Gefesselt

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Lyndis erwachte und wusste einen Moment lang nicht wo sie war und was geschehen war. Erst, als sie das Gesicht des toten Jungen neben sich sah, prasselten die Geschehnisse der letzten Nacht mit einem Schlag auf sie ein und es war, als würde sie alles erneut erleben. Sie wurde erneut von der Trauer übermannt und die Tränen rannen über ihr Gesicht.
Erst nach einigen Stunden versiegten die Tränen. Das Mädchen saß im Gras und wusste nicht, was sie nun machen sollte. In ihren Kopf überschlugen sich die Gedanken, aber keiner von ihnen war klar genug, um ihn fassen zu können. Sie war kurz davor sich neben den Leichnam Edwards hinzusetzen und auf den Tod zu warten. Doch dann wurde ihr bewusst, dass dieser Junge sein Leben heldenhaft für ihr Überleben geopfert hatte. Sie war es ihm schuldig weiterzuleben, sie musste es wenigstens versuchen.
Das Mädchen erinnerte sich, dass er sie angewiesen hatte in der Grafschaft seines Vaters Zuflucht zu suchen. Lyndis fand, dass sie es ihm schuldig war es wenigstens dorthin zu schaffen und seiner Mutter von der Heldentat ihres Sohnes zu berichten.
Die Prinzessin kletterte mit einiger Schwierigkeit wieder auf den Rücken des Pferdes, das sie gestern von dem grauenvollen Gemetzel weggebracht hatte. Als sie endlich auf dem Rücken des Tieres saß, wurde ihr bewusst, dass sie nicht wusste in welche Richtung sie reiten musste. Nach kurzem Nachdenken beschloss sie einfach los zu reiten und zu hoffen auf jemanden zu treffen, der ihr helfen konnte. Doch hier trat bereits die nächste Schwierigkeit für das Mädchen auf. Sie wusste nicht, wie man ein Pferd ritt. Fluchend saß sie auf dem Tier und versuchte es durch das Ziehen an den Zügeln zum losgehen zu bewegen. Nach einiger Zeit trat sie ihm vor Wut in die Flanken, worauf sich das Pferd endlich in Bewegung setzte und das Mädchen erleichtert aufatmete.
Nachdem sie mehrere Stunden geritten war, wobei sie es mehr oder minder dem Pferd überließ wohin sie trabten, wurde es langsam dunkel. Bisher war sie auf keine Menschenseele gestoßen. Immer mehr kroch die Kälte in sie hinein und immer mehr spürte sie das Schmerzen ihrer Glieder. Auch ihre Augen fielen ihr vor Müdigkeit immer wieder zu. Irgendwann hielt sie an und fiel fast vom Pferd, als sie versuchte herunterzusteigen. Sie legte sich in das nasse Gras und schlief augenblicklich ein. Ihre Träume waren von den Geschehnissen der letzten Nacht geprägt. Immer wieder sah sie den Kopf ihres Vaters von den Stufen des Thrones rollen, immer wieder sah sie den Terror und die Angst in den Augen ihrer Mutter, immer wieder sah sie den Drachen aus Flammen zu einem Feuerregen zerbersten und immer wieder sah sie Edward erneut seine letzten Atemzüge machen.
Bereits nach wenigen Stunden wachte das Mädchen durchgefroren und von nassem Schweiß überzogen auf. Sie rappelte sich mühsam auf und kletterte wieder auf den Rücken ihres Reittiers, welches zum Glück nicht ohne sie weiter gezogen war.

Schon seit einer Woche ritt Lyndis immer weiter ohne zu wissen, in welche Richtung sie sich bewegte. Es war eine Woche voller Alpträume gewesen, die sie allein und voller Kummer verbracht hatte. Seit sie aus dem Schloss entkommen war, hatte sie kaum etwas gegessen bis auf einige wilde Beeren von dornigen Hecken, welche am Wegesrand immer wieder mal auftauchten. Doch die letzte Hecke lag zwei Tage zurück, der Hunger schnürte ihr auf schmerhafte Weise den Magen zu. Einmal war sie bereits kurz vor Erschöpfung und Hunger Ohnmächtig geworden und vom Pferd gestürzt. Der Aufprall hatte sie wieder zu Bewusstsein kommen lassen. Als es an diesem Tag dunkel wurde, war die Prinzessin kurz davor aufzugeben und sich unter irgendeinen Baum zu verkriechen und dort zu warten, bis sie vor Hunger und Erschöpfung den Tod fand. Obwohl sie noch immer Schuldgefühle Edward gegenüber hatte, fehlte ihr mittlerweile die Kraft weiterzukämpfen. Sie wisperte: „Es tut mir so leid, aber ich kann nicht mehr“, und wollte gerade vom Pferd steigen, als sie in der Ferne den Schein eines Feuers sah. Durch diesen Anblick schöpfte sie neue Hoffnung. „Menschen, den Göttern sei Dank“, rief sie mit neuer Kraft aus und trieb ihr Reittier an.
Schon nach wenigen Minuten hatte sie das Feuer erreicht, an dessen Rand ein einzelner Mann mit blonden ungewaschenen Haaren saß. Seine Kleidung schien sehr alt zu sein und sah zerschlissen aus. Der ungepflegte Bart lies nur wenig von seinem Gesicht erkennen. Doch seine Augen strahlten das Mädchen voller Wärme an, als er sie bemerkte.
„Na junge Dame, wohin des Weges zu so später Stunde?“, fragte er freundlich.
Lyndis brachte erst kein Wort heraus, dann flüsterte sie leise: „Ich suche nach der Grafschaft Tauru. Ein Freund sagte das ich dort Hilfe finden würde.“
Der Mann sah sie etwas Merkwürdig an und wandte ein: „Wenn du nach Tauru willst, reist du in die falsche Richtung. Die Grafschaft liegt von hier aus weit im Norden. Du befindest dich schon fast in der Grafschaft Mauriel.“
Lyndis schluckte. Sie hatte es tatsächlich geschafft in die völlig falsche Richtung zu reiten. Sie scholt sich selbst im Gedanken, aber der beißende Hunger brachte sie dazu um etwas Brot und Wasser zu bitten. Um alles andere konnte sie sich später kümmern.
„Nun Mädchen. Wenn du mir deinen Namen verrätst darfst du heute Nacht an meinem Feuer schlafen und mir erzählen weshalb du Hilfe benötigst.“
Lyndis überlegte nicht lange und antwortete: „Ich bin Lyndis de Lutriel. Und es würde mich sehr freuen, wenn ich über Nacht hierbleiben könnte.“
Der Mann sah sie voller Erstaunen an. Schließlich stammelte er: „Lyndis … du bist die Prinzessin.“
Lyndis nickte schwach, woraufhin der Mann hinzufügte: „Bitte verzeiht einem alten Mann sein unhöfliches Benehmen, eure Hoheit, aber ich war wirklich nicht darauf gefasst hier draußen ein Mitglied des Adels zu treffen. Erlaubt mir mich vorzustellen. Ich bin Don.“
Er machte eine kurze Pause und beobachtete das Mädchen sehr genau, als sich diese an das Feuer setzte und ihren Kopf in ihre Knie vergrub. Er versuchte erneut mit der Prinzessin zu reden: „Es hieß, dass keiner den Angriff auf Schloss Lutriel überlebt hat. Berichte sagten, dass alle die sich im Schloss aufhielten grausam getötet wurden. Sogar die Dienstboten sollen dem Angriff zum Opfer gefallen sein.“
Lyndis sah traurig in das Feuer, woraufhin Don ihr einen Weinschlauch entgegen hielt. „Hier, trink von meinen Wein, das hilft gegen die Trauer. Du hattest wirklich Glück zu entkommen, Lyndis.“
Das Mädchen nahm den Schlauch und trank ein paar kräftige Schlucke. Sie verzog das Gesicht, da dieser Wein bitterer, als jeder andere Wein schmeckte, den sie jemals gekostet hatte. Trotzdem trank sie den Schlauch fas leer. Das Gefühl des Benebelt seins, dass sich durch den Trunk schnell in ihrem Körper ausbreitete, war ihr in diesem Moment sehr willkommen. Don gab ihr danach etwas von seinem Brot ab, welches sie hungrig verschlang.
„Du sagtest, du wollest zur Grafschaft Tauru?“
„Ja, der Sohn des dortigen Grafen meinte, dass ich dort in Sicherheit wäre“, gab das Mädchen zurück.
„Nun, es tut mir Leid, dass ich dir das sagen muss, aber du wärest wohl kein bisschen sicher in dieser Grafschaft“
„Wie kommt ihr darauf?“
„Nicht nur die Stadt Lutriel selbst wurde vor sieben Tagen überrannt. Beinahe die gesamte Halbinsel ist den Angriffen zum Opfer gefallen.“
Lyndis spürte wie sich alles in ihr zusammen zog. Wie konnte das sein? Lutriel war immer ein sehr ruhiges Land gewesen. Nie hatte es Krieg gegeben und nie hatte sich das Land in die Politik anderer Länder eingemischt. Niemand hätte einen Grund gehabt es anzugreifen.
Don erzählte etwas, doch die Prinzessin hörte ihm nicht  mehr zu. Sie legte sich neben dem Feuer auf den Boden und starrte in den sternenklaren Himmel hinauf. Kurz darauf schlief sie, benebelt vom Alkohol, ein.

Als sie erwachte, hatte Don bereits ein neues Feuer entzündet. Der Mann lächelte sie freundlich an, als er bemerkte, dass sie wach war und gab ihr etwas Brot zum Frühstück. Lyndis dankte ihm und aß.
Nach einer Weile stand sie auf und sagte: „Don ich danke dir für alles was du für mich getan hast, doch die Zeit des Abschieds ist gekommen.“
Der Mann sah sie komisch an, dann sagte er in einen abfälligen Ton: „Du denkst doch nicht wirklich, dass ich eine Prinzessin wirklich gehen lasse? Wo willst du überhaupt hin?“
„Wie meint ihr das?“, fragte das Mädchen verwirrt.
„Nun, meine Teuerste. Eine Prinzessin ist sehr viel Wert. In Arwana finde ich sicher einen reichen Lord, der sehr viel Gold für eine Prinzessin in seiner Dienerschaft ausgeben würde.“
Lyndis sah den Mann entsetzt an, doch bevor sie reagieren und weglaufen konnte hatte Don sie bereits gepackt. Er drückte sie mit der Brust nach unten zu boden, packte grob ihre Handgelenke über kreuz auf ihrem Rücken, und fesselte diesen mit einem rauen, schmutzigen Strick. Starr vor Schreck leiste sie kaum Gegenwehr, auch nicht als er sie hoch hievte und sie vor seinem Sattel aufs Pferd setzte. R trat das euer aus, packte rasch seine Habseeligkeiten zusammen, verstaute duese in den Schatteltaschen und stieg hinter Lyndis aufs Pferd.
Das Mädchen war von Angst erfüllt und sie fragte sich wie es jetzt mit ihr weitergehen würde. Arwana war einer der dunkelsten und größten Orte auf dem Kontinent Soleria. Vor drei Jahrhunderten noch war es eine prachtvolle Stadt gewesen, Hauptstadt des Großreiches Soleria und Sitz der Königsfamilie, die den Kontinent regierte. Nachdem ein plötzlicher Aufstand ausgebrochen war, war das Großreich jedoch gefallen und mit ihm die Rasse des Königsgeschlechts, das über einzigartige magische Fähigkeiten verfügt hatte. Aus den Trümmern des Großreiches entstand die Welt, wie sie nun war.
Arwana hatte sich im Lauf der Jahrhunderte und ohne Führung zu einer Stadt voller Dunkelheit entwickelt, in deren Inneren sich Angehörige fast jeden Volkes tummelten. Die Stadt war zum Mittelpunkt der krummen Geschäfte geworden und war von Dieben, Schmugglern, Sklavenhändlern und Auftragsmördern besetzt.

Zehn Tage waren vergangen, seit Lyndis von Don gefangen worden war. Zehn Tage, in denen das Mädchen die Angst verloren und sich selbst aufgegeben hatte. Zehn Tage, in denen sie gefesselt auf dem Pferd lag, zehn Nächte, die sie zumeist an einen Baum gekettet und mit einem dreckigen Tuch geknebelt, verbringen musste. Ihr war es mittlerweile egal was mit ihr geschehen würde und beinahe wünschte sie sich, dass sie bereits bei dem Angriff auf ihre Heimat ums Leben gekommen wäre. Laut Don waren sie bereits in der Nähe der Stadt Pataun, welche die Grenzstadt zwischen Lutriel und Loverian bildete. Die Augen der Prinzessin nahmen kaum war, wie sich die Landschaft verändert hatte. Die Blumenübersäten Wiesen waren steinigen Hügeln gewichen, die die Ausläufer des Bartusk Gebirges darstellten, in dem die Zwerge lebten. Hier pfiff noch immer ein kalter Wind und der Schnee war noch nicht vollständig geschmolzen.
Don erklärte: „In weniger als zwei Tagen müssten wir Pataun erreicht haben. Von dort aus werden wir mit einem Schiff nach Arwana reisen. Das bedeutet, dass ich mit ein bisschen Glück bereits in vier Tagen ein reicher Mann sein werde.“
Das Mädchen antwortete nicht, sondern starrte nur teilnahmslos in die Ferne. Ihr Entführer seufzte und sie setzten ihren Weg fort.

In der Ferne war einer der vielen Türme, für die Pataun bekannt war zu sehen. Lyndis wurde bewusst, dass es bald noch schlimmer für sie werden würde. Wenn sie erst Arwana erreichten, würde ihr Leben endgültig enden. Sie wäre nur noch eine Dienerin, dazu bestimmt den Rest ihres Lebens als leblose Hülle jeden Wunsch ihres Herrn zu erfüllen. Mit einem Mal kehrten die Angst und die Verzweiflung in sie zurück, doch als sie gerade aufschreien wollte, fühlte sie plötzlich eine Wärme, die durch ihren Körper strömte, die ihr Hoffnung gab und von dem Stein auszugehen schien, den ihr ihre Mutter zu ihrem Geburtstag geschenkt hatte.

Mittlerweile hatten Don und Lyndis die Hügel verlassen und ihr Weg führte sie nun am Rand eines Waldes vorbei, aus dem zwei Männer ritten. Beide hatten Jagdbögen über ihre Schultern gehängt. Einer hatte braunes und der andere graues Haar und sie waren augenscheinlich Vater und Sohn.
Der Jüngere warf einen Blick auf das gefesselte Mädchen, auf dem Rücken des Pferdes und zügelte sein eigenes Tier. Entsetzt rief er: „Was habt ihr mit dem Mädchen vor?“
Don erwiderte wütend: „Was geht dich das an? Aber wenn du es schon wissen willst, ich werde in Arwana einen guten Preis für sie bekommen!“
Der ältere Mann grollte daraufhin: „Das werden wir nicht zulassen! Meine Ehre würde es nicht erlauben ein so junges Mädchen in die Hände von Sklavenhändler fallen zu lassen.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, nahm er seinen Bogen von der Schulter, legte einen Pfeil an und zielte auf Don, bevor er fortfuhr: „Ich würde dir raten schnell zu verschwinden!“
Don sah den Bogen und berechnete kurz seine Chancen gegenüber den zwei Männern. Als ihm bewusst wurde, dass er einen Kampf nicht gewinnen könnte, ließ er die Zügel des Pferdes los und rannte laut fluchend in den Wald hinein. Nach einigen Minuten war von ihm nichts mehr zu sehen oder zu hören.

Der jüngere der Männer stieg von seinem Pferd und ging zu Lyndis hinüber. Er durchschnitt ihre Fesseln mit einem scharfen, doppelseitig geschliffenem Dolch, an dem auch ein
paar Reste von getrocknetem Blut hafteten, und half ihr vom Rücken des Pferdes. Das Mädchen sah den Mann furchtsam an und zitterte am ganzen Leib.
Er lächelte sie warmherzig an und sagte: „Du musst keine Angst vor uns haben. Du bist in Sicherheit und brauchst dich nicht mehr zu fürchten. Mein Name ist Ward und das ist mein Vater Theo. Willst du mir verraten, wie dein Name ist?“
Lyndis gab keine Antwort. Wenn ich ihnen meinen Namen sage, wollen sie mich bestimmt auch an den meist bietenden verkaufen. Ich kann nicht riskieren ihnen zu verraten wer ich wirklich bin.
Theo legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter und seufzte: „Du musst völlig verängstigt und verstört sein, mein Kind, aber Ward hat Recht, du musst jetzt keine Angst mehr haben. Ich würde vorschlagen, dass du uns fürs erste zu unserer Jagdhütte begleitest. Dort kannst du dich aufwärmen, bekommst ein gutes Mal, und einen Tee. Sobald du dich beruhigt hast, ist immer noch Zeit um uns zu verraten, wer du bist. Ich verspreche dir, dass wir dich dann sicher zu deinen Eltern zurück bringen werden.
Lyndis spürte, wie ihr die freundlichen Worte einen Stich versetzten. Es war ihr größter Wunsch in die Arme ihrer Eltern zurück zu kehren. Doch niemand konnte diesen Wunsch erfüllen. Mit aller Kraft unterdrückte sie die Tränen.
Die beiden sind sicherlich sehr nette Leute, jedoch war auch Don anfangs nett. Erst als er erfuhr, wer ich bin, hat er sein wahres Gesicht gezeigt. Nein, ich kann ihnen nicht verraten wer ich bin. Ich muss mich als jemand anderes ausgeben und hoffen, dass sie mir meine Lüge glauben. „Ich bin nur …  eine Waise und ohne Heimat“, flüsterte das Mädchen. Nun konnte sie nicht mehr verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Es war das erste Mal, dass sie aussprach, was nun aus ihr geworden war.
„Oh, armes Mädchen. Fürs erste kommst du mit uns, danach werden wir in Pataun sicher einen netten Platz finden, an dem du in Frieden leben kannst“, verkündete Theo, ohne einen Widerspruch zu dulden. Daraufhin stiegen die drei auf ihre Pferde und ritten in den Wald hinein, dessen Bäume bereits die ersten Blätter sprießen ließen. Lyndis musste feststellen, dass der Frühling hier scheinbar später als in Lutriel einsetzte. Doch obwohl der Wald noch relativ kahl war, hatte sie bereits nach wenigen Minuten die Orientierung verloren, während die Jäger einem scheinbar unsichtbaren Weg folgten.

Ein paar Stunden später erreichten sie die Hütte der Männer, die auf einer kleinen Lichtung stand. Theo führte das Mädchen hinein und bereitete Essen und Tee zu, nachdem er ein Feuer entzündet hatte. Währenddessen kümmerte sich Ward um die Pferde.
Nachdem alle gegessen hatten schlug Theo vor: „Was hältst du davon, wenn ich dir zeige, wo du schlafen kannst. Du musst sehr müde und erschöpft sein.“
Lyn nahm das Angebot dankend an und folgte ihm in ein Zimmer, in dem nur ein einzelnes Bett und eine Kommode standen.
- Eventuell ein Bad nehmen und Verletzungen versorgen? -
„Normalerweise schläft Ward in diesem Bett wenn wir auf der Jagd sind, aber heute sollst du es haben. Der Jungspund darf heute Nacht auf dem Boden schlafen. Das wird ihm eine Lektion fürs Leben sein und ihm zeigen wie man mit Frauen umzugehen hat“, scherzte der Mann.
Das Mädchen lächelte schwach und wünschte Theo anschließend eine gute Nacht, doch anstatt zu schlafen, lag sie noch sehr lange wach und überlegte, was sie nun tun sollte: So gern ich auch würde, aber ich kann nicht bei Theo und Ward bleiben. In Pataun wäre ich nicht sicher. Dort leben einige Leute, die oft in Lutriel zu Besuch waren und die mich ohne Zweifel erkennen würden und wer weiß, was geschehen würde, wenn bekannt würde, dass ich noch lebe und mich in Pataun aufhalte. Aber ich kann auch nicht riskieren ihnen zu sagen wer ich wirklich bin, da auch sie mit Sicherheit versuchen würden einen Gewinn aus mir zu schlagen. Ich kann hier nicht bleiben. Ich muss weg von hier und das Reich meiner Kindheit endgültig verlassen. Ich muss irgendwohin wo mich niemand erkennt. Nur dort werde ich in Sicherheit sein.
Der Entschluss des Mädchens stand fest, noch in dieser Nacht würde sie fliehen und sich alleine durchschlagen, bis sie einen sicheren Ort weit weg von Lutriel, ihrer Heimat, gefunden hatte.
Als die Stimmen der beiden Männer verstummt waren und Lyn ein leichtes Schnarchen von der anderen Seite der Tür hören konnte, schlich sie leise zu dem Fenster. Vorsichtig versuchte sie es möglichst Geräuschlos zu öffnen. Doch trotz ihrer Bemühungen, gab es ein lautes Knarren von sich, als es sich bewegte. Das Mädchen zuckte bei dem Geräusch zusammen und war sich sicher, dass auch die Männer es gehört haben mussten. Erst, als sie nach einigen Minuten immer noch nichts anderes als das gleichmäßige Schnarchen hören konnte, wagte sie es das Fenster ganz zu öffnen. Erleichtert atmete sie auf, als es offen stand und kletterte anschließend ungeschickt hinaus.
Dort sah sie sich kurz um und beschloss nach kurzem Überlegen, dass es am sinnvollsten wäre, auch weiterhin mit ihrem Pferd zu reisen. Leise schlich sie in den kleinen Stall, der sich neben der Hütte befand und indem sich die drei Tiere befanden. Das Mädchen ging zielstrebig zu dem Pferd, dass sie bereits seit Tagen ritt. Erschrocken stellte sie fest, dass das Tier weder gesattelt noch aufgezäumt war. Sie versuchte daraufhin das Pferd selbst zu satteln, doch da sie keinerlei Erfahrung darin hatte gelang es ihr nicht und schließlich musste sie aufgeben, da das Pferd begann unruhig zu werden und laut wieherte. In diesem Moment wurde Lyndis bewusst, wie hilflos sie war. Leise vor sich hin fluchend verließ sie den Stall und begann ihren Weg zu Fuß fortzusetzen. Bald darauf war von der Hütte nichts mehr zu sehen und selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sie den Weg zurück nicht mehr gefunden.

DrachenseeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt