Schneeflocken

129 12 4
                                    

PoV: Patrick

Langsam fielen dicke Schneeflocken auf die Erde. Sie tanzten wunderschön in der Luft, bevor sie sich sanft zu Boden legten. Ich betrachtete das Schauspiel hinter der Glasscheibe unseres Schlafzimmers. Meine Ellenbogen taten schon weh, da ich sie die ganze Zeit über auf dem steinernden Fensterbrett abgestützt hatte. Meine Gedanken schienen endlich mal eine Pause zu machen und ich wurde wieder einmal von kompletter Leere übermannt. Ich sehnte mich gerade nur nach einer Umarmung. Seufzend blickte ich auf meine Uhr. 14 Uhr 37. Manuel würde sicher noch aufnehmen. Der ach so tolle GermanLetsPlay war nur ein Zimmer weiter, doch ich vermisste ihn seit Wochen. Wir waren nun seit genau acht Monaten, zwölf Tagen und fast fünfzehn Stunden zusammen. Mitten in der Nacht wurde ich damals von meiner Klingel geweckt. Manu war einfach nachts losgefahren, stand vor meiner Tür, nur um mir zu sagen wie viel ich ihm bedeute. Letztendlich hatte ich ihn einfach geküsst, da ich schon seit Ewigkeiten Gefühle für ihn hatte.

Von dieser Liebe spürte ich nun nur noch selten etwas. Natürlich verstand ich, dass Manu einer der erfolgreichsten LetsPlayer Deutschlands war, allerdings war ich nicht der Meinung, dass er sich deshalb den ganzen Tag in unserem Aufnahmezimmer verbarrikadieren musste. Das tat ich schließlich auch nicht. Egal wann ich ihn darauf ansprach, immer blockte er ab und wechselte das Thema. Wieder entfuhr mir ein Seufzen.

Kurz darauf hörte ich, wie sich leise quietschend unsere Wohnungstür öffnete. Verwirrt drehte ich mich in die Richtung des Geräusches. Eigentlich war das unnötig, da die geschlossene Schlafzimmertür den Blick auf andere Teile der Wohnung versperrte. Trotzdem blieb mir die Frage, ob Manu irgendwo hin wollte.
Noch einen Augenblick lang stand ich unschlüssig an unserem Fenster und spürte die Wärme der Heizung an meinen Beinen. Schließlich entschloss ich mich Manu einfach zu fragen, wohin er wollte. Mit einem Hauch von Nervosität und Traurigkeit öffnete ich die Tür des Schlafzimmers und stand im nächsten Moment in unserem Flur. Mein Blick fiel auf die offen stehende Wohnungstür. Manuel hockte im Eingangsbereich und band sich seine Schuhe zu.

"Wo willst du hin?" fragte ich leise. Manu fuhr herum. Seine giftgrünen Augen musterten mich und fixierten schließlich meine Augen. "Ich will raus." sagte er nur monoton. Ich nickte nur schwach, drehte mich auf dem Absatz um und verschwand wieder ins Schlafzimmer. Kein 'Willst du mitkommen?', kein 'Keine Angst, ich komme doch gleich wieder!' und auch kein 'Ich liebe dich Palle.' Eigentlich erwartete ich letzteres seit Wochen nicht mehr. Ich spürte wie meine Augen sich langsam mit Tränen füllten. Warum sollte ein so perfekter Mensch wie Manu auch so einen Menschen wie mich lieben? Ich erwartete wahrscheinlich einfach zu viel. Es klopfte kurz. Imstande etwas zu sagen war ich gerade nicht, also trat Manu einfach so ein. Ich sah nur sein Spiegelbild in der Fensterscheibe, da ich mich wieder an meinem Lieblingsplatz der Wohnung befand. Keiner von uns hielt es für nötig etwas zu sagen. Dabei wäre das wohl gerade jetzt wichtig. Er strich seine Haare aus dem Gesicht und öffnete den Mund um etwas zu sagen. Fasziniert von seiner Erscheinung beobachtete ich ihn weiter indirekt. Manuel sah gerade so perfekt aus. Um genau zu sein sah er so aus wie immer, aber für mich war er immer perfekt. Egal welche Fehler er hatte, ich wusste ich würde ihn für immer lieben. Leider war ich mir lange nicht mehr sicher, ob er noch genauso fühlte. Er hatte sicher besseres zu tun. Das zeigte er mir Tag für Tag. Keine Umarmung, kein Händchenhalten, kein Kuss. Der letzte kleine Liebesbeweis war sicherlich über einen Monat her. Ich erwartete gar nicht, dass Manuel mir jede Minute sagte wie sehr er mich mochte, nein. Ein Lächeln würde auch schon reichen. Oder ein einfaches 'Wie geht's dir?'. Natürlich könnte auch ich meinen Teil dazu beitragen, aber ich hatte es satt. Ich hatte es satt, immer die zweite Geige zu spielen. YouTube stand bei ihm schon seit so langer Zeit im Vordergrund. Und ich? Ich war für ihn komplett im Schatten des GermanLetsPlay verschwunden. Frustriert starrte ich weiter auf die glitzernde Decke aus Schnee, die sich wie eine Schutzhülle auf die so zerbrechliche Welt darunter gelegt hatte.

Schneeflocken | Kürbistumor OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt