Die erste Prüfung

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Zu meiner Erleichterung sah ich, dass Emma und Susann ähnlich gekleidet waren wie ich. Und auch die königlichen Mitglieder der Runde hatten sich für den Freizeitlook entscheiden. Der König war allerdings nicht anwesend. Wahrscheinlich hatte er seine Regierungsgeschäfte zu erledigen.

Der ganze Nachmittag war etwas steif. Die meiste Zeit plauderten die Royals, während Emma, Susann und ich darauf achteten, eine gute Haltung zu bewahren, nicht übertrieben zu Lächeln, ab und zu eines der vielen verschiedenen Petit Fours zu probieren, ohne überfressen zu wirken, Aufmerksam auszusehen und sowohl hübsch und freundlich, als auch intelligent und ruhig zu wirken. Es war verdammt anstrengend und schon bald taten meine Wangen vom Lächeln weh. Da war es eine Erleichterung, die Muskeln beim Teetrinken ein wenig zu entspannen.

Doch dann wandte sich die frühere Königin mit ihrer strengen Stimme plötzlich an Emma: „Nun von Ihnen dreien habe ich ja noch nicht so viel gehört. Emma, richtig? Sie stammen aus Melaque. Das liegt in einer eher ärmlichen Gegend, nicht wahr? Wie empfinden Sie es persönlich am Limit des Überlebens zu leben?"

Ich fand die Frage ziemlich unhöflich. Nur weil sie in Geld baden konnte, waren andere doch nicht gleich bettelarm. Emma lief rot an, räusperte sich und antwortete recht piepsig: „Ich würde nicht sagen, dass meine Familie ums Überleben kämpft. Es ist richtig, dass wir ab und zu eine Mahlzeit auslassen müssen, weil mein Vater kein gutes Geschäft machen konnte. Aber wir können uns doch so weit versorgen, dass wir glücklich sind und meistens gesund."

Susann platzte heraus: „Gesund? Ich habe gehört, im Süden geht eine Seuche herum, die von Ratten übertragen wird. Ihr habt doch sicher Ratten in eurem Haus, oder?"

Emma verschluckte sich und wir beide sahen Susann fassungslos an. Warum stellte sie Emma so  vor den Royals bloß? Susann lächelte unschuldig. „Nur eine Frage aus Interesse."

Emma richtete sich sauer auf. „Nein, wir haben keine Ratten in unserem Haus und diese Seuche ist keine richtige Seuche."

Susann zuckte unbeschwert mit den Achseln. „Ein Glück." Sie lächelte mitleidig. Was für ein Biest. Prinz Tobias nippte an seinem Tee und ließ sich nicht anmerken, wie er Susanns Art fand.

„Und Sie, Susann, kommen aus der Großstadt.", meinte der pensionierte König, „Ihre Mutter hat dort eine Wohnung von Ihrem Großeltern geerbt. Warum haben sich Ihre Eltern vor sechs Jahren getrennt?"

Jetzt versteifte Susann sich, schenkte dem älteren Mann aber ein zustimmendes Lächeln. „Mein Vater hatte leider einige Angewohnheiten, die es meiner Mutter unmöglich machten mit ihm zusammen zu leben."

„Angewohnheiten?", fragte Prinz Tobias' Tante Magritte und zog eine Augenbraue hoch.

Susann schluckte. „Liebschaften. Er hat ein recht freizügiges Wesen."

Prinzessin Adelaine sagte herausfordernd: „Sie meinen, er war ab und zu im Bordell."

Die Königin schimpfte: „Adelaine!"

Aber Susann bejahte um Würde ringend: „Sie haben recht, verehrte Prinzessin. Meine Mutter hat sich natürlich sofort von ihm getrennt, als sie von dieser Schande hörte."

Als die Mutter des Königs schließlich mich ansah, hatte ich das Spiel durchschaut. Sie wollte uns alle nach einander in eine unangenehme Situation bringen, um unsere Reaktionen zu sehen. Das hier war schon der erste Test. Ich wappnete mich für einen seelischen Angriff. Sie lächelte mich an und meinte: „Katharina, Sie sind mit vier Geschwistern aufgewachsen. Haben Sie da nicht oft das Gefühl, vernachlässigt zu werden? Ihre Eltern können unmöglich immer für Sie alle da sein. Da fühlt man sich doch manchmal einsam und vergessen, gerade als eines der mittleren Kinder."

Damit stach sie in eine mit den Jahren größer gewordene Wunde. Natürlich konnte Mom und Dad nicht immer für uns alle gleichzeitig da sein. Das war uns allen bewusst, aber es tat trotzdem oft weh, wenn man zum zehnten Mal zurückstecken musste, weil ein anderer gerade Vorrang hatte. Wir konnten uns nicht einfach in Moms Arme werfen und ihr unser Herz ausschütten, weil immer viel zu viel zu tun war und zwei andere größere Probleme hatten, als man selbst. Zum Glück hatte ich meistens Ty an meiner Seite. Das Zwillingsband zwischen uns hielt alle Krisen aus und gab uns die fehlende Aufmerksamkeit, in den Momenten, in denen Mom und Dad sie uns einfach nicht geben konnten. Aber auch wenn sie sich die größte Mühe gaben, hatte ich als Kind unzählige Male weinend im Bett gelegen, weil ich dachte, meine Eltern würden meine Geschwister mehr lieben, als mich.

Ich versuchte dieses bekannte Gefühl nicht an mich heran zu lassen und sagte: „Es ist oft schwierig für meine Eltern. Und selbstverständlich habe ich mich vernachlässigt gefühlt. Aber ich denke, das ging uns allen Mal so. Und meine Geschwister und ich, so sehr wir uns auch streiten können, sind auch für einander da. Ich würde nicht weniger Geschwister haben wollen. Das wäre viel zu langweilig."

„Und wie geht es Ihren Eltern dabei?", bohrte die Schwester des Königs weiter, „Ich stelle es mir sehr anstrengend vor, so eine Rasselbande zu bändigen. Sie sind bestimmt oft am Rande ihrer Nerven."

Allerdings. Es war das Schlimmste für mich, wenn ich Mom abends weinen hörte, weil sie einfach zu viel Stress hatte oder sich mit einem von uns gestritten hatte. Und Dad sah viel älter aus, als er war. Wir hatten ihn mit den Problemen, die Kinder nunmal machen, ordentlich zugesetzt. Der Gedanke daran verursachte in mir einen Haufen Schuldgefühle und Mitleid für meine armen Eltern.

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte und stammlte: „Nun, ja... wir machen unsere Eltern schon ganz schön fertig." Ich hielt ein paar Tränen mit Gewalt zurück. Emma legte mir eine Hand auf den Arm. Aber da musste ich alleine durch.

„Aber, ähm, ich denke... ich glaube, meine Eltern stützen sich gegenseitig sehr auf einander. Und auf uns Ältere. Gerade meine große Schwester Annika. Indem wir alle zusammenhalten und Mom und Dad unterstützen, helfen wir ihnen sehr."

Die Tante war halbwegs zufrieden und ließ von mir ab.

Ich war froh, dass ich es geschafft hatte und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass meine Stimmung jetzt im Keller war.

Kurz darauf war es endlich ganz vorbei. Die Runde löste sich auf und wir wurden entlassen.

Zu dritt gingen wir zu unseren Zimmern. Auf dem Weg schwiegen wir angespannt. Vor der ersten Tür, zu Emmas Zimmer, brach Emma dann hervor: „Was sollte das, Susann? Du hast mich nicht nur verletzt, sondern auch vor dem Prinzen schlecht aussehen lassen."

Susann wand sich innerlich, behielt aber eine trotzige Mimik. „Ich habe doch nur gefragt. Es war ja sowieso falsch."

„Aber es war gemein. Warum hast du mich in eine schwierige Situation gebracht und dann noch so dämlich gelächelt?", regte Emma sich auf.

Ich fügte hinzu: „Das war eine Art Prüfung. Du hast sie Emma beinahe versaut."

„Tut mir leid." Es klang ehrlich, aber nicht sehr mitfühlend.

Emma beruhigte sich. „Das sollte es. Ich hab mich echt schlecht gefühlt. Bis später." Sie lächelte mich müde an und ging in ihr Zimmer.

Susann sah nicht besonders zerknirscht aus.

Silver Swan ~ Die SchwanenköniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt