Samuel sprang auf. Er rannte schnellstmöglich zum Tresen. »Rosie, du musst mal kommen!«, rief er begeistert.
Sie reckte ihren Kopf aus dem kleinen Küchenfenster. »Was ist denn? Ich koche gerade! Braucht ihr noch was zu trinken?«
»Ich glaube, ich habe eine Lösung für deinen Mangel an Gästen!« Samuels Augen glänzten, ob dieser frohen Kunde.
Rosie trat aus der Küche heraus. Immer wieder kam Samuel auf die absonderlichsten Ideen, wie man ihrer Herberge wieder mehr Gäste bescheren könnte. Sie reichten von der simplen Teilnahme an Wettbewerben bis hin zur Vortäuschung einer Aliensichtung. »Und? Was hast du dir diesmal ausgedacht?«
»Also«, begann er, »wir haben gerade Skat gespielt, aber das weißt du ja schon. Als May uns wiedermal abzog, kam plötzlich so ein Fremder und hat mich in der Kartenwahl beraten, worauf Johann und ich es doch noch geschafft haben, aus dem Schneider zu kommen. Jedenfalls luden wir dann diesen unbekannten Skatmeister ein, mit uns zu spielen. Ich hab gegeben und durfte ihm in die Karten schauen.« Rosie blickte unauffällig auf die Uhr. Wenn Samuel einmal im Redefluss war, dann war er wie ein Wasserfall. Unerlässlich stürzten sich in solchen Momenten Worte über seine Lippen in den freien Raum, besonders wenn es um sein geliebtes Skatspiel ging.
»Dann beim Reizen, war erst mal alles normal. Johann passte und May übernahm das Sagen. Ich dachte dieser Fremde, Iacobus heißt er, würde einen einfachen Pik spielen wollen. Doch dann ist er bei Null noch mitgegangen und ich dachte mir so: Was zum Teufel, hat der irgendwie ein geheimes Skatgefühl oder ist er einfach nur wahnsinnig? Jedenfalls ging dann das große Reizen los. May und Iacobus steigerten sich in die Höhe und plötzlich gewann er das bei 48. Du hättest mal das Gesicht der Alten May sehen sollen. Unvergesslich!«
Vermutlich hatte er Recht. Der alten Dame beim Verlieren zuzusehen, war immer sehr erfrischend, zumal es nur ungefähr einmal pro Dekade vorkam. »Sam, das ist ja schön und gut, aber ich muss jetzt wieder in die Küche. Ein Kuchen ist im Ofen. Ich lausche deinen Abenteurerzählungen gern nachher am Kamin.« Rosie tat es im Herzen weh, ihn abwimmeln zu müssen, doch sah sie keine andere Lösung.
»Nein warte! Das Wichtigste kommt doch erst noch.« Samuel sah sie flehend an. »Ich halte mich auch kurz.«
»Na, gut. Dann schieß los.«
»Iacobus hat dann Null Overt Hand gespielt und mit einer Herzdame angefangen. Einer HerzDAME! Ich meine, was ist das?!« Samuel war ganz aufgeregt. Doch auch Rosie zog eine Augenbraue hoch. Obwohl sie nur selten Skat spielte, wusste sie dennoch, dass es beim Null darum ging, keinen einzigen Stich zu machen. Da war es höchst riskant mit einer Dame, der dritthöchsten Karte im Spiel herauszukommen.
»Das ist wirklich ungewöhnlich«, gab sie deshalb zu. »Kam es deswegen zu diesen lautstarken Auseinandersetzungen?«
Es war durchaus normal, dass es im Schankraum ab und zu zu Wortgefechten kam. Rosie hielt sich dann immer erst einmal im Hintergrund und beobachtete die Situation. Nur im Notfall, der selten eintrat, schritt sie ein und trennte die Streithähne mit der Hilfe einiger andere Gäste. Reichte das nicht, verwies sie die Aggressoren des Hauses. Die Skatgruppe war allerdings noch nie auf Eskalation versessen gewesen, weshalb Rosie kaum auf deren Auseinandersetzungen achtete. Meistens ging es sowieso nur darum, dass sie sich über das Glück des jeweils Anderen echauffierten.
»Ja, deshalb, aber nicht nur. Iacobus gewann nämlich sein Null und gab darauf zu Gedanken lesen zu können! Das wär doch ein Gästemagnet, wenn er hier Auftreten würde!«
Rosie lachte herzhaft. Sie schätzte ihren Sam für seinen speziellen Humor. »Danke, dass du mich immer so aus heiterem Himmel aufheiterst. Hm ... Der Satz war irgendwie seltsam.«
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Der Gedankenleser
Science FictionEine Novelle: Ein Wissenschaftler, eine Erfindung, eine Verwicklung mit tragischem Ausgang. Iakob Greif war ein großer Visionär der Neurowissenschaft. Aufgrund seiner Progressivität, die Einigen als Träumerei galt, wurde er häufig missverstanden, v...