sieben

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Sie starrte lange durch ein winziges Fenster mit Gitterstäben dahinter und dahinter wiederum war modriges Efeu an einer Hauswand. Die Tapeten waren von innen hässlich graublau und von außen, verriet die Wand, war es nur noch grau.

Die Drogen verloren schnell ihre schläfrige Wirkung. Der neblige Traum von braunen Marmoraugen verblasste Minuten nach ihrem Erwachen. Sie wollte zurück in diese Fantasie. Aber die Schwestern, ihr zugeteilt: Schwester Livingston, bemühten sich wie die Armeisen, jeden Ausblick auf Freude in einen Albtraum zu verwandeln. Sie wurde verhöhnt, wenn sie den Namen Toni flüsterte. Abend saß sie im Schneidersitz, als würde sie meditieren, und wiederholte die Worte wie ein Mantra, das sie dazu brachte, sich in den Serpent zu verlieben.

Schwester Livingston überdeckte die wage Erinnerung an einen Abend mit Freunden und dem Hauch eines beinahe Kusses mit pampigen Essen auf Krankenhaustabletts. Je mehr sie von dem Brei aß, desto mehr redete ihr der gehässige Umgang ein, dass sie tatsächlich weniger wert wäre. Sie hatte Momente, da war sie felsenfest überzeugt, dass sie es verdiente in diesem Raum—Zelle—zu verrotten. Sie hätte Toni doch eh nur mehr Kummer und ungehobelten Umgang gegeben. Hier nun hatte sie endlich Ruhe vor ihrer Mutter und den Schikanen und sie musste nicht mehr das Mädchen sein, hinter deren Rücken getratscht wurde. Es erschien wie ein anderes Leben. Den letzten Hinweis darauf gaben die verwaschenen Mascara-Stränge, die sie oft versuchte, sich ganz von der Wange zu rubbeln.

Es gab dementgegen die euphorischen Momente. Natürlich nur in dem Umfang, wie sie möglich waren, wenn man täglich Sandsäcke hin- und herschleppte, um danach in Erschöpfung sich von einem Film eintrichtern zu lassen, die eigenen Gefühle wären unnatürlich, verboten müsste man sie sich selbst. Manchmal versank sie während der Filme in der Euphorie, die sich bot, wenn sie von einem Vorstadtleben mit ihrer Fotografin tagträumte. Sie schmeckte die Zuckerwatte der Straßenfeste auf der trockenen Zunge und sie hörte die Lieder, zu denen sie tanzen würden, dafür hatten sie extra die Wohnzimmermöbel auseinandergeschoben, weil ihr Apartment kleiner war als geplant. Am deutlichsten fühlte sie die Hitze der weichen Hände um ihre Hüfte. Wenn sie einen letzten Wunsch hätte, bevor sie in dem Gebäude verblasste, würde es die Berührung dieser Hände sein, die sich um ihre Gesicht schlangen, einmal noch ihren Daumen über die Lippen fahren lassen. Genauso sähe ihre einzige Bitte aus.

Dann schnipste sie zurück in die Realität, wenn der Filmmoderator sagte, dass zwei sich küssende Männer, nicht in die Gesellschaft gehörten. Sie war wieder gefangen zwischen den verschwörerischen Stimmen auf dem Gang, die an Zivilisation zweifeln ließen, und der weiten Sehnsucht nach Toni Topaz. Wahrscheinlich hatte der Serpent keine Ahnung, wo sie war, im besten Fall, hatte sie sie bereits aufgegeben. Cheryl wollte nach Jason Hand greifen, er war überall in ihrem Kopf, aber er war nie da.

So ließ sie zu, dass die Nonnen sie brachen.

Die Zeit war eine Erfindung der Außenwelt, die sich in dem Gebäude unorthodox anfühlte wie die Schwerkraft auf dem Mond. Auf dem eisernen Bett könnte sie zwei oder zwanzig Mal geweint haben; die Säcke könnten von rechts nach links oder von links nach rechts getragen worden sein. Augenblicke, Qualen, Filme rannten flüchtig vorbei, bedachten sie eines abschätzigen Blickes, pflanzten Schmerz in jede Erinnerung. Die Stränge wurden verwaschener und ihre Augen röter.

Cheryls rissige Haut ruhte auf dem schmuddeligen Raumfenster, als würde sie nur durch die Berührung das Glass verschwinden lassen können, was die echte Welt abschirmte. Was würde sie nur geben, um ein wenig frische Luft zu atmen.

Was würde sie nur alles geben, um Toni Topaz zu sehen.

Cheryl drehte sich von dem Fenster weg, als Schwester Livingston verkündete, dass es einen Film gäbe, den sie sehen müsste. Das sadistische Lächeln erreichte ihre Augen nicht.

Rot ist eine warme Farbe (Choni)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt