Kapitel 15

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Der Duft von süßen reifen Früchten erreicht meine Nase, das Summen von Insekten liegt in der Luft und ein warmer Sommerwind streift mein Gesicht. Ich stehe mitten in einem riesigen Obsthain zwischen mehreren Apfelbäumen. Ein tiefes glückliches Lachen dringt an meine Ohren, gefolgt von einem kindlichen Kichern. Neugierig laufe ich in die Richtung, aus der ich die Besitzer dieser Lachen vermute. Ich entdecke einen schwarzhaarigen Jungen, im Alter von ungefähr fünfzehn Jahren, der ein kleines Mädchen durch die Baumreihen jagt. Die Kleine hat ebenso schwarzes Haar, wie der Junge, doch ihres springt in niedlichen Locken um ihr Gesicht. Ganz plötzlich taucht eine weitere Person zwischen den Bäumen auf. Es ist ein Mädchen, das wohl ungefähr in dem Alter des Jungen sein sollte. Sie hat lange blonde Haare, ist für ihr Alter recht groß und besitzt eine traumhafte Figur. Und auch sonst scheint alles an ihr perfekt zu sein. Die Art wie sie läuft ist elegant und fast geräuschlos. Mit ihrem Lächeln kann sie wohl jeden herumbekommen, den sie möchte. Und als sie spricht ist selbst ihre Stimme so lieblich, wie die einer Nachtigall.
„Eure Mutter hat gerufen, es ist Zeit für das Mittagessen."
Freudig klatscht das keine Mädchen in ihre Hände und springt auf den blonden Engel zu. Und auch der Junge dreht sich zu ihr und zum ersten Mal kann ich einen Blick auf sein Gesicht erhaschen. Mir stockt der Atem, als ich in das junge Gesicht von Alex blicke. Einem glücklichen, unbekümmerten Alex, der mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen auf die beiden Frauen zu geht.
„Wie lange stehst du schon da Ophelia? Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du gekommen bist", fragt er immer noch mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. Die Antwort des jungen Mädchens bekomme ich leider nicht mehr mit, denn schon im nächsten Moment verschwimmt die Welt vor mir wieder.

Verwirrt werde ich mir nur langsam klar, wo ich mich befinde. Erst nach einigen Sekunden nehme ich den Arm wahr, den Rune mir entgegenstreckt.
„Du musst jetzt aufstehen. Wir sind da", sagt er lächelnd und streckt mir seinen Arm noch etwas mehr entgegen.
Erst jetzt begreife ich, das er schon auf einem Steck am Ufer steht. Ich ergreife rasch seine raue Hand und lasse mich von ihm an Land ziehen.
„Du musst echt müde gewesen sein. Du hast die ganze Überfahrt lang geschlagen und bist nicht einmal aufgewacht, als wir von einem anderen Boot zur Begrüßung angehupt wurden."
Lachend schüttelt der Vollidiot seinen Kopf und haut mir freundschaftlich auf den Rücken. Er setzt gerade zu einem neuen Satz an, als er von einem genervten Alex unterbrochen wird.
„Habt ihr es jetzt bald. Wir haben nicht ewig Zeit, also kommt jetzt mal in die Gänge", giftet er uns genervt an.
Ich verdrehe die Augen. Gerade bin ich froh, dass er ein Mann ist und er seine Tage nicht bekommt. Einen noch zickigen Alex hätte ich wahrscheinlich schon längst mit einem seiner T-Shirts erwürgt. Doch ich verkneife mir einen Kommentar und kann nich glauben, dass dieser Alex wirklich der Selbe sein soll, wie der aus meinem Traum. Und wieder einmal frage ich mich, wie viel Wahrheit diese Träume enthalten. Sie fühlen sich so real an. Werde ich einfach nur verrückt, oder haben sie tatsächlich etwas zu bedeuten? Vielleicht sollte ich mit jemanden über meine nächtlichen Ausflüge reden. ich könnte Alexander fragen, ob etwas an diesem Traum wahr ist, doch ich hab das komische Gefühl, dass das im Moment keine gute Idee ist. Eigentlich wollte ich ja mit Noah darüber reden, schließlich kam auch er in einem der Träume vor, doch leider habe ich das wegen der Aufregung über die Mission ganz vergessen. Ich muss definitiv mit ihm reden, sobald wir wieder zurück sind. Doch für den Moment brauche ich jemand anderes dem ich mein Herz ausschütten kann. Unwillkürlich fällt mein Blick auf Rune. Auch wenn wir uns erst seit ein paar Tagen kennen, ist er im Moment die einzige Möglichkeit für ein solches Gespräch und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich ihm vertrauen kann. Schon komisch, wenn man bedenkt, dass ich das Ganze hier am Anfang alleine durchstehen wollte. Lange hatte mein Vorsatz ja nicht gehalten, da plötzlich und ganz unverhofft Noah in mein Leben gestolpert ist. Und ihm folgte kurz darauf schon mein großer Teddy Luca. Ich muss zugeben, dass ich die beiden Hitzköpfe schon jetzt unglaublich vermisse. Ich muss sie unbedingt mal meiner Familie vorstellen. Sie würden sich bestimmt prächtig verstehen. Ich lächle, während ich mir vorstelle, was für ein Chaos das werden würde. Meine Familie ist nämlich ein Haufen voller Chaoten, allen voran meine pubertierenden Cousins. Mit unseren überwiegend roten Haarschöpfen ähneln wir ein bisschen den Weasleys, auch wenn bei uns im Haus keine Töpfe durch die Gegend fliegen und ich nicht mal annähernd so viele Geschwister habe wie Ron. Und damit meine ich, dass ich Einzelkind bin. Jedoch habe ich Unmengen an Cousins und Cousinen, die alle samt in der Nähe meines Elternhauses leben. Sie sind allesamt wie Geschwister für mich, da wir ein unzertrennlicher Haufen sind. Meine älteren Cousins haben mir sogar bei meinem Kampftraining geholfen. Ich muss sie unbedingt besuchen, sobald ich die Möglichkeit dazu habe. Ich sollte dringend an etwas Anderes denken, bevor ich an meinem Heimweh ersticke. Also konzentriere ich mich lieber auf meine Umgebung, anstatt an meine Heimat zu denken. Staunend stelle ich fest, dass die Geschichten über die Schönheit von Meermanien nicht erfunden sind. Die Häuser in Form von Muscheln, Korallen und einigen Meeresbewohnern, schimmern in den schönsten Farben. Manche Fassaden sind einfach nur mit schöner glänzender Farbe überzogen, andere erhalten ihre Farbe jedoch durch farbige Muscheln die an der Außenwand angebracht sind. Die Straßen sind voll von Menschen, ein solches Gewusel habe ich noch nie erlebt. Was mich besonders fasziniert ist, dass sich unter die ganzen Meermaniern auch Leute aus vielen anderen Rassen mischen, die wahrscheinlich auf Grund des Marktes hier sind. Noch nie habe ich eine andere Gattung gesehen, als den Werwolf, denn normalerweise bleiben die Rassen unter sich. Ich weiß nicht warum das so ist, so war es irgendwie schon immer. Doch dieser Platz scheint eine Ausnahme zu sein. Hier treffen die Völker aufeinander. Noch ewig hätte ich dieses wundersame Treiben beobachten können, doch plötzlich bleibt Larea vor mir stehen. Wir befinden uns vor einem riesigen Gebäude in Form einer hellblauen Schildkröte.
„Das ist unser Hotel. Lasst uns erstmal einchecken und unsere Sachen einräumen. Die Zimmeraufteilung ist die Selbe, wie bei den Zelten. Sobald ihr euer Zeug ausgepackt habt kommt ihr in mein Zimmer und wir besprechen alles Weitere, ok?"
Ohne auf eine Antwort von uns zu warten, dreht sich die hochgewachsene Frau um und steuert auf die gut besuchte Rezeption zu. Gekonnt drängelt sie sich an den anderen Besuchern vorbei, doch niemand beschwert sich. Stattdessen weichen sie schnell vor meiner Begleiterin zurück. Ich kann sie verstehen, bei dem grimmigen Blick, den sie drauf hat, würde ich auch das Weite suchen. Schnell erhält sie drei Schlüssel von einer zitternden jungen Frau, die wahrscheinlich gerade an ihrer Berufswahl zweifelt und sich am liebsten hinter dem Tisch der Rezeption verstecken würde. Wieder bei uns angelangt drückt sie Alex und Rune jeweils kommentarlos einen der Schlüssel in die Hand und rauscht dann mit ihrem Lehrling im Schlepptau davon. Auch Rune verabschiedet sich von uns und hastet davon, um sein Zimmer zu besichtigen. Währenddessen starrt mein Ausbilder nur missmutig auf den Schlüssel, da er wahrscheinlich keine Lust darauf hat sich mit mir das Zimmer zu teilen. Ich verdrehe die Augen. Das ist ja lächerlich, vor kurzem hatte er schließlich auch kein Problem damit. Er hatte mir sogar angeboten, dass ich in seiner Wohnung schlafen darf, wenn ich zum Mateball in die Stadt muss. Obwohl ich diesen vielleicht gar nicht besuchen werde, so wie es momentan aussieht. Ich muss dringend nochmal mit ihm reden, damit er sich wieder einkriegt. So kann das schließlich nicht weiter gehen. Kurzerhand schnappe ich mir den Schlüssel aus Alex Hand, begutachte unsere Zimmernummer und marschiere zielstrebig zur Treppe. Das scheint auch Alex aus seiner Starre geholt zu haben und er folgt mir nach oben zu unserem Zimmerchen.

Der Raum wird dominiert von einem riesigen, gemütlich aussehenden Doppelbett. Sonst befindet sich nicht viel darin, außer zwei Nachttischen und einem Schrank. Aber mehr brauchen wir ja nicht, zumal wir ein eigenes Bad haben, was schließlich neben dem Bett das Wichtigste ist. Im Gegensatz zu mir scheint Alex nicht so begeistert zu sein. Kritisch mustert er das Doppelbett und sieht dabei noch missmutiger aus, als er es ohnehin schon tut. Nun reicht es mir wirklich. Mit den Armen in die Hüften gestemmt baue ich mich drohend vor ihm auf.
„Hör mir jetzt genau zu du Riesenbaby. Du hast dich jetzt genug selbstbemitleidet und deinen Frust an mir rausgelassen. Ich habe dir absolut nichts getan, also hör endlich auf mich zu ignorieren und werde erwachsen. Ich weiß nicht, was dich bedrückt, aber ich bin definitiv nicht schuld daran. Es ist ok, wenn du nicht mit mir darüber reden willst. Es ist ok, wenn wir nicht sofort die besten Freunde werden. Und es ist ok, wenn du mal schlechte Laune hast. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn du mich für etwas verantwortlich macht, das ich nicht getan habe. Es ist ganz und gar nicht akzeptabel, wenn du mich ausnutzt, indem du mich an dich ranlässt, nur um mich kurzerhand wieder von dir zu stoßen. Ich bin immer noch ein Mensch mit Gefühlen. Vielleicht hast du durch deinen ganzen eigenen Schmerz vergessen, dass auch andere Menschen Schmerz verspüren können. Und das du, wenn du alle Menschen von dir schubst, um deinen eigenen Schmerz zu vermeiden, anderen Leuten weh tust. Du verdrängst, dass du Menschen mit deiner Art verletzt und wenn du ehrlich bist, dass du dir damit auch selbst Leid zufügst. Denn egal was du sagst, niemand ist glücklich, wenn er einsam ist. Freundschaft bedeutet nun mal auch Schmerz. Die Welt ist nicht immer schön. Aber sie ist eben auch nicht immer hässlich. Und es hängt von dir ab, wie lange deine Welt noch dunkel ist. Wir Menschen sind wie Motten, nur dass das Licht bei uns Liebe ist. Du kannst dich nicht vor ihr verstecken, denn etwas in deinem Inneren wird immer zu ihr hingezogen werden. Akzeptier endlich, dass du nicht alle Leute von dir stoßen kannst. Egal was du dir einredest, ich weiß, dass ich dir nicht egal bin. Und weißt du ,woher ich das weiß? Deine Reaktionen, wenn ich mich im Training verletzt habe, haben es mir gezeigt. Dein belustigtes Lächeln, wenn ich mal wieder irgendeinen Dreck von mir gegeben habe, hat es mir bewiesen. Und auch, dass du letztens bei mir Trost gesucht hast, zeigt es mir deutlich. Du wolltest mich nie als einen Ersatz, du brauchtest in der Nacht einfach nur Nähe. Also hör auf dich selbst zu belügen, dann hast du vielleicht auch endlich die Chance deinen Verlust zu verarbeiten. Denn weißt du was? Schmerz ist zu zweit viel besser verträglich, deswegen bleibe ich bei dir. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du mich nicht mehr los wirst. Ich schlage vor, dass du das Beste daraus macht. Es wird Zeit, dass wieder Licht in deine Welt kommt."
Tränen der Wut und Verzweiflung laufen meine Wangen herunter, während ich auf irgendeine Reaktion von ihm warte. Seine Hände ballen sich zu Fäusten, sein Kiefer knirscht und sein Blick scheint mich zu durchbohren. Eine Weile stehen wir nur so da und funkeln uns gegenseitig an. Während mein Blick sagt, du weißt, dass ich Recht habe, zeigt Seiner nur Gegenwehr. Doch je länger ich ihn so anstarre, desto mehr bröckelt die Gegenwehr in seinem Blick, bis er schließlich ganz die Augen von mir abwenden muss.
„Ok, meinetwegen versuchen wir es, aber erwarte nicht viel von mir. Ich bin ein gebrochener Mann, Lucy. Es ist süß, dass du mich wieder zusammensetzten willst, doch manche meiner Scherben sind schon vor langer Zeit verloren gegangen. Dir muss klar sein, dass ich nie wieder vollständig unbekümmert durch die Welt rennen kann. Aber vielleicht hast du recht und ich brauche wirklich einen Freund. Aber ich werde nie jemand sein, der einfach zu handhaben ist. Ich werde dir keine Zuckerwatte um den Mund schmieren, oder dir Freundschaftsarmbänder flechten. Ich bin, wie ich bin. Weder besonders nett, noch lustig oder feinfühlig."
Ernst betrachtet er mich und verdeutlicht damit seine Worte, doch ich lächle ihn an und erwidere: „Das ist ok. Sei so griesgrämig zu mir, wie du willst, damit komme ich klar. Ich weiß, dass das einfach deine Art ist und du es nicht so meinst. Aber ignorier mich nicht mehr, ok? Nie wieder."
Ein schiefes Grinsen ziert sein Gesicht, als er antwortet: „Nie wieder."

Was sagt ihr? Haben sich die beiden zu schnell versöhnt? Eigentlich wollte ich diesen Streit noch länger gehen lassen, aber ich hatte irgendwie Mitleid mit Lucy. Ich hab mir echt Mühe gegeben, die Gefühle meiner Charaktere während der Versöhnung irgendwie verständlich zu machen. Ich hoffe es ist mir gelungen.(Deswegen ist das Kapitel auch so lang XD) Ich hoffe es hat euch gefallen und bis spätestens Mittwoch👋🏼

SchattenkriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt