1. Kapitel

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Geduldig wartete ich, bis die ersten Menschen mein U-Bahn Abteil verlassen hatten, ehe ich mir ebenfalls vorsichtig einen Weg nach draußen bahnte. In den Tunneln war es stickig und es herrschte ein mehr als unangenehmes Klima, trotz der Kälte. Wie jeden Morgen auch, schlängelte ich mich geschickt durch die bunten Menschenmengen, während meine schwarzen Stilettos in einem schnellen Tempo auf dem rauen, dreckigen Boden klackerten.

Sobald ich mir meinen Weg nach oben gesucht hatte und aus der Station an der 5th Avenue auf die 59th Street getreten war, schlug mir die eisig kalte Luft erbarmungslos ins Gesicht. Ein messerscharfer Wind zerzauste meine dunkelblonden, bis weit über die Schultern reichende Haare, die ich glücklicherweise aber in einem Pferdeschwanz fixiert und somit vor der garantierten Ruinierung bewahrt hatte.

Fröstelnd schlang ich meine Arme um meinen in einen hellgrauen Mantel eingepackten Körper und vergrub einen großen Teil meines Gesichts in dem dicken weißen Schal, der in den letzten Tagen zu einem meiner treuesten Begleiter geworden war. Dieser Morgen war wohl der schlimmste der gesamten Woche. Ich liebte diese Stadt, aber die Winter konnten unheimlich garstig sein und der diesjährige würde sich wohl auf den letzten Metern noch zu dem widerwärtigsten mausern, den ich seit meiner Ankunft hier erlebt hatte. Selbst an Weihnachten hatte es nicht so viel Schnee gegeben. Genau genommen fast gar keinen. An manchen Straßenlaternen war sogar noch Werbung für Weihnachtskonzerte angebracht, die die Stadt bisher noch nicht entfernt hatte.

Mein Blick war die meiste Zeit auf den Asphalt geheftet, damit ich den vielen gefrorenen Pfützen und Schneebergen ausweichen konnte, die sich über Nacht wieder aufs Neue angesammelt hatten. Mittlerweile war New York schon so überfüllt mit dem weißen Nass, dass selbst die geübten Mitarbeiter der Stadt immer mehr Mühe bekamen, jeden Tag aufs Neue dagegen anzukommen.

Bei einem flüchtigen Blick zur Seite sah ich in der Ferne The Pond, zu dem ich manchmal nach Feierabend ging, um mich noch etwas von dem oftmals sehr hektischen Tag zu entspannen. Ich liebte den Central Park, vermutlich so wie jeder andere New Yorker auch, aber ich hatte sogar das besondere Privileg, in dessen unmittelbarer Nähe zu arbeiten.

Sobald es möglich war, wechselte ich auf die andere Straßenseite und führte meinen Weg unbehelligt fort. Nur noch wenige Meter trennten mich von meinem Ziel und ich erkannte bereits die beiden großen Flaggen, welche an dem von außen doch relativ unscheinbaren Gebäude angebracht waren. Diese zeigten nicht nur das Star-Spangled Banner, sondern auch das Wappen der Hotelkette auf dem königsblauen Hintergrund, die trotz der leichten Vereisung immer noch etwas im Wind hin- und herwiegten.

„Guten Morgen, Frank", flötete ich trotz der beißenden Kälte gut gelaunt und lächelte den förmlich gekleideten, älteren Mann freundlich an, woraufhin dieser sofort anfing zu strahlen.

„Guten Morgen, Miss Adair", begrüßte auch er mich, wobei sich ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete.

„Wann wirst du endlich auf meine Bitte eingehen, mich einfach Hannah zu nennen?", fragte ich gespielt beleidigt, während ich darauf wartete, dass Frank mir die edle, hohe Tür mit den vergoldeten Griffen öffnete.

„Sobald du anerkennst, dass ich mittlerweile ein schon ziemlich alter Mann bin und ich zu meiner Zeit in der alten Schule noch beigebracht bekommen habe, dass eine hübsche, junge Frau Ihres Kalibers mit vollem Respekt zu behandeln ist", erwiderte Frank daraufhin, so wie er es immer tat, wenn ich ihn auf diesen Umstand aufmerksam machte.

Ich schüttelte lachend den Kopf. Wir wussten natürlich beide, dass dieser Tag nie kommen würde. Ich liebte Frank und obwohl er mit seinen bald schon siebzig Jahren der älteste Angestellte hier war, wirkte er auf mich überhaupt nicht so. Er war so etwas wie ein cooler Großvater, den sich wohl jeder in seinem Leben wünschte. Ein richtiges Unikat in diesem Hotel und eigentlich musste er längst nicht mehr arbeiten, aber natürlich hatte ihm hier niemand die Bitte abschlagen können, auch nach seiner Pensionierung noch regelmäßig dem Job nachzugehen, dem er über all die Jahre hinweg mit aller Inbrunst nachgegangen war. Bei Wind und Wetter war er hier und ich hatte großen Respekt davor, dass er in seinem Alter doch noch so fit und robust war, dass ihm das schmuddelige New Yorker Wetter wohl überhaupt nichts anhaben konnte.

New York Exit // Benedict Cumberbatch FF [abgeschlossen] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt