die 19. Stunde

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,,Komm, ich führ dich rum. Immerhin hab ich hier mal gewohnt", sagte der blonde Junge und klang dabei schon fast freundlich.
Das Mädchen war seit ihrer Ankunft nicht mehr vom Bett aufgestanden, weil der Wille sich schon vor einiger Zeit von ihr verabschiedet hatte und einfach gegangen war, ohne noch ein Wort zu sagen.
Sie seufzte, ob aus Enttäuschung oder weil sie sich doch aufraffen wollte und sich die Räume zeigen zu lassen, in denen sie die nächsten fünf Tage verbringen sollte, wusste sie selbst nicht. Die letzten fünf Tage ihres Lebens.
Das klang irgendwie so surreal.
Kurz dachte sie nach.
Die letzten fünf Tage ihres Lebens. Wollte sie diese wirklich damit verbringen, sich selbst zu bemitleiden und auf dem Bett zu liegen? Löcher in die Luft zu starren und schon nach zwei Tagen an Langeweile sterben?
Nein, das wollte sie nicht.
Sie raffte sich auf und sagte, weniger entschlossen als beabsichtigt:,, Ja, ich komme."
Es war wie ein Labyrinth, doch verlaufen konnte man sich nicht.
Jeder Raum hatte meist mehrere Türen, doch es waren lediglich zwei geöffnet. Eine führte in den nächsten Raum und die andere in den Vorigen.
Sie liefen durch unzählige schöne Räume, dir sich als Küchen, Bäder, gesellschftliche Teeräume und Sääle heraus stellten.
Allesamt waren sie wunderschön und lichtdurchflutet. Sie sahen teuer eingerichtet aus, doch dann kamen da diese Gedanken.
Die Gedanken an die verbliebenen hundert Stunden...Einhundert Stunden, die alles verändern würden. Einhundert Stunden, die die beiden verlorenen Menschen und diesem monströsen Haus noch zu Leben hatten und einhundert Stunden, die den blonden jungen Mann und die brünette junge Frau verändern würden.

Es folgten unzählige Räume. Einer größer und prunkvoller als der Andere und doch waren sie alle gleich, alle gleich leer und alle gleich beängstigend.
Doch ein Raum war wie das Licht am Ende des Tunnels.
Es war eine Bibliothek mit Bücherregalen, die bis zur Decke hoch ragten und Büchern, die leise Geschichten flüsterten.
In der ganzen endlosen Stille, die die beiden Menschen umgab, war es das einzige, was Beide gleich glücklich stimmte.
Und aufeinmal waren alle schlechten Gedanken weg.
Die ausgezehrten Seelen klammerten sich nun an die wispernden Bücher und die einfühlsamen Geschichten, die einen mit Fürsorge und Wärme umhüllten.
Doch sie logen.
Die Bücher gaukelten ihnen diese Wärme und dieses Gefühl von Geborgenheit nur vor.
Es gab in diesem Haus keine Wärme, es gab keine Fürsorge und keine Geborgenheit.
Es gab nur die Kälte und die Einsamkeit, doch in den Augenblicken des Staunens waren beide von den Lügen der Bücher gefangen und wollten nicht mehr daran denken, dass es nur noch einhundert Stunden waren.
Einhundert Stunden, die alles verändern sollten. Einhundert Stunden, die die beiden verlorenen Menschen in diesem monströsen Haus noch zu Leben hatten und einhundert Stunden, die die beiden jungen Menschen verändern würden.

120 Stunden ~ Dramione Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt