Nachtgetaumel und Silliven von @Blattsprenkel03

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Nachtgetaumel und Silliven

Behäbig tragen mich meine ausladenden Schwingen durch die klare Nacht. Über mir funkeln die Sterne im weiten Himmelszelt. Ich drehe mich um mich selbst. Die kleinen Punkte verschwimmen zu verwaschenen Schlieren vor meinen Augen, ich kneife sie zusammen um mehr erkennen zu können. Die Weite des Universums. Die Lichter weit unter mir. Zwischen den Bäumen. Mit einigen kräftigen Schlägen gleite ich wieder ruhig mit den warmen Winden und lasse mich vorsichtig zur Erde sinken. Einige Äste bleiben an meinen Flughäuten hängen, doch die meisten brechen unter meiner gewaltigen Masse. Dumpf schlage ich unter den dunklen Eichen auf, die Krallen bohren sich in das weiche Moos. Einige Mondstrahlen fallen durch das Blätterdach, spiegeln sich, wie in einem See, funkelnd in meinen Schuppen. Die Bäume drängen sich links und rechts von mir eng zusammen und ich schiebe mich durch das Dickicht. Alles weicht mir aus, ich wirke wie eine uralte Legende. Ein wahr gewordenes Märchen. Unwirklich, fern und bedrohlich. Der Boden erbebt nach jedem Schritt, es grollt.

Die Bäume schließen ihre Zweige über mir, bis ich in Dunkelheit ersticke. Harte Rinde schabt über meinen düsteren Panzer, doch nichts hält mich in dieser Nacht auf.

Liebliche Stimmen, wie perlender Regen, erhellen mein Herz. Ich schiebe meinen Kopf auf eine Lichtung. Unter einer Wurzel haben sich kleine, kichernde Wesen versammelt. Fingernagelgroße Lampions schweben über ihren Köpfen. Silberne Windspiele werden von sanften Sommerbrisen zum klingen gebracht. Ich brumme, augenblicklich richten sich alle Augenpaare auf mich. Flirrende Lichtpunkte jagen über meine Hörner, meinen langen Kopf und meine Augen funkeln wie Smaragde im Dämmerlicht. Ein Wesen erhebt sich und tapst vorsichtig auf mich zu. Seine zarten Fingerkuppen streifen meine Tatze und hinterlassen dampfenden Nebel. Ich neige mich nach unten, funkle es an. Es hickst leise, eine rote Glitzerspur ergießt sich vor mir auf den Waldboden. Ausgelassen kichern die Wesen erneut und erneut herrscht eine ausgelassene Stimmung. Ich lege mich auf meine Tatzen, beobachte das Treiben gutmütig. Klingende Gespräche dringen fremd an meine Ohren. Einige Wesen hangeln übermütig an meinen Hörnern, andere stützen sich taumelnd an meinem überragenden Körper ab. Der Geruch von vergorenem Nektar liegt in der Luft. Winzige Stühle klirren, wenn sich jemand erhebt. Vor mir legen sie frische Beeren und erlegte Tiere des Waldes ab. Genüsslich atme ich diese Unbeschwertheit. Diese Freiheit. Kleine Tropfen des Nektars rinnen über meine Schnauze, an den Nasenlöchern vorbei. Mit meiner langen Zunge lecke ich mir die süße Köstlichkeit ab. Die Windspielen spielen lauter, die Wesen fassen sich an ihren Händchen, bilden Kreise und tanzen angeheitert um ihre Tische und die kleinsten Blumen. Auch ich wiege mich im Takt der unbekannten Melodien.

Herber Sommerwein tut sein übriges. Ich fühle mich leicht wie noch nie und merke nicht, wie ich durch mein Schnauben immer mehr Erde und Steine aufwirbele. Ein strenges Wesen stampft auch mich zu und ich erhebt seinen spitzen Zeigefinger. Peinlich berührt schließe ich meine Augenlider zur Hälfte. Ich vergesse zu schnell, wie groß ich doch eigentlich bin. Seine strenge Miene wird sanfter, es streicht kribbelnd über meine Nüstern. Mit Mühe kann ich ein Niesen unterdrücken. Das Wesen lacht klirrend. Es dreht sich um und kehrt zu seinen Freunden zurück.


Eine Böe lässt die Windspiele noch laut klappern. Es scheint, als weiche die Melodie aus ihnen. Unruhig murmeln die winzigen Wesen. Auch sie fühlen sich unwohl. Ich hebe meinen mächtigen Kopf. Ein Schatten fällt auf die Lichtung. Er schluckt jeglichen Glanz aus meinen Schuppen. Ein durchdringendes Dröhnen überstimmt die hellen Laute. Vor den Sternen schwebt ein riesiger roter Drache. Größer als ich es je sein werde. Auf seinem Rücken sitzt ein anmutiger Elf. Seine goldene Rüstung macht den Sternen Konkurrenz. Klingend verkündet er in einer Sprache, die jedes Tier und jedes magische Wesen versteht: „Ihr habt die Stille der heiligen Elfennächte durchbrochen! Die Silliven schworen uns einst ewige Gefolgschaft! Ihr seid eine Schande für euren Anführer." Die kleinen Wesen, die scheinbar Silliven heißen, zucken bei seinen drohenden Worten unheilvoll zusammen. „Eure Sommernachtsfeste wurden schon vor langer Zeit verboten! Sie zerstören unseren Einklang. Eure Götter gibt es schon lange nicht mehr!", höhnt der Elf, „Eure Traditionen gibt es nicht mehr! Der Name eures Volkes verschwand aus den Geschichtsbüchern, also schweigt!". Mit diesen Worten gibt er seinem Drachen ein Signal. Zischend nimmt er Kurs auf die Silliven. Ich nehme meinen gesamten Mut zusammen und schlage einige Male kräftig mit den Flügeln. Erstickte Schreie klingen von den Winzlingen zu mir, doch ich ignoriere sie und baue mich schützend vor ihnen auf. Ich schreibe es meinem benebelten Bewusstsein zu, dass ich mich gegen Verwandte stelle. Der rote Drache zögert kurz. Von uns gibt es nur noch wenige und wir versuchen uns genug Raum zu geben, ohne uns gegenseitig abzuschlachten. Doch der Elf treibt ihn weiter an. Seine schwarzen Augen zeigen Entschlossenheit. Mit einem wilden Kreischen stößt er herab in meine Richtung.

Die Farben um mich herum verschwimmen zu einem Wirbel, als auch ich zu ihm hinauf schieße. Ich habe vor ihn abzufangen, obwohl er doppelt so groß scheint wie ich. Ich halte auf seine Schwanzspitze zu und schnappe danach. Mein Kiefer klappt in der Luft zusammen. Es scheppert laut. Ich habe ihn verfehlt. Ruckartig drehe ich mich um meinen geschuppten Leib und stürze hinab, kralle mich auf dem Riesen fest und lasse nicht locker. Er bäumt sich auf, zappelt, brüllt, doch ich gebe nicht nach. Der Elf flucht in seiner Sprache. Er dreht sich zu mir um und attackiert mich hasserfüllt. „Stirb Bestie!", spuckt er aus. Keuchend stoße ich ihm heißen Atem entgegen. Geschickt springt er zur Seite und lässt einen harten Schlag auf meine empfindlichen Nüstern sausen. Ich zische auf. Der Schmerz ist brennend und macht mich rasen. Ich hole mir meinem Schwanz aus und gleichzeitig schnappe ich vor. Er kann nicht rechtzeitig ausweichen und ich erwische ihn an seinem Hemd. Ohne zu zögern ziehe ich ihn mit mir in die Lüfte, weg von dem roten Drachen, der in Sekundenschnelle die Tische in Brand gesetzt hatte und nun die Silliven in eine Ecke drängt. Ihre Stimmen klingen panisch. Einige Mutige versuchen noch ihn mit Nebel zu verwirren oder ihren Staub in seinen Augen zu verteilen. Die Echse verwirrt der plötzliche Verlust ihres Reiters und sie guckt nach oben, direkt in mein hartes Gesicht. In meine smaragdgrünen Augen. Erbost erhebt sie sich, doch ich bin schneller. Mit kräftigen Schlägen jage ich weiter zu den Sternen. Immer höher auf den lauen Sommerwinden. Doch auch der rote Riese verfolgt mich immer schneller. Er legt an Tempo zu. Wie ein Blitz kommt er mir, trotz meiner kräftezehrenden Anstrengungen, immer näher. Ich schnaufe heiße Luft. Der Elf ist bewusstlos geworden. Das ist gut so, denn die Luft wird immer dünner. „Warum gehorchst du ihm?", schnarre ich dem anderen Drachen zu und schüttele dabei den Elf. Er antwortet nicht. „Bist du dir zu fein um zu reagieren?", frage ich. Er blinzelt nicht mal. Die Luft ist so dünn wie nie zu vor. In dieser Atmosphärenschicht verschwinden alle Illusionen.

Plötzlich flackert die Luft um den Giganten. Erlischt, bis nur noch ein kleiner Vogel vorhanden ist. Ein Rotkehlchen. Mit den Illusionen verschwinden auch die Sinnestäuschungen. Das Vögelchen schüttelt sich irritiert. Ich sehe wie es verwundert nach unten guckt. Rotkehlchen können so hoch oben nicht fliegen. Mit einem erschrockenen Zwitschern verlässt die Kraft seine Flügel. Es rudert wild, kann seinen Absturz jedoch nicht mehr verhindern. Immer schneller schießt es auf die Erde zu, bis ich es nicht mehr sehen kann. Angewidert blecke ich meine Zähne. „Elfen, die Vögel versklaven, können sich wohl kaum noch >Hüter der Natur< nennen.", denke ich fuchsteufelswild und schüttele die Gestalt in meinen Krallen erneut gut durch. Schon seit einigen Minuten schlage ich nicht mehr mit den Flügeln und begebe mich in den Sinkflug. Der Elf zuckt wieder, doch ich lasse mich nicht beirren. Rasend schnell nähere ich mich einer Baumgruppe. Nadelbäume. Ich lasse ihn fallen und setze mit einem gewaltigen Satz vor ihm auf. Ich stupse ihn an. Er hustet und erwacht langsam. Seine Augen öffnen sich und blicken in weniger als einer Sekunde geschockt. Ich grinse. Das sieht grausam aus, das weiß ich. „Du nennst dich >Freund der Natur und ihrer Tiere<? Schäm' dich! Du hast es nicht verdient so genannt zu werden! Das einzige was dich beschreibt ist das Wort >Sklaventreiber<!", knurre ich wütend und düster. Der Sklaventreiber rutscht ängstlich weg von mir. Bibbernd fleht er um Gnade, doch ich gucke ihn nur überheblich an. „Wage es nicht noch einmal, irgendeinem Wesen böses zu tun. Ich werde dich finden!", meine Sätze klingen wie Drohungen und so sind sie auch gemeint. Dieser Abschaum hat es nicht verdient über andere Wesen zu urteilen! Ohne ihn noch einmal anzufunkeln kehre ich um und fliege zurück zu den Silliven. Die Landschaften fliegen unter mir nur so dahin. Nadelwälder werden abgelöst von trockenen, kahlen Gegenden. Diese werden zu Gebirge, welches weiter abflacht und schließlich zu Laubwald wird. Große und kleine Flüsse ziehen sich wie blaue Blutadern unter mir dahin. Speisen die Welt mit ihrem klaren Nass. Ich stelle meine Schwingen gegen den Wind. Schwebe regungslos über den Baumkronen, dann lasse ich mich fallen und setze laut auf. Wieder höre ich die kieksenden Schreie der Silliven. Beruhigend weiche ich einige Schritte zurück und begutachte die Zerstörung. Umgekippte Tische, brennende Wurzeln und verängstigte Wesen. Krallenspuren. Nach zwei weiteren, kräftigen Schlägen meiner Flughäute erlischt auch noch das letzte Feuer. Vorsichtig drücke ich meine knochige Schwanzspitze gegen die Tische und richte sie damit langsam auf. Zum Zeichen meiner Unterstützung verneige ich mich vor den Winzlingen. Sie starren mich aus ihren glitzernden Augen überrascht an. Einige ehrfurchtsvoll, andere misstrauisch. Doch die meisten einfach dankbar. Indem ich meine Pranken versuche seicht aufzusetzen, ziehe ich mich rückwärts zurück. Die Silliven hatten genug Störungen für diese geheimnisvolle Nacht. Den Rest davon sollen sie in Ruhe unter dem funkelnden Himmelszelt verbringen dürfen.

Ein Wesen kommt auch mich zu und streckt seine zierliche Hand zitternd nach mir aus. Ich halte ganz still. Der Silliv verneigt sich ganz tief vor mir. Ich beobachte, wie es sich umkehrt und vor den anderen auf einen kleinen Stein steigt, ehe es mit schabenden und doch harmonischen Lauten seinen Freunden etwas erklärt. Dabei zeigt er manchmal auf mich. Selbst die leuchtenden Glühwürmchen beäugen mich. Ich blinzele unruhig. Was sagt es da? Die anderen Wesen nicken zustimmend, dann applaudieren sie. Es klingt wie eine Melodie. Ihre holzigen Hütchen fliegen in die Luft, bis sie sie wieder auffangen. Das Wesen, auf dem Stein, dreht sich zu mir um. Es runzelt seine Stirn. Mit knarrender Stimme ahmt es meine Sprache nach. „Errrlaubt sein es dirrr unsere Feste geheiligt anzuwohnen." Diese Worte überraschen mich dann doch. Ich hätte nicht erwartet, dass ich diese Worte von diesen zierlichen je hören würde. „Wir dich brrringen in unserrre Mitte.", fährt es fort, „Echssse, erlaubst du uns, den Silliven, dich als Ehreee in unsere Gemeinschaft aufsuneehmen?". Perplex brummele ich zustimme. Ich bemerke, dass sie mich nicht verstehen, also antworte ich: „Es wäre mir die größte aller Ehren." Der Silliv nickt gewichtig und erhebt sie Hände. Seine Freunde tuen es ihm gleich und verfallen in einen beruhigenden Singsang. Der Silliv hüpft auf mich zu und schmiert gelbe Farbe um mein Maul und an meine Hörner. Ich rieche, dass auch Nektar ein Bestandteil sein muss. „Schwöre unserrr Gemeinschaft nicht su verraten!", befiehlt das Wesen. „Ich schwöre.", gelobe ich. In einem verrückten und verbogenem Tanz springen die Silliven um mich herum, dann knien sie sich vor mich. Der Anführer stellt mir eine Nussschale mit Wasser hin. Ich nehme etwas zwischen die Lippen und sprühe es in einem feinen Nieselregen über die Gesellschaft. Im Sternenlicht schimmert es perlmuttfarben. Auf ein geheimes Kommando hin erheben sich die Wesen und lächeln mich breit an. Ihre Zähne glitzern weiß und kommen mit mit der Zeit immer größer vor. Irritiert gucke ich an mir herunter. Ein hilfloser Schrei entweicht mir, klingt aber eher nach einem zu hohen Quietschen. Mein großer Körper schrumpft! Immer weiter, bis meine Schuppen einem Staubkorn gleichen. Mir Greten die Tränen in die Augen. Drachen können nicht weinen, aber was bin ich jetzt schon?! Eine übergewichtige Eidechse mit schrumpeligen Mini-Flügelchen. Die Silliven umringen mich, flüstern beruhigende Wort und mir wird wärmer, während meine Bedenken langsam schwinden. Diese Nacht ist magisch, alles kann geschehen. Und so überlasse ich es meinem Schicksal über mich zu richten.

Zu ihrer Rettung tischen mir die, nicht mehr ganz so kleinen, Silliven Beeren, Nüsse, frisches Fleisch und natürlich vergorenen Nektar auf. Das Nachtdüster weicht sanft der friedlichen Morgendämmerung. Meine Rülpser sind wie Seifenblasen und steigen auf wie Ballons. Selbst ich taumele von dem Wein und das, obwohl Drachen eigentlich fast resistent gegen Alkohol sind. Ich fühle mich wohler als jemals zuvor. Spüre Freundschaft und Gemeinschaft. Weiß, dass ich unterstützt werde. Gemeinsam mit den kleinen Wesen jaule ich der Sonne entgegen und applaudiere zärtlich den Windspielen. Flocken aus altem und neuem Licht vermischen sich, bilden einen Kranz um die festliche Lichtung und erheben sich zusammen mit Morgennebel aus der belebten Stille des Waldes. Gedankenverloren schaue ich den Glühwürmchen nach, sehe, wie es sich langsam leert. Die warmen Sommernächte fanden einen Abschluss in dieser wahrlich denkwürdigen Feier der winzigen Silliven, die ich nun auch kaum noch überrage. Lächelnd rolle ich mich unter einer kleinen Wurzel zusammen und genieße den letzten Mondschein auf meinem fließenden Schuppenkleid.



„Aufbruch!", die Stimme meines Reiters zerreißt die Stille und mich aus meinen Träumen. „Die Silliven werden sich wünschen niemals geboren wurden zu sein!", johlt die Menge und alle Drachen fauchen zustimmend. Es ist das erste Jahr, dass ich mich zurückhalte. Zu frisch sind noch die Erinnerungen an meinen Traum, an eine andere Wirklichkeit.


SommernachtsträumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt