Grausame Stunden

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Es war heller Vormittag, als mich ein Stewardess weckte und der Jet den Landeanflug auf den Flugplatz des Krankenhauses startete.
Mein Herz schlug schnell und Angst packte mich, als ich ausstieg und über den Platz zum Personaleingang geführt wurde. Dort wartete eine Krankenschwester bereits.

„Guten Tag, Ms Swan." Sie nickte und schien leicht nervös. Ich bekam schon Panik, dass etwas mit einer Operation schiefgelaufen war. Doch sie sagte nicht mehr, sondern zeigte mir den Weg zu Dads Zimmer. Ihn durften wir offenbar als Einzigen besuchen.

Ty und Annika saßen auf Stühlen neben dem Bett, in dem Dad lag. Er war wach und redete. Erleichtert stürzte ich zu ihm und griff nach seiner Hand.

„Wie geht es dir? Was ist passiert? Wo sind Kenny, Mark und Mom?"

„Es geht mir gut, mein Schatz.", sagte Dad, „Ich hatte Glück. Nur ein gebrochener Arm und ein paar Schrammen. Deine Brüder aber..." Er brach ab und sah zur Seite.

Annika stand auf und umarme mich zur Begrüßung. „Gut dass du jetzt da bist. Kenny und Mark haben mehr abbekommen. Aber die Ärzte meinten, die Operationen sind gut verlaufen. Wir dürfen sie heute nur noch nicht besuchen, weil sie sich ausruhen müssen."

„Und Mom?" Ich fühlte mich schrecklich, weil ich jetzt erst da war und alles erfragen musste.

Ty umarmte mich ebenfalls. Ich schloss kurz die Augen und drückte ihn an mich.

„Was ist los?", fragte ich ängstlich.

Nach einer Weile erklärte Dad: „Ein Auto kam aus einer Seitenstraße geschossen. Die Polizei vermutet, er ist vor etwas geflohen und deswegen so rücksichtslos gefahren. Deine Mutter saß am Steuer und hat es herumgerissen, um nicht mit ihm zusammen zustoßen. Doch wir waren zu schnell und sind ins Schleudern geraten. Dann war da ein Haus im Weg und unser Wagen ist direkt dagegen gefahren. Die Fahrerseite war total zerquetscht."

„Was bedeutet das?" Ich schrie fast vor Angst. Nein, das durfte nicht sein.

Annika nahm mich in den Arm und sagte endlich: „Die Ärzte haben keine große Hoffnung. Sie liegt im Koma." Ihre Stimme brach und sie wurde von Schluchzen geschüttelt. Dad ergriff meine Hand und Ty umarmte Annika und mich.

Die nächsten Stunden erlebte ich wie in Trance. Ärzte kamen und gingen, versuchten, uns zum Essen zu bringen oder mit uns zu reden. Wir warteten auf Nachrichten, es gab nicht viel zu sagen. Ab und zu begann einer zu weinen, dann standen ihm die anderen bei. Es war unerträglich, herum zu sitzen und absolut nichts tun zu können. Irgendwann, es war schon wieder dunkel draußen, klingelte mein Handy. Ich bekam es erst gar nicht, ignorierte es dann. Nichts war wichtig genug, jetzt meine Aufmerksamkeit zu bekommen.

Aber Ty meinte: „Geh ran, Rina. Das bringt doch nichts."

Ohne Emotionen, einfach seinem Befehl folgend, nahm ich den Anruf an.

„Rina! Wie geht es dir?" Tobias aufgebrachte, besorgte Stimme weckte mich etwas auf.

„Nicht gut. Wie soll es mir schon gehen?" Ich klang mürrischer, als ich beabsichtigt hatte, aber er nahm es nicht persönlich.

„Tut mir leid, dumme Frage. Du hast dich nicht gemeldet. Ich dachte, du brauchst vielleicht eine Ablenkung." Seine Stimme klang so zärtlich, so besorgt, dass mir sofort wieder die Tränen hochkamen. Ich blinzelte sie weg und setzte mich aufrechter hin.

„Danke", sagte ich, „Aber eigentlich will ich gar keine Ablenkung. Mom liegt im Koma. Wir warten darauf, dass jemand uns sagt, ob sie jemals wieder aufwacht." Die Bitterkeit in meiner Stimme machte mir selbst Angst.

Ty warf mir einen fragenden Blick zu. Ich hielt kurz das Mikrofon zu und sagte etwas schuldbewusst: „Tobias. Ich hatte versprochen, mich zu melden."

Silver Swan ~ Die SchwanenköniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt