Das Geschirr klapperte, leise vernahm sie das Quietschen von Metall auf Porzellan. Viele Menschen hätten es für Lärm gehalten, das wusste Rosie, doch ihr gefiel es, hieß es doch, dass eine Zeitenwende stattgefunden hatte. Selbst heute war die Gaststätte gut gefüllt, obwohl gar keine Vorstellung stattfand. Gryphus musste sich ja auch mal erholen.
»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«, fragte Rosie die Gäste, denen sie gerade neue Getränke gebracht hatte.
»Ja, klar. Alles bestens!« Das nahm sie der breit grinsenden Dame nur zu gerne ab. Es war schön, endlich so viel Lob zu bekommen.
»Das freut mich. Dann möchte ich mal nicht weiter stören, melden Sie sich doch gern, falls Sie noch etwas benötigen.«
Sie wand sich um und wollte wieder zum Tresen gehen, als ihr ein Tumult auffiel. Die Ecke, in der Gryphus saß und seine Fähigkeiten de facto doch zur Schau stellte, geriet in Bewegung. Als Rosie genauer hinschaute, erkannte sie, dass wild auf den Gedankenleser, der sich gerade vom Tisch abwand, eingeredet wurde. Er wand sich noch einmal zu seinen Bewunderern um, dann kam er auf die Wirtin zu.
»Ich bin doch recht erschöpft, die letzten Tage waren im Nachhinein anstrengender als sie sich angefühlt haben. Es wird Zeit, sich in Morpheus' Arme zu begeben.«
Jetzt wo er so vor ihr stand, sah er wirklich geschafft aus. Seine Haltung war nicht mehr so strickt, wie Rosie sie kannte und auch seine Augen hatten sich bereits leicht verengt. »Das wird wohl das Beste sein, nicht dass du dir nachher noch etwas eingefangen hast.« Die Besorgnis in ihrer Stimme war kaum zu überhören. »Soll ich dir noch etwas auf's Zimmer bringen, vielleicht eine heiße Milch?« Warme Getränke taten Wunder, wenn es darum ging einen Schlaf so erholsam wie möglich zu machen. Ihre Großmutter hatte ihr früher diese Weisheit gelehrt, wenn sie nicht einschlafen konnte. Eine Heiße Milch und eine großmütterliche Gute-Nacht-Geschichte, das waren Erinnerungen, die ihr Herz erweichten.
»Vielen Dank für das Angebot, aber mir reicht mein warmes Bett.« Hektisch ging Iacobus zur Tür. Rosie wollte ihm noch eine geruhsame Nacht wünschen, entschied sich aber anders. Schlaf schön, dachte sie und vertraute darauf, dass Gryphus noch genügend Konzentration aufbrachte, ihren Wunsch zu hören.
Langsam glitt die Tür zu den Zimmern zu und verschluckte die erschöpfte Gestalt des Gedankenlesers. War er wirklich nur müde gewesen oder gab es noch etwas anderes, was sein Auftreten erklärte? Hatten seine Augen nicht abnormal glasig, fast fiebrig geschienen? Vielleicht hätte sie ihm doch keine Milch anbieten sollen, sondern auf das andere Hausheilmittel ihrer Großmutter zurückgreifen sollen: Heißes Bier schlägt jeden Keim in die Flucht!
Die Herbergstür riss Rosie aus ihren Gedanken. Sie ging auf sie zu um die neuen Gäste, zwei Herren mittleren Alters, zu begrüßen. Die beiden blieben stehen und musterten den Gastraum. »Herzlich willkommen im Alten Birnbaum. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Die Neuankömmlinge schienen von ihrer zuvorkommenden Art überrascht, war es doch nicht üblich sofort begrüßt zu werden, wenn man ein Lokal betrat. Dies war eine der Verhaltensweisen, die sich Rosie in den Jahren angewöhnt hatte, als es der Herberge schlecht ging. War der Gastgeber sofort zur Stelle, steigerte dies die Zufriedenheit des Kunden.
»Einen Tisch, bitte«, knurrte der Kleinere.
Ohne Umschweife führte sie die Beiden zu einem kleinen Tisch, an dem sie sich niederließen. »Hätten Sie gern etwas zu essen? Die Küche ist noch warm, allerdings nicht mehr lange.« Ihre Köchin Esmeralda war eine gute Seele der ländlichen Kost und passte so hervorragend zum Gasthof. Früher hatte sie Rosie nur am Wochenende geholfen und wenn eine Ratssitzung oder ein Fest anstand, jedoch ging sie ihr, seit Gryphus für Gäste sorgte, täglich zur Hand. Der Zustrom an Besuchern war zwar wundervoll, allerdings machte er der Köchin schwer zu schaffen. Ihre alten Knochen waren einfach nicht mehr für so einen Ansturm ausgelegt.
DU LIEST GERADE
Der Gedankenleser
Ciencia FicciónEine Novelle: Ein Wissenschaftler, eine Erfindung, eine Verwicklung mit tragischem Ausgang. Iakob Greif war ein großer Visionär der Neurowissenschaft. Aufgrund seiner Progressivität, die Einigen als Träumerei galt, wurde er häufig missverstanden, v...