex schon wieder vollkommen angekleidet vor mir und winkt mich näher zu mir.
„Traditionell geht jeder Schüler mit seinem Lehrer am ersten Tag den Link ein. So können wir uns auch über größere Distanzen und in Wolfsform verständigen. Ich dachte das ist vielleicht der richtige Ort dafür,  schließlich ist das für mache etwas Besonderes."
Nachdem er geendet hat zuckt er desinteressiert mit den Schultern und sieht demonstrativ weg. Schnaubend verdrehe ich meine Augen. Eigentlich steht der Link auch für die gegenseitige Akzeptanz und Verbundenheit von Schüler und Lehrer, doch das scheint ihn wohl weniger zu interessieren. Was hatte ich anderes erwartet? Auffordernd hält Alex mir seine Hände hin. Man konnte Links zwar auch ohne Körperkontakt herstellen, doch das ist deutlich schwieriger und dauert länger. Also lege ich zögernd meine keinen Hände in seine. Sogleich umschließend seine Finger die Meinen und ich spüre die Hitze, welche von ihnen ausgeht. Auch wenn ich es eigentlich nicht zugeben will, fühlen sich seine Hände gut an. Sie geben mir das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Was absolut keinen Sinn macht, da Alex mir bis jetzt keinen Anlass gegeben hat, der diese Gefühle rechtfertigen würde. Also verdränge ich das Gefühl aus meinen Gedanken und konzentriere mich lieber auf den Link. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie sich ein Band zwischen mir und Alex bildet. Zuerst ist es noch ganz klein und eher ein Fädchen, doch es wächst schnell. Und plötzlich kann ich sie spüren, die Verbundenheit mit ihm. Ich nehme nun deutlich Alex' Präsenz neben mir wahr und ich kann nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meine Züge schleicht. Unerwartet ertönt plötzlich seine tiefe Stimme in meinem Kopf.
„Wag es nicht den Link zu benutzen, um mich mit unwichtigen Dingen zu nerven."
Gerade hatte ich mich noch verbunden mit ihm gefühlt und jetzt würde ich ihm am liebsten irgendetwas über den Kopf ziehen. Der Junge hat es echt drauf Momente zu zerstören. Schnippisch zicke ich also zurück: „Als würde ich mich mit dir unterhalten, wenn es nicht dringend notwendig ist."
Gekonnt scheint er meine Bemerkung zu überhören und meint stattdessen, dass wir dann ja mit dem Training beginnen können. Ich bin froh, dass wir nicht nochmal zurücklaufen, um mit dem Training zu beginnen. Das hätte ich nicht durchgehalten und wäre mitten auf dem Weg umgekippt. Umso deprimierter bin ich, als ich erfahre, was wir stattdessen machen. Ich werde definitiv nach dem Unterricht keinen Zeh mehr regen können!

Alex ist nicht nur streng, er ist ein Sklaventreiber! Noch nie in meinem Leben bin ich so fertig gewesen und das war erst der erste Tag. Ich will gar nicht wissen, was noch alles auf mich zu kommt. Dementsprechend schlecht gelaunt stoße ich die Tür zu unserem Zimmer auf und schmeiße mich auf das Bett. Auf Luca's Frage, was mit mir los ist, kann ich nur erschöpft aufstöhnen. Das findet der werte Herr auch noch lustig, weswegen ich mich sogar dazu durchringe meinen Arm zu heben, nur um ihm meinen liebsten Finger zu zeigen. Daraufhin beginnt Luca nur noch lauter zu lachen, was genau das Gegenteil von dem ist, was ich erreichen wollte. Wäre ich nicht so erschöpft, dann würde Luca jetzt sicher leiden. Doch für den Moment beschließe ich meine Rachepläne zu verschieben und schließe lieber kurz die Augen.

Blut spritzt, als sich die Zähne des Wolfes abermals in dem Hals seines Gegners versenken. Ich stehe auf einem Schlachtfeld. Überall um mich herum liegen tote und verletzte Wölfe. Nur noch wenige Wölfe scheinen zu kämpfen. Doch worum kämpfen sie? Auf keiner Seite sind mehr als eine Hand voll Überlebende übrig. An diesem Tag gibt es keine Gewinner, nur Verlierer. Ein markerschütterndes Heulen erklingt und ein weiterer Wolf stürzt in den Tot. Das letzte Licht in seinen Augen erlischt. Verzweifelt sehe ich mich um. Wo bin ich? Was mache ich hier? Ich sollte hier nicht sein. Schnell nehme ich die Beine in die Hand und renne über das weite Feld, weg von dem grausamen Schauspiel. Niemand scheint mich zu bemerken, oder ich bin ihnen egal. Zumindest folgt mir niemand, ja es sieht sich noch nicht einmal jemand nach mir um. Immer weiter renne ich, doch die Wiese scheint nicht enden zu wollen. Fassungslos bemerke ich immer mehr tote Wölfe. Plötzlich nehme ich eine Bewegung im linken Augenwinkel wahr. Blitzartig drehe ich mich um und starre geradewegs in verängstigte blaue Kinderaugen. Erst nach einem Moment bemerke ich, dass der kleine Junge gar nicht mich ansieht. Viel mehr betrachtet er etwas hinter mir. Verwirrt drehe ich mich um und erblicke einen großen grauen Wolf. Vor seinem Mund hat sich eine Mischung aus Schaum und Sabber gebildet, seine irren Augen scheinen das Kind fixiert zu haben und über sein linkes Vorderbein zieht sich ein tiefer blutiger Kratzer. Langsam schleppt er sich in unsere Richtung, doch scheint mich gar nicht zu bemerken. Mit seinen letzten Reserven setzt er zum Sprung an. Schnell stelle ich mich zwischen die Beiden, doch der graue Wolf springt einfach durch mich hindurch. Zu spät realisiere ich meine durchscheinende, wabernde Erscheinung. Ein letztes Mal drehe ich mich um und sehe in die geweiteten Augen des Jungen. In die mir so bekannten geweiteten Augen.

Heute ein bisschen kürzer geworden. Ich hoffe das ist nicht schlimm^^ Bis zum nächsten Mal

SchattenkriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt