Ich landete direkt hinter Gwendolyn und musste feststellen, dass der Keller in dieser Zeit wohl nicht so häufig in Gebrauch war, denn er war ziemlich modrig und dunkel.
Ich nahm Gwendolyns Hand und sie protestierte auch nicht, wahrscheinlich sah sie es ein, dass es mit dem Kleid alleine nicht so leicht wäre hier raus zu kommen.
Eigentlich sollte uns doch Rakoczy abholen. Ich frage mich wirklich wo der abblieb. Er war doch angeblich so vertrauensvoll.
Als wir zu dem vorderen Teil des Kellers kamen, hingen auch endlich Fackeln an den Wänden, sodass man endlich sehen konnte, wo man genau hinlief.
Gwendolyn, deren Hand ich immer noch hielt, blieb auf einmal stehen, sodass ich gezwungener Maßen auch stehen bleiben musste.
Sie schaute in einen der Räume, der anscheinend ein Vorratskammer war. Der ganze Raum war voller Speisen, die Gwendolyn anscheinend gefesselt hatten, denn sie konnte sich gar nicht mehr los reißen und schaute sich interessiert alles an.
„Guck mal, die müssen Tischdeko auch kühlen." meinte sie dann.
„Das ist keine Tischdeko! Das ist ein echter Schwan. Ein sogenanntes Schaugericht." sagte ich darauf zu Gwendolyn und zog sie weiter.
Ich kam aber nicht weit, den kurz vor uns hinter einer riesigen Torte tauchte Rakoczy auf, sodass ich mich erschreckte und stehen blieb.
Gwendolyn stieß dabei einen kleinen Schrei aus, sodass ich aus meiner Starre wieder auftauchte.
„Folgt mir." raunte uns da schon Rakoczy zu.
„Hättet Ihr uns nicht längst in Empfang nehmen sollen?" fragte ich Rakoczy auf den Weg nach oben.
Darauf bekam ich jedoch keine Antwort. Was mich aber auch nicht wunderte, denn Rakoczy war glaub ich nicht so der Typ, der sich Fehler eingestand, höchstens gegenüber dem Grafen, aber da auch nur, da dieser ziemlich respekteinflösend sein konnte.
Stattdessen nahm sich Rakoczy eine Fackel aus der Halterung und winkte uns zu ihm zu folgen. Wir gingen einen Seitengang lang, der uns zu einer weiteren Treppe führte.
Je weiter wir die Treppe hinaufkamen, desto lauter wurde auch das Stimmengewirr, welches man von oben vernehmen konnte.
Als wir das Ende der Treppe erreichten meinte Rakoczy zu uns.
„Ich werde aus dem Schatten heraus mit meinen Leuten über Euch wachen."
Eher wir noch irgendetwas sagen konnte, war Rakoczy auch schon verschwunden. Also eins musste man dem Typen schon lassen. Im unbemerkt auftauchen und verschwinden war er wirklich gut. Da konnte ihm so schnell keiner etwas vor machen.
„Ich vermute, der hat keine Einladung bekommen." sagte Gwendolyn kurz darauf.
„Doch, natürlich ist er eingeladen. Aber er will sich wohl nicht von seinem Degen trennen und die sind im Ballsaal nicht erlaubt." meinte ich dann zu Gwendolyn und musterte sie dabei von oben bis unten. „Sind noch Spinnweben auf deinem Kleid?"
Jetzt schaute Gwendolyn mich empört an. Was hab ich denn nun wieder falsch gemacht?
„Nein, aber vielleicht in deinem Hirn." sagte Gwendolyn dann.
Das war eine ernst gemeinte Frage von mir gewesen, aber Gwendolyn sah das anscheinend nicht so, denn nun drängte sie sich an mir vorbei und öffnete die Tür.
Das Foyer war voller Menschen, sodass es keinen auffiel, dass wir gerade aus dem Keller kamen. Wie wäre es gewesen, wenn wir direkt hier rein gesprungen wären. Das hätte ich mir mal lustig vorgestellt, aber nein, dafür waren die Wächter viel zu vorsichtig und hielten sich zu sehr an die Regeln.
Gwendolyn neben mir schauten sich alles genau an und sah auch leicht fasziniert aus. Sie hatte es sich wohl anders vorgestellt. Ich war zwar auch noch nicht auf einem Ball, aber Giordano hatte mir genug darüber erzählt, dass ich wahrscheinlich besser wusste, was hier passierte, als die Gastgeber.
Als wir den Saal betraten schauten ein paar Leute in unsere Richtung, wahrscheinlich um zu sehen, wer jetzt kam. Sie betrachteten uns von Kopf bis Fuß, als müssten sie sich jedes Detail von uns merken.
Wie ich dieses gegaffe hasste. Ich dachte wenigstens in diesem Jahrhundert hatte man Manieren und schaute nicht andere Leute ungeniert an. Dem war aber anscheinend nicht so. Tzz und Giordano will uns Manieren beibringen. Das ich nicht lache.
Ich nahm Gwendolyns Hand fester, als ich merkte, dass sie sich leicht unwohl fühlte, als uns eine die Leute anschauten. Sie schaute an sich herunter. Anscheinend dachte sie, dass doch noch irgendetwas aus dem Keller an ihr hing.
„Es ist alles bestens." meinte ich zu ihr. „Du siehst perfekt aus."
Sogar mehr als perfekt, wenn das überhaupt möglich ist. Gwendolyn räusperte sich darauf nur verlegen und ich musste sie einfach grinsen.
„Bereit?" fragte ich sie dann.
„Bereit, wenn du es bist." antwortete sie mir darauf und ich war froh darüber. Das hatte sie mir bisher auf all unseren gemeinsamen Sprüngen geantwortet. Und ich wusste nicht, ob sie es heute auch machten würde, da sie ja wütend auf mich war.
Ich hielt nun Ausschau nach dem Grafen, dabei ignorierte ich das Getuschel um uns herum.
Es war wirklich ein Vorteil, dass die Leute in dieser Zeit noch alle kleiner waren als bei uns. So konnte ich über sie drüber schauen und hatte einen bessern Überblick, sodass ich den Grafen auch schnell ausfindig machen konnte.
Er stand auf einem schmalen Balkon und unterhielt sich mich Alcott, dem ersten Untersekretär der Loge.
Als wir vor dem Grafen ankamen verfiel Gwendolyn in eine tiefe Reverenz, bis der Graf ich uns zu sich winkte.
„Meinte lieben Kinder - Ihr seid pünktlich auf die Minute." meinte er dann. Dabei nickte er Gwendolyn zu und mich umarmter er herzlich.
Ich musste mich überwinden so wie immer zu sein, nachdem ich erfahren hatte, was der Graf mit Gwendolyn vor hatte, war ich nicht mehr so gut auf den alten Mann zu sprechen.
„Was sagte Ihr, Alcott? Könnt Ihr etwas von meinem Erbgut in den Zügen dieses schönen jungen Mannes erkennen?" fragte nun der Graf Alcott.
„Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit in der Haltung, meine ich." antwortete Alcott darauf.
Klar, was sollte er sonst sagen. 'Nein, ich sehe keine Ähnlichkeit. Sie sind ein alter mehr oder weniger gebrechlicher Mann und er nicht.' So was durfte er wohl kaum sagen.
„Wie sollte man auch ein so junges Gesicht mit meinem alten vergleichen können?" meinte der Graf darauf. „Die Jahre haben in meinen Gesichtszügen gewütet, manchmal erkenne ich mich im Spiegel kaum wieder."
Der Graf fächelte sich nun mit einem Taschentuch Luft zu und fuhr dann fort mit reden.
„Darf ich übrigens vorstellen: der Ehrenwerte Albert Alcott, derzeit der Erste Untersekretär der Loge."
„Wir sind uns bereits bei diversen Besuchen in Temple begegnet." meinte ich darauf und verbeugte mich leicht.
„Ach ja richtig." sagte der Graf dann.
„Leider habt ihr den Auftritt des Herzogspaares verpasst." redete nun Alcott los. „Die Frisur Ihrer Durchlaucht hat viel Neid erregt. Ich fürchte, dass die Londoner Perückenmacher sich morgen vor Kundschaft kaum retten können."
„Eine wirklich schöne Frau, die Herzogin! Wie schade, dass sie sich berufen fühlt, sich in Männergeschäfte und Politik einzumischen. Alcott, wäre es wohl möglich, den Neukömmlingen etwas zu trinken zu besorgen?" sagte der Graf.
„Selbstverständlich!" meinte Alcott eifrig. „Weißwein? Ich bin sofort wieder da."
Oh nein, bitte kein Alkohol. Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie Gwendolyn auf der Soiree Alkohol getrunken hat und danach ein Musical-Song gesungen hat. Zwar konnte sie wirklich gut singen, aber trotzdem konnte ich darauf heute Abend wirklich verzichten.
„Das ist ein Schreiben an deinen Großmeister. Er enthält Einzelheiten zu unserem nächsten Zusammentreffen." meinte der Graf nachdem Alcott verschwunden war und holte einen Brief aus seiner Rocktasche hervor.
Ich nahm den Brief entgegen und holte dabei den Brief raus, den Falk mir mitgegeben hatte.
„Darin befindet sich ein ausführlicher Bericht über die Geschehnisse der vergangenen Tage. Es wird Euch freuen zu hören, dass das Blut von Lady Tilney nun im Chronografen eingelesen ist." meinte ich, als ich dem Grafen den Brief reichte.
Zu Lady Tilney war ich gesprungen, bevor ich zu Giordano gegangen war. Die Wächter hatte mich ins Jahr 1916 geschickt. Dort musste Lady Tilney zusammen mit den de-Villiers-Zwillingen im Keller von Temple elapsieren, aufgrund des Ersten Weltkrieges.
Zu meiner großen Überraschung hatte sich Lady Tilney nicht geweht, wie die Male davor, sondern gab mir ohne Widerrede ihr Blut. Ich hatte sie nur einmal kurz darum bitten müssen. Ich frage mich immer noch, wieso es heute so einfach war.
Na ja, egal.
Der Graf klopfte mir nach der 'guten Nachricht' auf die Schulte.
„Fehlen also nur noch Saphir und Schwarzer Turmalin." sagte der Graf dabei. „Oh, wenn er wüsste, wie nahe wir dran sind, die Welt u verändern!"
Dabei wies der Graf mit dem Kopf in Richtung Lord Alastair, der auf der anderen Seite des Saales stand. Als dieser unsere Blicke bemerkte, schaute er uns hasserfüllt an.
„Da steht er und träumt davon, uns mit seinem Degen zu durchbohren." meinte der Graf dann. „Tatsächlich denkt er seit Tagen an nichts anderes. Er hat es sogar geschafft, seinen Degen in diesen Tanzsaal zu schmuggeln." dabei strich sich der Graf übers Kinn. „Weshalb er weder tanzt noch sitzt, er steht nur steif wie ein Zinnsoldat herum und wartet auf eine Gelegenheit."
Ich musste sagen, dass ich mich mit Degen auch wohler fühlen würde.
„Und ich durfte meinen Degen nicht mitnehmen." meinte ich dann vorwurfsvoll.
„Keine Sorge, meine Junge, Rakoczy und seine Leute werden Alastair nicht aus den Augen lassen. Das Blutvergießen überlassen wir heute Abend den tapferen Kuruzzen." erwiderte der Graf darauf.
Trotzdem hätte ich gern einen Degen. Klar ich hatte die Pistole, aber trotzdem.
„Aber er würde uns doch nicht... vor allen Leuten... ich meine, auch im 18. Jahrhundert durfte man nicht einfach so ungestraft morden?" fragte Gwendolyn, nachdem sie noch einen Blick zu Lord Alastair geworfen hatte. „Lord Alastair würde nicht riskieren, unseretwegen am Galgen zu landen, oder?"
Gwendolyn schien wirklich Angst vor diese Typen zu haben, aber ich würde sie vor ihm beschützen. Egal was kommt.
„Nein, dazu ist er zu schlau." meinte da der Graf. „Aber er weiß auch, dass er nicht allzu viele Gelegenheiten haben wird, euch neide jemals wieder vor seine Klinge zu bekommen. Er wird sie nicht einfach verstreichen lassen. Da ich dem Mann, den ich für den Verräter in unseren Reihen halte - und nur ihm! - zugespielt habe, um welche Uhrzeit ihr beiden euch wieder - unbewaffnet und allein - für den Rücksprung in den Keller begeben müsst, werden wir ja sehen, was passiert..."
„Äh, aber..." fing Gwendolyn an, wurde aber von Grafen unterbrochen, in dem er seine Hand hob.
„Keine Sorge, Kind! Der Verräter weiß nicht, dass Rakoczy und seine Leute euch auf Schritt und Tritt bewachen werden. Alastair schwebt der perfekte Mord vor: Die Leichen lösen sich nach der Tat praktischerweise in Luft auf. Bei mir würde das natürlich nicht funktionieren, daher plant er für mich einen anderen Tod."
Tja, ich glaube nicht, dass es das war, was Gwendolyn wissen wollte. Sie wusste nämlich nicht genau, warum wir auf diesem Ball sind. Aber da der Graf ja so nett ist, hat er es ihr gerade sehr positiv erklärt, dass wir die Lockvögel spielen, um den Verräter in unseren Reihen, wie es der Graf so schön ausdrückt, ausfindig zu machen.
Zum Glück kam gerade Alcott zurück, sodass wir das Thema wechseln konnten. Ich nahm dafür sogar eine alkoholisierte Gwendolyn in kauf, da Alcott unsern Weißwein brachte. Hinter Alcott kam Lord Brompton angelaufen.
Dieser freute sich uns wiederzusehen und begrüßte uns und Gwendolyn küsste er mehrmals die Hand, was mir gegen den Strich ging. Ich mochte es nicht, wie Lord Brompton Gwendolyn immer anschaute.
„Ah, der Abend ist gerettet." rief Lord Brompton. „Ich freue mich so! Lady Brompton und Lady Lavinia haben Euch auch schon gesehen ,aber sie wurden auf der Tanzfläche aufgehalten. Man hat mich beauftragt, Euch zum Tanzen zu holen." dabei lachte Lord Brompton, obwohl ich nicht wusste warum.
Aber viel schlimmer war es, dass Lady Lavinia auch da war. Ich hatte es zwar befürchtet, aber immer noch gehofft, dass sie doch nicht das wäre. Tja, Pustekuchen.
„Das ist eine gute Idee." meinte der Graf dann. „Junge Leute sollten tanzen! Ich habe in meiner Jungend auch keine Gelegenheit ausgelassen."
Dann wollen wir mal den Grafen nicht enttäuschen und tanzen gehen. Außerdem konnte ich so Gwendolyn stoppen den Weißwein zu trinken. Ich entnahm ich schnell das Glas, bevor sie es trinken konnte. Uns ich musste sagen, ich hatte Glück, dass sie noch keinen Schluck davon genommen hatte.
Das Glas rechte ich Alcott und zog dann Gwendolyn mit auf die Tanzfläche, wo man sich gerade zum nächsten Menuett aufstellte.
Auf der Tanzfläche winkte uns Lady Brompton zu und ich platzierte Gwendolyn in der Reihe der Damen. Kaum stand sie richtig, als auch schon die Musik einsetzte.
Zu meinem Bedauern sah ich jetzt erst neben wem wir uns aufgestellte hatten. Neben Gwendolyn stand niemand anderes als Lavinia. Was hatte ich getan, dass ich in letzter Zeit so viel Pech hatte. Sie trug ein grünes, sehr weit ausgeschnittenes Kleid, dass man fast bist zu ihrem Bauchnabel blicken konnte. Ich frage mich echt, wie eine Frau in ihrem Alter so etwas tragen konnte. Hatte sie es echt so nötig?
„Wie wunderbar, Euch wiederzusehen!" meinte Lady Lavinia da auch schon zu uns gewandt.
Ich war jedoch froh, als wir endlich begannen zu tanzen.
Es begann mit der Tour de Main und ich schritt dabei an Gwendolyn vorbei, lies sie dabei jedoch nicht aus den Augen. Darauf reichte ich Gwendolyn meinte rechte Hand, während ich die linke in die Hüfte nahm. Und ich musste sagen, Gwendolyn tanzte wirklich sehr gut. Sie schwebte förmlich übers Parkett.
„Herrlich, diese Haydn-Menuette." meinte ich dann „Wusstest du, dass der Komponist fast den Wächtern beigetreten wäre? In ungefähr zehn Jahren, auf einer seiner Reisen nach England. Er überlegte damals, sich dauerhaft hier in London niederzulassen."
„Sag bloß." erwiderte Gwendolyn, als sie an mir vorbei tanzte. „Ich wusste bisher nur, dass Haydn ein Kinderquäler war."
Ich musste unweigerlich lächeln. Ich wollte zwar noch wissen, warum Haydn angeblich ein Kinderquäler war, aber da tanzten wir auch schon aus der Viererfigur in einen großen Kreis. Dabei betrachte ich Gwendolyn weiter und sie sah so aus, als würde es ihr Spaß mache, obwohl sie sich beim Üben immer beschwert hatte, dabei konnte sie es doch.
Ich war froh, als sich der Kreis endlich auflöste und ich wieder auf Gwendolyn zuschreiten konnte. Und zu meiner großen Überraschung strahlte mich Gwendolyn auf einmal an, sodass ich alles um uns herum vergaß. Jetzt gab es gerade nur sie und mich.
Ich nahm Gwendolyns ausgestreckte Hand entgegen und nahm sie richtig in die Hand, anstatt sie nur leicht zu nehmen.
In diesen Moment war es mir egal, dass ich nicht mit Gwendolyn zusammen sein konnte. Es war doch alles gut und außerdem konnte ich sie doch auch beschützten, wenn wie zusammen waren.„Gwendolyn, ich lasse mir von niemandem mehr..." weiter kam ich nicht, denn da griff Lady Lavinia nach meiner Hand und legte Gwendolyns Hand in die ihres komisches Tanzpartners.
Dabei meinte sie lachend. „Wir tauschen mal kurz, einverstanden?"