Die schroffe Person ließ ihn nicht los. Unentwegt kreisten Elias' Gedanken um diesen Fremden, der so gar nicht in sein beschauliches Tal passte. Er besaß eine Ausstrahlung, eine Autorität, die Elias einen Schauer über den Rücken jagte, doch wirkte der Neuankömmling auf ihn auch irgendwie - er konnte es schlecht beschreiben - fast hilflos.
Unwillkürlich bemerkte Elias, dass er dem Fremden während seiner Gedankengänge ununterbrochen nachgeschaut hatte. Er sah die mittlerweile deutlich kleiner wirkende Gestalt einsam die Straße entlang laufen. Bei diesem Anblick, der in seinem Inneren ein unbehagliches Gefühl tiefsten Mitleides aufkommen ließ, fasste Elias einen Entschluss.
Ganz außer Atem kam er am alten Apfelbaum zum Stehen. Seine Lungen brannten. Ihr Feuer schien ihm geradezu eine Erkältung in den Leib zu brennen, was er sich in Vorbereitung auf Erntedank eigentlich nicht leisten konnte. Allerdings opferte er sich nur zu gern für seine Mitmenschen auf.
Um sich eine kurze Verschnaufpause zu gönnen, lehnte Elias sich gegen die knorrige Borke. Durch die dünnen, niedrigen Zweige des Holzapfels sah er den mittlerweile deutlich langsamer gehenden Fremden nur noch wenige Meter entfernt. Endlich hatte er ihn eingeholt, viel länger hätte er auch nicht mehr durchgehalten.
Er schloss die Augen, um sich auf das, ihn nun erwartende Stechen vorzubereiten. Langsam sog er die kühle Herbstluft ein. Seine Lungen füllten sich unter einem immer tiefer werdenden Brennen.
Nun öffnete er die Augen wieder, löste sich aus seiner tiefen Besinnung und spannte seinen Bauch, um den folgenden Ruf mit all der Kraft zu stützen, die er noch aufzubringen vermochte. Kurz vorm Zerreißen, öffnete er den Mund und ließ seiner Stimme freien Lauf. »Ich will Ihnen helfen!« Es fühlte sich an, als betätige er das Pedal eines Blasebalges. Doch die entspannende Wohltat wurde langsam aber stetig vom Brennen in seinem Hals beseitigt.
Durch das dumpfe periodische Pochen in seinem Schädel drang ein leises Geräusch, ein tiefes Summen. Es war die melodische Stimme des Fremden, welche immer wieder - ganz kurz - das schwellende, ihn umfangende, Dröhnen durchbrach, »... ehrt mich, doch ... bloß auf dem Weg zur Herberge ...« Über solch einen Bass würde er sich sicherlich bei seinen Proben gehörig freuen. »... Ihr Wissen über diesen Ort ...« Elias errötete. »... alledem danke ich Ihnen für Ihr Engagement.«
Ohne zu zögern, ging der Fremde weiter, doch dies wunderte Elias nicht. Die Städter waren seltsame Leute, immer so zielstrebig und leicht ablenkbar. Dies war einer der Gründe, weshalb er sich damals für die Anstellung in Feldbirn und gegen ein weiteres Verbleiben in der Großstadt entschieden hatte. Sein Studium war ihm schon Belastung genug gewesen.
Auch wenn Elias so viele Erfahrungen verwehrt blieben, konnte er sich nun rühmen, einer der wenigen Zuwanderer zu sein, die Feldbirn inniger kannten, als der ein oder andere, der in dem kleinen Örtchen aufgewachsen war. Denn Feldbirn hatte einiges zu bieten; es war ein geradezu geschichtsträchtiger Ort. Davon musste er bloß noch den Vorausschreitenden überzeugen.
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Der Gedankenleser
Science FictionEine Novelle: Ein Wissenschaftler, eine Erfindung, eine Verwicklung mit tragischem Ausgang. Iakob Greif war ein großer Visionär der Neurowissenschaft. Aufgrund seiner Progressivität, die Einigen als Träumerei galt, wurde er häufig missverstanden, v...