Kapitel 8

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Ich habe keine Zeit, um mir Gedanken über den Traum zu machen. Mittlerweile ist es schon dunkel geworden und ich muss mich schleunigst auf den Weg zu Alex machen. Schnell richte ich meine von Schlafen zerknitterten Klamotten und begebe mich dann zur Haustür. Nervös laufe ich den sandigen Weg entlang. Erst jetzt wird mir bewusst, dass Alex auf eine Antwort von mir erwartet, doch kann ich ihm eine geben? Ich dachte es wäre klar, dass ich mitkomme. Schließlich muss ich früher oder später sowieso auf solche Missionen, falls ich die Prüfung bestehe. Deswegen habe ich auch keine weiteren Gedanken, an meine Antwort, auf seine Frage vergeudet. Doch jetzt, wo es ernst wird, bekomme ich es doch etwas mit der Angst zu tun. Und das reizt mich aufs Äußerste. War ich etwa so ein Feigling? Nein das kann nicht sein. Ich straffe meine Schultern und laufe weiter auf das Haus zu. Ich werde zusagen. Diese Angst ist lächerlich und diese Mission ist eine gute Übung. Entschlossenen Schrittes eile ich auf die große Holztür zu und klopfe zweimal kräftig. Ich hoffe es macht Alex auf und keiner der anderen Lehrer. Wer weiß, ob diese mich überhaupt hineinlassen würden. Ein paar sekundenlang passiert gar nicht und ich werde immer nervöser. Hätte ich Alex Andeutung auf unseren Treffpunkt falsch gedeutet? Aber was wäre naheliegender, als ihn an seinem Haus zu treffen? Ich atme erleichtert auf, als die Tür aufschwingt. Meine Erleichterung vergeht jedoch schnell wieder, in dem Moment, in dem ich realisiere wer mir die Tür geöffnet hat. Kein geringerer als Mister Wensch, der Ausbildungsleiter der Ärzte, steht vor mir. Was hat der hier verloren? In diesem Gebäude waren eigentlich nur die Ausbilder der Schattenkrieger untergebracht. Seine kleinen Augen mustern mich missbilligend und er schnalzt empört mit seiner Zunge, als er mich erkennt. Eine unangenehme Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus. Sein ekelhafter Blick klebt immer noch auf mir und er scheint auf etwas zu warten. Erst nach eine Weile verstehe ich. Er möchte wissen warum ich hier bin. Ich räuspere mich einmal, da mein Hals plötzlich ganz trocken ist und fange dann an zu sprechen: „Ich muss zu Alex. Wir haben noch etwas zu besprechen."
Immer noch lässt er sich nicht dazu herab mir zu antworten. Langsam wird es mir zu bunt und diesmal bin ich es, die ihm einen missbilligen Blick verpasst. Wie auch beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hab, trägt er einen wallenden lilafarbenen Umhang mit einer riesigen Kapuze. Ich frage mich, wie er diesen überhaupt tragen kann, denn leicht sieht er nicht aus. Und Mister Wensch ist eher ein Klappergestell und besteht nur aus Haut und Knochen. Besonders an seinen Armen wird dies deutlich, da sich die Haut nur so über seine Knochen spannt und man jede einzelne Sehne erkennen kann. Sein Gesicht sieht eingefallen und hohl aus, als hätte er seit Tagen nichts gegessen. Und hätte er nicht diese stechenden blauen Augen, würde man beinahe Mitleid, bei seinem Anblick, haben. Auch seine viel zu blasse Haut lässt ihn nicht wirklich gesünder aussehen. Das einzig kräftige an ihm, sind seine gesund aussehenden, dunklen Haare, die ihm bis zur Schulter reichen. Hier und da mischt sich schon eine graue Strähne in seine Haarpracht und ich vermute, dass er schon jenseits der Fünfzig befindet. Er scheint immer noch kein Interesse daran zu haben mich in das Haus zu lassen. Schnaubend starte ich einen neuen Versuch.
„Ich müsste wirklich dringend hinein. Alex erwartet mich schon. Er weiß, dass ich komme."
Endlich setzt auch mein Gegenüber zu einem Satz an. Seine krächzende Stimme verkündet: „Der Eintritt von Schülern ist verboten und es ist egal wer auf sie wartet."
Wütend funkle ich ihn an. Was erlaubte er sich bitte? Er wohnt noch nicht einmal hier, also wieso denkt er, dass er mich über die Regeln hier zurechtweisen kann. Gerade, als ich beschlossen habe, ihm das an den Kopf zu werfen, erklingen Schritte im Flur. Kurze Zeit später steht Alex neben Mister Wensch und mustert mich genervt.
„Was dauert das denn so lange. Du bist hier nicht zum Kaffee trinken."
Empört schnappe ich nach Luft. Jetzt bin ich auch noch Schuld oder was? Gerade will ich mit einer Hasstirade beginnen, doch wieder werde ich unterbrochen. Diesmal von Alex' Hand, welche sich um meine schließt und mich hinter ihm herzieht. Das ist wirklich eine sehr schlechte Angewohnheit von ihm. Aber was rede ich da, der Kerl besteht ja quasi aus schlechten Angewohnheiten. Ich werfe noch einen letzten Blick zurück und starre direkt in die Augen von Mister Wensch. Sein kalter Blick durchbohrt mich und plötzlich scheint mir Alex' kalter Blick im Vergleich harmlos. Schnell drehe ich mich wieder um und vielleicht bin ich dieses eine Mal froh, dass Alex mich hinter sich her schleift. Alleine wäre ich nicht von dem gruseligen Arzt davongekommen. Am Ende landen wir wieder in Alex Zimmer und irgendwie lande ich wieder auf seinem Bett. Was für ein Déjàvu. Immer noch genervt warte ich darauf, dass er etwas sagt. Zum Glück muss ich nicht lange warten.
„Du weißt warum du hier bist. Wie hast du dich entschieden?"
Ich atme einmal tief ein und blicke dann entschlossen in seine Augen.
„Ich komme mit."
Jetzt gibt es kein zurück mehr und ich kann nur hoffen, dass ich diese Entscheidung nicht bereuen werde. Alex nickt nur zufrieden, als hätte er gar nichts anderes erwartet. Wahrscheinlich wusste er einfach, dass ich nicht kneifen konnte. Schließlich wäre ich dann keine echte Kriegerin mehr, wenn ich vor einer Gefahr die Augen verschließe.
„Gut wir starten Übermorgen. Du solltest bis dahin gepackt haben. Nimm aber nicht mehr als einen Rucksack mit und denk daran praktisch zu packen. Ich werde dich sicherlich nicht bei mir schlafen lassen, wenn du deinen Schlafsack vergisst. Du darfst morgen früher das Training verlassen, damit du packen kannst. Am Abreisetag hole ich dich frühmorgens von deinem Haus ab. Die genaue Uhrzeit besprechen wir später, genau wie den Inhalt der Mission. Alles verstanden?"
Ich rolle mit den Augen und nicke. Wieso darf ich noch nicht wissen, was unsere Aufgabe ist? Das nervt mich. Schließlich setzte ich mein Leben dafür ein, da sollte man schon ein bisschen mehr Korporation erwarten können. Aber da ich weiß, dass diskutieren mit Alex nur in Mord und Todschlag enden würde, hacke ich nicht weiter nach. Abrupt wechselt Alex, mit seiner nächsten Frage, das Thema.
„Hast du schon etwas gegessen?"
Nachdem ich verneint habe, winkt er mich hinter sich her und führt mich in die Küche. Auf dem Herd stehen noch die Reste des Abendbrotes, welche er wortlos auf zwei Teller verteilt und in die Mikrowelle schiebt. Schweigend warten wir ab, bis unser Essen warm wird. Unruhig trete ich von einem Bein auf das Andere, da die Stille langsam echt ungemütlich wird. Bis jetzt wusste ich nicht, wie erleichternd das Geräusch, der Mikrowelle doch sein kann. Wir tragen Teller und Besteck zum großen Esstisch. Es ist schon komisch an diesem Monstrum von einem Tisch nur zu zweit zu sitzen. Doch das stört mich nicht weiter, denn ich kann mich nur noch auf das Essen konzentrieren. Seit heute Mittag hatte ich nichts mehr zu Essen gehabt und langsam macht sich das auch bemerkbar. Also vergesse ich Alex für einen kurzen Moment und schlinge den Reis in mich hinein. Erst als ich bei der Hälfte von meinem mittlerweile zweiten Tellers angekommen bin, kann ich wieder an andere Dinge als Essen denken. Vorsichtig spähe ich von meinem Teller auf und blicke in Alex Augen, die mich nachdenklich mustern. Als sei ich ein Rätsel, das er zu knacken versucht, doch bis jetzt keinen Schritt vorangekommen ist. Das ist eigentlich mein Part denke ich, jedoch sage ich nichts und verliere mich in seinen Augen. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, entdecke ich neue Facetten an ihnen. Es scheinen unendlich viele verschiedene Blautöne in ihnen zu existieren. Es gibt absolut nichts mit denen ich sie vergleichen könnte, denn nichts würde ihnen gerecht werden. Für mich spiegeln sie vollendete Schönheit wieder. Und auch wenn Alex ein Idiot ist, ist er ein Idiot mit den schönsten Augen die es gibt. Wenn ich an Mister Wensch's blaue Augen denke, fühle ich nur Ekel und Abscheu. Doch Alex' Augen faszinieren mich. Auch wenn Alex Augen auf den ersten Blick genauso kalt wirken, wie die des Arztes, bin ich mir sicher, dass sich mehr hinter ihnen verbirgt. Viel mehr, als ich vielleicht ahne. Vielleicht sollte ich mich dafür schämen, dass ich mich nicht von seinen Augen losreißen kann, doch das tue ich nicht. Schließlich könnte auch Alex den Blick abwenden. Doch er tut es nicht und so sitzen wir noch eine Ewigkeit da. Eine Ewigkeit in der wir uns in die Augen sehen. Eine Ewigkeit voller Schweigen. Eine Ewigkeit in der wir mehr von dem Anderen erfahren, als das wir es mit Worten je gekonnt hätten.

Ich bin wieder zurück aus dem Urlaub und hab wieder Internet.

SchattenkriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt