Sekretärinnen Rot

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Sommer 2012

~Julia~

Das wird mein Tag.

Das war mir irgendwie schon klar als ich die Augen aufschlug. Die aufgehende Sonne schien in mein Schlafzimmer und tauchte es in ein helles Licht. Ich hörte die Vögel durch das geöffnete Fenster singen und ganz weit entfernt sogar schon den Morgenverkehr, aber das störte mich heute nicht. Ich war davon überzeugt, dass das heute mein Tag sein würde. Ich kuschelte mich wohlig in die Bettwäsche und schloss noch einmal die Augen, da ich dieses euphorische Gefühl unbedingt noch ein wenig genießen wollte.

Nach etwa fünf Minuten hielt ich es dann doch nicht mehr im Bett aus. Ich schaltete den Wecker aus, noch bevor er dazu gekommen war uns mit seinem schrillen Klingeln zu wecken, und drehte mich zur anderen Seite um. Dort küsste ich Bens nackte Schulter. „Guten Morgen, aufstehen“, trällerte ich, aber auf angenehme Weise, denn ich wusste, dass mein Freund gern sanft geweckt wurde. Dann drehte ich mich wieder zurück und stieg, sprang schon fast aus dem Bett.

Ich beeilte mich unter der Dusche und ging dann in Bademantel in die Küche. Auch hier strahlte die Sonne durch die Fenster. Mit meinen nackten Füßen spürte ich die warmen Vierecke, die die Sonne auf den Boden projizierte. Schnell stellte ich die Kaffeemaschine an. Vorbereitet hatte ich sie wie immer schon gestern Abend, damit ich sie morgens nur anschalten konnte. Diese Angewohnheit hatte sich bei mir in den drei Monaten entwickelt, als ich nach meiner bestandenen Prüfung, Anfang Mai, arbeitslos war und die abgelehnten Bewerbungen mich depressiv gemacht hatten. So sehr, dass ich morgens nur schwer zu motivieren war.

Heute war das anders. Heute war mein erster Tag bei meinem neuen Job. Ich kam mir vor wie bei meinem ersten Schultag. Damals – so hatten mir und jedem, der es nicht wissen wollte, meine Eltern erzählt – war ich schon früh um fünf aufgestanden, hatte mir mein schönstes Kleidchen angezogen, natürlich dazu passende weiße Lackschuhe mit Schleifchen, und hatte mit meinem gepackten Ranzen im Flur vor der Tür auf den Beginn meines ersten Schultags gewartet. „Damals hast du es nicht erwarten können“, lachte meine Mutter dann immer, wenn sie diese Anekdote mal wieder zum Besten gab.

Ich deckte den Tisch, während Ben duschte und ging dann ins Badezimmer zurück, wo ich mir meine wilden blonden langen Haare föhnte. Anschließend jagte ich ins Schlafzimmer zurück, zog mir Unterwäsche an, trug ein wenig Make-up auf und zog mir dann mein hellgraues Etuikleid an. Meine euphorische Eile wurde erst gestoppt, als ich vor meinem Schuhschrank stand. Welche von meinen Lieblingen sollte ich denn nehmen? Die wunderschönen Schwarzen, mit den goldenen Applikationen am Haken? Sandalen? Etwas Flaches? Warum musste ich auch so viele Schuhe haben? Da fiel einem die Wahl schon schwer.

Schließlich betrat ich die Küche mit meinen grauen Highheels an den Füßen. Ben war im Bad wohl noch nicht fertig, also begann ich schon einmal zu frühstücken.

„Oh, heute rot?“, fragte Ben, als er sich mit der Tageszeitung mir gegenüber an den Tisch setzte. Jetzt sah er wieder wie aus dem Ei gepellt aus. Seine braunen Haare hatte er streng nach hinten gekämmt und sein Vollbart war auf exakte drei Millimeter getrimmt.

„Sekretärinnen Rot“, korrigierte ich ihn, schob mir einen Löffel voll Müsli in den Mund und lackierte dann weiter meine Fingernägel mit eben diesem Rot.

„Verstehe“, murmelte Ben und verschwand hinter seiner Zeitung, wie jeden Morgen. Nur machte es mir an diesem Morgen nichts aus. An diesem Morgen trug ich endlich wieder Nagellack auf, weil ich eine neue aufregende Aufgabe angehen konnte. Das war in den letzten Monaten nicht so. Da hatte ich keine Lust auf Farbe an meinen Nägeln gehabt.

Die Neue {mats hummels ff}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt