zwanzig

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»Nimm deine Teufelshände von meiner Freundin.«

Langsam drehte sich Penelope Blossom mit gefasstem Gesicht und starrer Wirbelsäule um, aber ihre Hände zitterten und das toxische Tuch fiel in Cheryls schmalen Schoß.

Am Türbogen zum Flurbereich, wo keine Tür eingesetzt worden war, lehnte niemand geringeres als Toni Topaz. Ihre heldenhaften Hände hielten das Serpent-Messer, was sie an ihrem Bruder so verflucht hatte. Ihre Haare strahlte eine Nachmittagssonne an und sie war wieder eine nordische Götter, so wie ihr dunkler Fluss das Licht reflektierte. Die pinken Strähnen machten sie unendlich. Sie hatte ihre Serpent-Jacke an und extra ein kurzes Oberteil, damit man das gefährliche Tattoo an ihrer Hüfte sah. Es warnte davor, sich mit ihr anzulegen. Wie bei den Schwester würde Cheryl unsicher sein, ob ihre Erscheinung real sei, wenn die Reaktion ihrer Mutter nicht verriete, dass es so war.

Es war unmenschlicher Stolz, was ihre Brust anschwellen ließ.

»Wie hast du uns gefunden?«, zischte Penelope jenseits jeglichen Glaubens, dass Toni hier sorglos auftauchte, als stattete sie einer Tante einen Besuch ab.

»Einfach. Ich habe ihrer Tochter versprochen, dass ich ihr sein werde, wenn es niemand anderes sei«, plauderte Toni und schwang das Messer in einer Kreisbewegung. Sie zwinkerte gekonnt zu ihrer sprachlosen Freundin. »Oh und mein Bruder sang wie ein Kanarienvogel, als zwölf Serpents ihre Waffen auf ihn richteten.«

»Claudius hat ihm gesagt, wohin wir gehen, dieser Idiot.« Der folgende Ton, den Penelope erzeugte, kam aus der Hölle persönlich. Toni stieß sich vom Türrahmen und trat in die persönliche Atmosphäre der Kindesentführerin ein. Ihre straffen Schultern symbolisierten, dass der Sieg ihrer war.

»Ich erledige das hier kurz und dann lass mich dich in Sicherheit bringen«, versprach sie Cheryl tief in die Augen blinkend. Wäre diese nicht voller Angst, hätte sie aufgelacht wegen der Anspielung auf ihr erstes Treffen im Pop's. Doch so blinzelte sie nur mit rasendem Herzen und verwuchs mit der Kälte des Stoffes, auf dem sie festsaß.

Keine dieser Emotionen war auf dem Gesicht ihrer Mutter zu sehen. Stattdessen grinste Penelope höhnisch und trat ebenfalls an Toni heran.

»Du wirst bereuen, zurückgekommen zu sein.«

Mit einem lässigen Grinsen über ihre Schulter gab Toni den Blick auf die Eingangstür frei. »Ich widerspreche.« Dann nickte sie einem unsichtbaren jemand zu und schon explodierte die Szene.

Die breite Tür gab unter einem unbestimmten Knall nach und flog splitternd aus der Verankerung. Es war wie in einem Aktionsfilm. Aus dem Dunkel des Abends wurde ein Lichtermeer und Gesetzeshüter mit gezogenen Waffen drangen systematisch in den Bereich. Ihre Uniformen waren nass, als wären sie durch das Blättergestrüpp eines regnerischen Waldes gerodet. Einzig und allein Sheriff Keller erkannte man an dem reflektierenden Goldstern auf seiner Brust. Er stand an der Spitze und deine Mine drückte finster aus, wie es ihn aufregte, dass sein friedlicher Feierabend gestört wurde.

Siegessicher sagte Toni: »Sie werden diejenige sein, die es bereuen wird, nicht gegangen zu sein«, und rutschte in einer haarscharfen Kurve an Penelope vorbei. Aus Nähe sah man das Zittern ihrer Lippe und dass es nicht lange her war, dass sie geweint hatte. Ihre Augen leuchteten noch wie gläserne Sterne, und die Augenringe quollen stärker hervor als sonst. Trotzdem arbeitete sie bestimmt an den Fesseln und versuchte aggressiv den Strickknoten aufzulösen. Er hatte bereits leichte Einkerbungen verursacht und so wie in Filmen wollte Cheryl sich, nachdem sie abfielen, die Handgelenke reiben.

»Das Spiel ist vorbei, Penelope«, bellte Sheriff Keller.

Die wichtigste Festnahme ihres Lebens speilte sich im Hintergrund, als wäre sie nur noch eine Szene im Studium nebenan. Seine Schritte drangen wie Sirup zu ihr. Obwohl er betont sprach, hörte sie ihn nicht klar. Ihre Blick haftete an ihrer Freundin und das war wahrscheinlich der Fehler aller.

»Kommen sie langsam und mit erhobenen Händen zu mir herüber.«

Cheryl verglich ihre Erinnerung an Toni, wie sie gewesen war, mit jener Version, die sich mit sorgengetränkter Gestik und Mimik vor ihr zeigte. Sie war vorher unschuldig gewesen, hatte die ganze Welt noch vor sich knieend. Ihr Gesicht war ernster geworden, ihre Augen mit mehr Lava als Sanftheit gefüllt, ihre Hände harscher von den Dingen, die sie für Cheryl getan hatte. Das machte sie nicht minder schöner, einfach ... anders. Ein besonderes anderes, das Cheryl glauben ließ, dass sie nicht nur schlechtes in dem Schmutz und der Asche angeboten hatte, sondern auch eine Möglichkeit sich selbst zu finden. Es setzte ihr noch zu, dass Toni in ihrem Schatten gegangen war, keine Frage. Sie wollte es ab jetzt dennoch richtig machen und beweisen, dass sie sich auf einer Ebene gegenüberstanden.

Trotzdem kam kein »Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast« über die Lippen, sondern »Es tut mir leid«.

Toni zog rasch die Schleife der ersten Fessel auf und zog eine Augenbraue hoch, als frage sie wofür.

»Ich entschuldige mich für als das Blut in deinem Mund. Ich wünschte, es wäre meins.«

Sie kicherte leicht wegen der poetischen Wortwahl. Dann schüttelte sie mit schnellen Wimpernschlägen ihre atemberaubenden Haare und löste die zweite Fessel. Sie verschränkte sofort ihre Finger miteinander und nutze die zweite Hand, um mit der Sanftheit einer zu Boden gleitenden Feder Cheryl Wange zu berühren. Ihre Finger waren heiß, aber sie zitterten nicht länger, und vorsichtig sammelten sie sich unter Cheryl Kinn, um ihr Gesicht eingehend zu studieren.

Cheryl vergaß, was fünf Minuten zuvor fast passiert wäre und Sheriff Keller, der Penelope ihre Recht aufsagt. Sie hatte ausgeblendet, dass ihre schlimmste Feindin soeben wohl geschnappt worden war und sie feiern sollte, indem sie jeden Polizisten einzeln umarmte. Stattdessen verlor sie ihre Vernunft mal wieder in den Augen, die dafür geschaffen worden waren, um ihr den Kopf zu verdrehen. Cheryl schaute Toni an, als sähe sie sie zum ersten Mal und dabei war sie ein Engel. Den Kloß in ihrem Hals konnte sie endlich runterschlucken. Happy Ends gab es doch.

Sie war daran, ihre Freundin zu küssen, als das passierte, was man bei jeder Interaktion mit der Polizei vermeiden sollte. Es fiel ein Schuss. Nicht irgendein Schuss von irgendwem, sondern ein Schuss aus der Waffe des Sheriffs und nicht durch seine Hand. Man bemerkte zu spät, dass Penelope hinterlistig und unberechenbar war. Wimmernd sackte Kevins Vater zusammen und schon blickte sie wieder dem schwarzen Ende einer Pistole entgegen.

»Liebes, wenn ich untergehe, nehme ich dich mit in die Hölle.«

Danach folgte der schlimmste Anblick, der sich jemals einem bieten konnte, wenn man jemanden liebte. Eine Gestalt sank zu Boden, eine weitere stieß einen verzweifelten Schrei aus, dem Verlauf einer Kugel folgend, und in der schockierten Stille danach brach die ganze Welt zusammen.

Rot ist eine warme Farbe (Choni)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt