Feuer und Tod. Magie und Leben.

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„Was ist da los?“, fragte Luna ängstlich.
Lyn zuckte nur ratlos mit den Schultern, da sie bis jetzt noch nicht gelernt hatte, was die einzelnen Signale zu bedeuten hatten.
Plötzlich schien der Boden unter ihren Füßen zu erzittern, woraufhin sich die Mädchen angsterfüllt anstarrten. Aus der Ferne hörte man ein lautes Krachen.
„Los, lass uns schnell zur Festung laufen“, rief Lyn und packte Luna an der Hand, um sie hinter sich her zu ziehen.
Nachdem sie ein gutes Stück zurückgelegt hatten, kamen ihnen viele sehr gut gerüstete Krieger entgegen, die in Richtung der Mauern liefen, die die Festung schützend umgaben.
Als Lyn und Luna den Hof der Festung erreichten, fanden sie sich in einem Chaos wieder. Menschen liefen durcheinander, während die Anführer Befehle brüllten, um Ordnung in die Menge zu bringen.
Lyn konnte Jori in der Masse aus Menschen ausmachen. Sie lief auf ihn zu, während sie Luna weiter an der Hand hinter sich her zog.
„Jori, was ist hier los?“
„Die Festung wird angegriffen. Eine riesige Streitmacht ist wie aus dem Nichts vor den Toren aufgetaucht. Ich habe gehört, dass sie aus ausschließlich schwarz gekleideten Kriegern besteht.“
„Was sollen wir jetzt tun“, fragte Luna ängstlich.
„Ich werde Kämpfen“, knurrte Jori und ging zielstrebig auf eine der Waffenkammern zu.
Lyn atmete tief durch, als ihr schlagartig bewusst wurde, wer die Festung angriff. Es musste sich bei den Angreifern um dieselbe Armee handeln, die bereits Lutriel angegriffen hatte. Der Wunsch nach Rache kehrte schlagartig zurück und sie zischte: „Ich werde auch kämpfen!“
Luna sah sie fassungslos an. „Lyn, aber warum? Warum willst du nun noch für Morkior kämpfen?“
„Ich kämpfe nicht für Morkior. Diese schwarz gekleideten Krieger da draußen sind die Leute, die meine Heimat vernichtet haben. Ich kämpfe deswegen … und weil ich den Menschen helfen will, die ich hier kennen gelernt habe und die mir ans Herz gewachsen sind. Auch wenn ich die Methoden des Ordens verachte, ändert dies nichts daran, dass ich meine Freunde schützen will.“
Luna nickte und verkündete dann mit zitternder Stimme: „Dann, dann werde ich auch kämpfen.“
Die beiden Mädchen folgten Jori. Als sie schon beinahe bei der Waffenkammer waren, begannen die Menschen um sie herum zu drängeln. Lyn spürte, wie sie geschubst wurde und im nächsten Moment stellte sie fest, dass von Luna und Jori jede Spur fehlte. Suchend sah sie sich um. Verdammt, wo ist sie nur?
Doch Lyn sah das Mädchen nicht. Auch wenn es ihr schwer viel verdrängte sie den Gedanken an Luna und setzte ihren Weg zur Waffenkammer fort. Dort angekommen wollte sie gerade ein Schwert entgegen nehmen, als sie am Arm gepackt wurde und aus der Menge gezerrt wurde.
„Du wirst nicht kämpfen Lyndis. Unser Großmeister wünscht dich zu sehen!“
„Zerion? Was soll das? Ich werde kämpfen!“, fuhr Lyn den Hauptmann an, als sie ihre anfängliche Überraschung überwand.
„Nein Mädchen. Dem Befehl des Großmeisters ist Folge zu leisten. Auch wenn ich beim besten Willen nicht verstehe warum er dich ausgerechnet jetzt sehen will. Eigentlich verstehe ich nicht warum er dich überhaupt sehen will. Nur den höchsten Mitglieder von Morkior wird die Ehre zu Teil den Großmeister kennen zu lernen.“
„Mir egal was dieser Großmeister will. Ich will kämpfen wie alle anderen!“
„Halt endlich den Mund und komm mit!“, zischte Zerion nun wütend und schleifte das Mädchen einfach hinter sich her. Lyndis versuchte sich loszureißen, doch sie entkam dem starken Griff des kräftigen Mannes nicht. Als sie von den zornigen blauen Augen des Mannes durchbohrt wurde, gab sie ihre Gegenwehr auf und folgte ihm.
Die Kriegshörner gaben erneut ihren düsteren Klang von sich, woraufhin Zerion lauthals zu Fluchen begann: „Verdammt. Der erste Wall ist gefallen und ich muss auf dieses Mädchen aufpassen. Was denkt sich Phalur nur dabei ….“
Die beiden befanden sich bald darauf im Inneren der Festung und Zerion führte sie viele Treppen hinab. Lyndis war noch nie in diesem Teil der Festung gewesen. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie so weit nach unten reichte.
Am Ende der Stufen war eine lange Halle, an deren Ende sich ein gewaltiges Tor befand. Es war mit unzähligen Runen verziert, die Lyndis keiner Sprache oder Kultur zuordnen konnte.
„Ab hier gehst du alleine weiter. Ich werde dort oben im Kampf gebraucht. Die erste Mauer ist schon gefallen. Die Menschen in den Wohngebieten werden wahrscheinlich gerade grausam niedergemetzelt. Ich muss sie zumindest davon abhalten die zweite Mauer einzunehmen. Und du denk nicht einmal daran mir wieder nach draußen zu folgen.“
Zerion machte auf den Absatz kehrt und rannte die Stufen wieder hinauf. Lyn sah den eindrucksvollen Krieger hinterher und war tatsächlich kurz davor ihm die Stufen einfach wieder hinauf zu folgen, doch die Neugier den geheimnisvollen, sagenumwobenen Großmeister kennen zu lernen, ließ sie schließlich doch auf das Tor zugehen. Dieses öffnete sich wie durch Geisterhand, als Lyndis nur noch ein paar Schritte davon entfernt war und gab den Blick auf eine alles verzehrende Dunkelheit frei. Lyn schluckte und nahm all ihren Mut zusammen, ehe sie in die Finsternis hineinging. In dem Moment, als sie den ersten Schritt hindurch gemacht hatte, spürte sie eine ungeheuer, mächtige Präsenz. Sie blieb stehen und spürte, wie die Angst sich langsam in ihr breit machte. Ein Gefühl, das sie nicht beschreiben konnte hielt sie davon ab weiterzugehen. Sie spürte die Gefahr, die in diesem Raum lauerte. Eine Gefahr, der sie nichts entgegenzusetzen hatte.
Plötzlich ließ eine laute, tiefe Stimme den Boden unter den Füßen des Mädchens und die Luft um sie herum vibrieren. Die Stimme war so voller Macht, dass das Mädchen automatisch zurückwich.
„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Prinzessin Lyndis. Komm näher und stehe mir von Angesicht zu Angesicht gegenüber.“
Das Mädchen überwand seine Angst und ging nun endgültig durch das Tor in die Dunkelheit. Als sie ein paar unsichere Schritte gegangen war hörte sie, wie sich das Tor hinter ihr wieder schloss und schließlich mit einem lauten Krachen ins Schloss fiel. Einen Sekundenbruchteil später entzündeten sich rund um sie herum Fackeln und sie konnte erkennen, dass sie sich in einer riesigen Höhle befand. An den Wänden glänzten Diamanten, welche das Licht der Fackeln reflektierten und die Helligkeit, die von ihnen ausging dadurch noch verstärkten.
„Es ist mir eine Freude dich endlich kennen zu lernen, Lyndis“, dröhnte die Stimme.
Das Mädchen sah in Richtung aus der die Stimme zu kommen schien und stellte fest, dass es sich dabei um den einzigen Ort handelte, der nicht von dem Licht erreicht wurde.
Lyndis stockte der Atem, als der, dem die unglaubliche Stimme gehörte, die alles um sie herum vibrieren ließ, aus der Dunkelheit hervortrat.

Völlig sprachlos sah sie das riesige Wesen vor sich an. Der gesamte Körper des Giganten war mit Schuppen überzogen, die an Rubine erinnerten. Über den langen Hals, über das Rückgrat, bis hin zu der Schwanzspitze des mächtigen Wesens lief eine Linie aus unglaublich scharfen Stacheln, die Spitz wie Nadeln zuliefen. Alleine der Kopf des Geschöpfes war größer als Lyndis gesamter Körper.
Das Mädchen sah in die roten Augen des Wesens, deren Pupillen wie Schlitze waren.
„Ihr seid ein Drache“, flüsterte das Mädchen fassungslos und entsetzt.
„Gut erkannt. Ich bin Morkior. Großmeister des gleichnamigen Ordens“
Lyndis konnte es nicht fassen. Der geheimnisvolle Großmeister des Ordens sollte der Drache sein, nach dem der Orden benannt worden war. Morkior. Eine lebende Legende. Sprachlos starte das Mädchen den Drachen an.
Morkior sagte nun ruhig: „Du wunderst dich sicher warum ich dich zu mir bringen ließ.“
Das Mädchen nickte nur, da sie immer noch kein Wort hervorbrachte.
„Die Festung Thamia wird heute Nacht fallen. Viele sterben gerade bei dem hoffnungslosen Versuch sie zu verteidigen. Doch ihr Opfer wird umsonst sein. Wir können die dunkle Macht, die aus dem Westen über Soleria hereinbricht nicht stoppen. Sie breitet sich immer weiter aus. Du aber, Lyndis, sollst heute Nacht noch nicht dein Leben lassen.“
Lyn verstand nicht. Wie sollte sie überleben, wenn die Festung dem Untergang geweiht war. Woher wollte der Drache wissen, dass Thamia den Angriff nicht überstehen würde.
Sie stellte diese Fragen dem Drachen, welcher daraufhin antwortete: „Ich spüre mein Ende schon lange auf mich zu kommen. Ich bin einer der ältesten Drachen und verfüge über Kräfte, die du dir nicht einmal vorzustellen vermagst. Ich hatte gedacht es bliebe noch etwas mehr Zeit, aber ich habe mich geirrt. Heute werde ich sterben um dich zu beschützen.“
„Aber warum mich?“
„Ich habe vor sehr langer Zeit ein Versprechen gegeben, welches ich heute nicht brechen werde. Lyndis, dein Leben beginnt gerade erst und es könnte wichtiger sein als du denkst.“
„Warum sollte es das sein? An mir ist nichts Besonderes. Ich bin nur ein ganz normales Mädchen.“
„Du bist weit davon entfernt ein normales Mädchen zu sein. Es ist nicht meine Aufgabe dir zu sagen warum ich mich für dich Opfern werde, auch dieses Geheimnis zu wahren beinhaltet das Versprechen, dass ich einst gab. Umso weniger du weißt, umso sicherer wirst du sein.“
„Ich will nicht, dass sich irgendwer für mich opfert. Ich kann kämpfen und ich werde dies heute auch tun, um die Menschen von Lutriel zu rächen und meine Freunde hier zu schützen.“
Der Drache fauchte wütend, woraufhin das Mädchen erschauderte. Die Reißzähne des Drachen waren kurz entblößt worden und Lyn musste feststellen, dass diese länger als ihre Unterarme waren. Die Augen des Drachen funkelten bedrohlich und er befahl mit herrischer Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien: „Du wirst gehen!“
Lyndis sah den Drachen wütend an, wagte aber nicht zu widersprechen.
Morkior fuhr nun wieder ruhiger fort: „Ich habe nur eine Bitte an dich, Lyndis. Nimm meine Tochter mit. Sie ist erst vor wenigen Tagen aus ihrem Ei geschlüpft. Stelle sicher, dass sie überlebt und in Sicherheit ist.“
Der Drache hob seinen rechten Flügel an. Darunter kam ein winziger schlafender Drache zum Vorschein, der eng an den Leib ihres Vaters gekuschelt war. Morkior hob das kleine Wesen vorsichtig, mit einer Klaue, hoch, woraufhin dieses ein Zischen von sich gab und eine kleine Rauchwolke aus seinen Nüstern ausstieß.
„Ihr Name ist Serina. Stelle bitte sicher, dass sie eine Chance hat.“
In diesem Moment trat Phalur aus den Schatten des großen Drachen heraus und nahm den kleinen Drachen liebevoll in die Arme. Er ging daraufhin zielstrebig auf das Mädchen zu und übergab ihr das Junge, welches nicht viel länger als der Unterarm des Mädchens sein konnte. Lyn drückte das Wesen an sich und spürte die Wärme, die von ihm ausging.
„Außerdem will ich dir noch ein Geschenk machen.“
Phalur holte ein Schwert hervor, das unter seinem langen Umhang zuvor nicht zu sehen gewesen war und bot es dem Mädchen mit dem Heft voraus dar.
„Diese Klinge wird niemals stumpf und wird niemals brechen. Sie wurde vor hunderten von Jahren von einem der größten Zwergenschmiede, die jemals gelebt haben, in meinem Feuer geschmiedet.“
Lyndis nahm das Schwert entgegen. Es schien aus dem Inneren heraus zu leuchten und Runen tanzten über die Klinge.
„Vielen Dank für dieses kostbare Geschenk. Ich verspreche gut auf Serina aufzupassen, bis sie groß genug ist, um alleine zu überleben.“
„Ich danke dir. Hinter mir ist ein kleiner Tunnel. Folge ihm. Er endet auf der anderen Seite des Berges. Dort steht ein Pferd für dich bereit. Lebe wohl Prinzessin Lyndis. Pass gut auf dich und meine Tochter auf.“
Phalur sagte nun zum ersten Mal etwas, seit Lyndis in der Höhle des Drachen war: „Pass gut auf dich auf Mädchen. Viele Gefahren werden dich noch erwarten. Doch dein Schicksal ist noch Ungewiss, versuch das Beste daraus zu machen.“
Phalur schloss sie kurz in seine Arme. Das Mädchen wollte dem Magier Fragen stellen, als dieser sie losließ, jedoch drehte sich Phalur um, ohne sie noch weiter zu beachten. Feierlich schritt er auf den mächtigen Drachen zu. Er klopfte ihm sanft auf den Oberschenkel und sagte mit fester Stimme: „Auf in unseren letzten Kampf, mein alter Freund.“
Das mächtige Geschöpf stieß ein düsteres Knurren aus und Phalur schwang sich ohne Schwierigkeiten auf den Rücken des Drachens.
„Verschwinde Mädchen. Sofort“, riefen der Magier und der Drache genau zur selben Zeit. Es war, als würde eine Person aus zwei Mündern zugleich sprechen.

Daraufhin rannte das Mädchen in Richtung des Tunnels los. Dieser war gut beleuchtet. Lyndis folgte ihm bis zu seinem Ende, wo sie einen Hebel vorfand. Diesen betätigte sie und eine verborgene Tür schwang auf. Sie ging hinaus und tatsächlich stand dort ein Pferd. Es war ein grauer Hengst mit schwarzer Mähne und Schweif. Lyn befestigte das Schwert am Sattel und steckte den kleinen Drachen in eine Satteltasche. Danach schwang sie sich auf den Rücken des edlen Tieres und gab ihm die Sporen.
Sie war noch nicht weit gekommen, als sie ein lautes Brüllen hörte. Sie drehte sich im Sattel um und sah wie der riesige, uralte Drache aus einer Öffnung des Berges schoss. Auf seinem Rücken saß der alte Magier. Ein Meer aus Flammen ging auf die Angreifer nieder, als Morkior sein Maul öffnete. Gleichzeitig zuckten Blitze aus den Händen Phalurs. Lyndis sah fasziniert zu. Noch nie hatte sie etwas gesehen, das nur annähernd so furchteinflößend war, wie dieses Wesen. Doch trotz der unglaublichen Kraft, die es ausstrahlte, wirkte jede Bewegung elegant. Der Drache sah nicht nur gefährlich aus, sondern auch wunderschön. Die Stimme des Drachen tönte nun über das Land: „Ich bin Morkior. Gründer und Großmeister dieser Stadt und ihr sollt vor meiner Macht erzittern!“
Lyndis konnte sich nicht vorstellen, dass irgendetwas dem Wesen gewachsen sein konnte. Sie war sich in diesem Moment vollkommen sicher, dass sich der Drache geirrt haben musste. Thamia konnte nicht untergehen, wenn es so einen mächtigen Beschützer hatte. Doch schon im nächsten Moment wurde das Mädchen vom Gegenteil überzeugt. Ein heller Blitz traf das mächtige Wesen, woraufhin ein lauter Schmerzensschrei zu hören war und der Drache beinahe abgestürzt wäre. Im letzten Moment fing er sich und stieg wieder in die Lüfte. Während er an Höhe gewann, ließ er wieder das Feuer auf seine Gegner los. Diese schossen nun mit Pfeilen und weiteren magischen Blitzten auf ihn. Lyndis konnte an den Bewegungen des Drachen erahnen, wie sehr ihm die Treffer zusetzten.
Phalur ließ mittlerweile keine Blitze mehr auf die Gegner am Boden prasseln, sondern errichtete einen Schutzwall, um den Drachen und sich, der die Pfeile und Magie davon abhielt sie zu erreichen.

Plötzlich schoss ein blauer Blitz vom Boden auf den Drachen zu. Lyndis konnte sehen, wie die Schutzmauer aus Magie in tausende Splitter zerbrach und der Blitz sowohl den alten Drachen, als auch den Magier genau an den Stellen traf, an denen sich ihre Herzen befanden. Der Drache stieß einen markerschütternden Schrei aus, während Phalur auf seinem Rücken zusammensackte.
Nun regte sich Serina in ihrer Satteltasche und stieß einen herzzerreißenden Schrei aus, der allerdings viel leiser, als der ihres Vaters war.
Morkior taumelte in der Luft, von den blauen Blitzen umgeben, die sich nun um seinen gesamten Körper schlangen. Die Schmerzensschreie des mächtigen Wesens hielten noch immer an.
Dann verschwanden die Blitze plötzlich. Der Kopf des Drachen, der zuvor noch durch die Blitze oben gehalten worden war, sackte nun schlaff herab und sein Brüllen endete jäh. Morkior stürzte in die Tiefe. Das Pferd auf dem Lyndis saß strauchelte durch die Erschütterung, die entstand, als das riesige Wesen auf den Boden aufschlug. Gerade noch konnte das Pferd einen Sturz verhindern und sein Gleichgewicht wiederfinden.
Lyndis sah, wie ein Teil von Thamia, der aus Holz erbaut worden war, langsam in Flammen aufging währen es immer kleiner wurde. Dem Mädchen stiegen die Tränen in die Augen. Sie musste an ihre Freunde denken. Lebten sie noch? Lyn hoffte, dass sie den Angriff und das Feuer überstehen würden und sie sich eines Tages wiedersehen würde. Sie schwor sich eines Tages denjenigen zu finden, der für das alles verantwortlich war, und ihn dafür zu Rechenschaft zu ziehen. Erst Lutriel und nun Thamia. Beides zerstört durch die Hand eines Unbekannten. Sie wusste nicht wer die Angriffe angeordnet hatte, aber sie würde es herausfinden.
Doch im Moment konnte sie nur fliehen und Morkiors letzten Wunsch erfüllen. Sie musste den kleinen Drachen eine Zukunft ermöglichen. Sie musste sicherstellen, dass Serina zu einen mächtigen Geschöpf heranwuchs und alleine in der Wildnis überleben konnte. Wenn sie groß genug war, würden sich ihre Wege trennen. Lyndis würde dann dafür sorgen, dass sie ihre Rache bekam und der kleine Drache würde sich auf die Suche nach seinen Artgenossen begeben.

Das Pferd stolperte immer öfter. Lyn wusste, dass es Zeit wurde eine Pause zu machen. Ihr Reittier benötigte sie dringend. Wenn es noch länger laufen müsste, würde es bald umkippen. Sie befanden sich auf einer weiten Ebene und nirgendwo war ein Wäldchen, das Schutz bieten konnte und nur  vereinzelt war ein Baum auf der scheinbar endlosen Grasebene zu sehen. Das Mädchen hielt das Pferd neben einen dieser Bäume an und band das Tier an ihm fest. Der Baum hatte schon die meisten seiner Blätter verloren und erinnerte Lyn daran, dass der Winter bald über das Land hereinbrechen würde. Sie tätschelte dem Pferd kurz den Hals, bevor sie den kleinen Drachen aus der Satteltasche hob. Sie musterte das kleine Wesen kurz und sagte dann mehr zu sich selbst, als zu dem kleinen Wesen: „Du bist also Serina. Ich bin Lyn … naja, eigentlich heiße ich Lyndis.“
Das kleine Wesen blies eine kleine Rauchwolke aus seinen Nüstern und gab ein leises, fiependes Geräusch von sich.
„Feuer kannst du wahrscheinlich noch nicht machen. Wäre schön heute nicht frieren zu müssen, aber zum Glück ist es noch nicht zu kalt um draußen zu schlafen.“
Lyndis setzte Serina auf dem Boden ab, woraufhin der kleine Drache damit begann tollpatschig die Gegend zu erkunden. Das Mädchen musste lächeln und sagte: „Geh nicht zu weit weg.“
Dann sattelte sie das Pferd ab und sah in die Satteltaschen. Darin befanden sich zwei Feuersteine, ein klein wenig zu Essen und ein Wasserschlauch. Außerdem noch ein Beutel mit Goldmünzen. Lyn trank erst einmal einen Schluck. Danach sah sie sich die Nahrungsmittel genauer an. Es handelte sich dabei um zwei Laibe Brot und Dörrfleisch. Sie aß selbst ein bisschen, dann fing sie den kleinen Drachen ein, der neugierig das Pferd betrachtete und immer wieder leise Zischlaute von sich gab. Sie hielt ihm eine Scheibe des Fleisches hin, woraufhin Serina kurz misstrauisch daran schnupperte, nur um im nächsten Moment danach zu schnappen. Lyn konnte das Stück Fleisch gerade noch rechtzeitig loslassen, bevor der Drache ihre Finger erwischte. „Vorsicht, Kleine. Ich will meine Finger noch eine Weile behalten.“
Der Drache gab ein Fauchen von sich und stupste dann ihre Hand an. „Willst wohl noch mehr.“
Lyndis gab ihm mehr Fleisch und war bald erstaunt darüber, wie viel das kleine Wesen in sich hineinstopfen konnte.
„Wenn du so weiter isst, haben wir für morgen nichts mehr.“
Serina legte den Kopf schief und sah sie unschuldig an. Lyndis sah sich den Drachen nun genau an. Er hatte schwarze Schuppen und grüne Augen. Die Flügel sahen etwas kümmerlich aus und Lyn fragte sich, ob sich das noch ändern würde, wenn das Wesen größer wurde. Serina schüttelte sich und stupste wieder Lyns Hand an. „Immer noch Hunger? Tut mir leid aber ich muss noch etwas für morgen aufheben.“ Der kleine Drache ließ aber nicht locker. Immer wieder stupste er ihre Hand an und gab leidende Geräusche von sich. Schließlich ließ sich Lyndis erweichen und gab dem Drachen noch etwas von dem Fleisch. Serina fraß und gab ein zufrieden klingendes Geräusch von sich. Danach rollte sie sich in Lyns Schoss zusammen und schlief friedlich ein.
Lyn dachte nach: Wie soll ich dich nur satt bekommen. Wenn du immer so viel frisst haben wir übermorgen kein bisschen Fleisch mehr. Wer weiß wann wir ein Dorf finden, indem ich etwas für uns zu Essen kaufen kann. Ich müsste Jagen, aber ohne Bogen werde ich wohl wenig Erfolg haben. Mit Bogen wahrscheinlich auch nicht. Ich bin ja schon froh wenn ich eine unbewegliche Zielscheibe treffe, aber
irgendetwas muss ich mir einfallen lassen, bevor du mir verhungerst.
Lyn sah sich die Umgebung genau an. Sie überlegte ob sie aus einem der Äste des Baumes einen provisorischen Bogen bauen könnte. Allerdings würde sie etwas benötigen woraus sie die Sehne machen könnte. Sie hatte allerdings nichts bei sich, was sich dafür eignen würde. Sie konnte nur hoffen, dass sie in den nächsten zwei bis drei Tagen auf ein Dorf stoßen würde, indem sie neue Lebensmittel kaufen konnte.
Sie legte Serina auf den Boden und kuschelte sich an den kleinen Drachen, von dem viel Wärme ausging. Ihre Gedanken drehten sich um Thamia und ihre Freunde während sie einschlief.

Als sie aufwachte, fühlte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Sie setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sie sah sich um, doch ihr fiel nichts Ungewöhnliches auf. Das Pferd stand noch immer bei dem Baum und der Sattel lag neben ihm. Plötzlich wusste Lyn was nicht stimmte.
„Serina!“, schrie sie panisch. Der kleine Drache war nirgends zu sehen. Sie sprang auf und sah sich überall um.
„Verdammt, wo bist du?“
Plötzlich hörte sie von oben knurren und fauchen. Als sie ihren Blick hob, sah sie gerade noch einen davonfliegenden Vogel und Serina, die auf einem Ast saß und nach dem Vogel schnappte. Dieser hatte keine Schwierigkeiten damit den Fängen des Drachenkindes auszuweichen, doch Serina verlor dadurch das Gleichgewicht und stürzte mit einem heulenden Aufschrei von dem Baum. Sie schlug während des Fallens wild mit den Flügeln, konnte jedoch ihren Sturz weder verlangsamen noch aufhalten. Lyndis gelang es gerade noch den Drachen aufzufangen. Sie spürte, wie das kleine Herz raste, als sie den Drachen in den Armen hielt.
„Verdammt, was machst du nur für Sachen. Wie bist du da überhaupt raufgekommen?“
Lyn fragte sich, ob Serina schon fliegen konnte. Verwarf aber den Gedanken, da sie ja sonst nicht wie ein Stein gefallen wäre. Der kleine Drache gab ein unzufriedenes Knurren von sich und riss sich aus Lyns Armen los. Unsanft plumpste sie zu Boden. Sie schüttelte sich und machte dabei jammernde Geräusche.
„Du kannst doch nicht schon wieder Hunger haben.“
Lyn gab Serina noch etwas von dem Dörrfleisch, welches sie gierig verschlang und sich danach zum Schlafen zusammenrollte. Lyn lächelte leicht, aber sie machte sich langsam richtige Sorgen über die immer knapper werdenden Nahrungsmittel. Serina fraß viel zu viel.
Lyn sattelte den Hengst und setzte Serina wieder in die Satteltasche. Danach stieg sie auf das Tier und ritt weiter. Nach ein paar Stunden spürte sie plötzlich eine Berührung am Rücken. Der Drache hatte sich aus der Satteltasche befreit und kletterte nun ihren Rücken hinauf. Er legte sich um ihren Hals und genoss den Wind.
Obwohl sie den ganzen Tag geritten war, hatte sich die Landschaft um Lyn herum nicht verändert. Noch immer befand sie sich auf der riesigen Grassteppe, die keinerlei Schutz bot. Sie sah sich nach einem Platz für die Nacht um und bot. Sie sah sich nach einem Platz für die Nacht um und entschied schließlich wie am Tag zuvor unter einem Baum Rast zu machen. Sie fütterte dem kleinen Drachen das letzte Fleisch und aß selbst nur ein bisschen Brot.
„Morgen hast du nichts mehr zum Frühstück. Hoffentlich finden wir bald ein Dorf, wo ich dir was zu essen kaufen kann.“
Der schwarze Drache sah sie an und Lyn hatte kurz das Gefühl als hätte Serina sie verstanden. Lyndis legte sich zum Schlafen nieder. Serina kuschelte sich in ihre Arme und schlief darin binnen Sekunden ein.
Das Mädchen wachte auf als sie die Bewegungen des Drachenkindes spürte. Die Sonne begann gerade aufzugehen. Serina sah sie an und klagte lautstark.
„Tut mir Leid, Kleine, aber du hast gestern schon alles aufgegessen. Ich hab nichts mehr, was ich dir geben könnte. Wir reiten weiter und hoffen, dass wir bald auf ein Dorf stoßen.“
Lyn hob Serina vor sich auf das Pferd und ritt los.
Wenn ich heute kein Dorf finde, haben wir ein richtiges Problem. Ich hoffe ein so junger Drache hält es ein paar Tage ohne Essen aus.
Es war schon beinahe Mittag und der kleine Drache jammerte die ganze Zeit ununterbrochen. Lyn hatte Mitleid mit ihm, wusste allerdings nicht, was sie machen sollte um Serina zu helfen.
Nach einer weiteren Stunde, sah das Mädchen am Horizont Rauch aufsteigen und Hoffnung keimte in ihr auf. Sie trieb das Pferd an, um schnell zum Ursprung des Rauches zu gelangen. Bald darauf kam ein kleiner Ort in Sicht. Lyn hielt in der Nähe des Dorfes an und band das Pferd an einem beinahe kahlen Baum fest. Dann sah sie Serina an und sagte: „Du musst hierbleiben. Die Menschen reagieren wahrscheinlich nicht so positiv auf den Anblick eines Drachens. Ich werde in das Dorf gehen und dir etwas zu Essen kaufen und vielleicht finde ich auch jemanden, der mir einen Bogen und Pfeile verkaufen kann. Dann kann ich selbst versuchen, zu jagen und für dein Essen zu sorgen.“
Lyn packte Serina in die Satteltasche und hoffte, dass sie darin bleiben würde und keinen Blödsinn anstellen würde. Danach ging sie, um das Dorf zu besuchen.

Es war ein sehr kleiner Ort. Er bestand aus höchstens zehn Häusern und einer kleinen Taverne. Lyn beschloss zuerst in der Taverne nach Nahrung zu fragen. Sie wurde von einem stämmigen Wirt begrüßt, der sich sehr über ihr Erscheinen zu freuen schien.
„Oh Hallo junges Mädchen. Reisende sieht man in dem kleinen Dörfchen Thead nicht oft. Ich gehe davon aus, dass ihr für die Nacht ein Zimmer mieten wollt.“
„Nein Danke, ich werde heute gleich weiterreisen. Allerdings würde ich wenn möglich gerne ein Bad nehmen und Essensvorräte kaufen.“
„Aber natürlich. Ich werde gleich veranlassen, dass man dir ein Bad zubereitet. Währenddessen werde ich euch meine Auswahl an Lebensmitteln zeigen.“
Lyn kaufte so viel von dem vorrätigen Dörrfleisch, wie der Wirt bereit war abzugeben und außerdem etwas frisches Fleisch. Danach badete sie sich. Es tat gut den Schmutz der letzten Tage abzuwaschen. Sie fragte sich wie es Jori, Anna, Yuri und Luna wohl gehen mochte und ob diese überhaupt noch am Leben waren. Sie beendete ihr Bad und beschloss so schnell wie möglich wieder zu Serina zurückzukehren. Der kleine Drache lenkte sie sehr gut von den finsteren Gedanken über Thamia und ihre Freunde ab. Allerdings musste sie noch versuchen an einen Bogen zu kommen.
Sie packte die Essensvorräte ein und bezahlte den Wirt. Danach fragte sie: „Hat jemand in diesem Ort einen Bogen, den er verkaufen würde?“
„Hm, es gibt zwar ein paar Leute, die einen Bogen besitzen, aber ich denke nicht, dass einer bereit ist ihn zu verkaufen. Obwohl, bei dem alten Olaf könntest du Glück haben. Er wohnt am Ende des Dorfes in einem sehr kleinen Haus.“
Lyn dankte dem Wirt für die Auskunft und verabschiedete sich. Sie ging zu dem Ende des Dorfes und fand das Haus ohne Probleme. Ein alter weißhaariger Mann öffnete ihr die Tür, als sie klopfte.
„Wie kann ich dir helfen, Mädchen?“
„Ich habe gehört, dass ihr möglicherweise einen Bogen zu verkaufen hättet.“
„Ich habe zwar einen Bogen, aber der ist unverkäuflich. Außerdem, was will ein Mädchen schon mit einem Bogen? Such dir einen anständigen Mann und schlag dir solchen Blödsinn, wie Bogenschießen aus dem Kopf. Das ist kein Spielzeug für kleine Mädchen.“
„Ich brauche wirklich dringend einen Bogen. Und ihr könnt mir glauben, ich weiß damit umzugehen.“
Der Mann lachte und sagte dann: „Nun gut, dann beweise mir, dass ein junges Mädchen mit einem Bogen umgehen kann. Wenn du die Ziele triffst, schenk ich dir den Bogen sogar. Verfehlst du aber auch nur eines, kannst du dich zum Teufel scheren.“
„Gut, dann gebt mir den Bogen, damit ich euch beweisen kann, dass ich damit umzugehen weiß.“
Lyndis gab sich nach außen Selbstbewusst. Allerdings war sie äußerst unsicher, was ihre Treffsicherheit anbelangte. Selbst nach dem langen und intensiven Schießtraining in Thamia, verfehlte sie noch sehr oft das Ziel. Aber jetzt musste sie einfach treffen. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, wenn sie in Zukunft selbst jagen wollte und dadurch für das Überleben des Drachen garantieren wollte.

Der alte Mann überreichte ihr einen sehr einfachen Bogen und einen Köcher voller Pfeilen. Er deutete auf einen Baum in der Nähe und sagte: „Das ist dein erstes Ziel.“
Lyn lächelte und legte den Pfeil an. Sie schoss und traf. Dieses Ziel war sogar für sie einfach zu treffen gewesen, da der Baum ein großes Ziel bot und nicht weit entfernt stand.
„Nun machen wir es etwas schwieriger, dort, siehst du den Wetterhahn auf meinem Dach? Das ist dein nächstes Ziel. Lyndis war sich dieses Mal nicht sicher, ob sie das Ziel treffen würde, der Wetterhahn gab nur ein kleines Ziel ab und war schon relativ weit entfernt, trotzdem legte sie einen Pfeil an und zielte. Sie ließ die Sehne los und fing gleichzeitig an stumm zu beten. Der Pfeil traf und das Mädchen atmete erleichtert auf.
„Nicht schlecht, junges Mädchen. Nun zu deinem letzten Ziel. Siehst du den Vogel dort oben am Himmel? Schieß ihn mir zum Abendessen und der Bogen gehört mitsamt Pfeilen und Köcher dir.“
Verdammt, wie soll ich den Vogel nur treffen? Der Wetterhahn war schon mehr als nur Glück. Den Vogel zu treffen ist für mich nahezu unmöglich. Aber ich muss treffen.
Lyn zielte und behielt den Vogel lange im Auge um abschätzen zu können, wie seine Flugbahn verlief. Sie beschloss wie beim Schwertkampf vorzugehen und sich nur auf ihr Ziel zu konzentrieren. Sie verdrängte alle anderen Gedanken aus ihrem Kopf und sah nur noch den Vogel und dessen Bewegungen, dann ließ sie den Pfeil los. Dieser surrte durch die Luft und durchbohrte das Herz des kleinen Vogels, woraufhin dieser zu Boden stürzte. Lyn wollte jubeln, riss sich aber zusammen um ihren Eindruck von einer erfahrenen Bogenschützin nicht zu zerstören. Sie hob den Vogel hoch und warf ihn dem alten Mann zu. „Sieht so aus, als würde der Bogen nun mir gehören. Vielen Dank dafür.“
„Ich bin sehr erstaunt. Hab noch nie ein Mädchen so schießen gesehen. Auch wenn ich weiß, dass du sowohl bei Wetterhahn und Vogel nur Glück hattest, halte ich mein Versprechen. Der Bogen gehört mit allen Drum und Dran dir.“
Lyndis lächelte froh über ihren Gewinn und verabschiedete sich. Sie eilte so schnell sie konnte zu Serina.
Als sie bei dem Baum, an dem sie das Pferd angebunden hatte, angekommen war, öffnete sie eilig die Satteltasche. Doch der Drache, der eigentlich darin sein hätte müssen, war verschwunden. Lyn sah sich panisch um, konnte Serina allerdings nirgends entdecken.
„Serina, verdammt wo bist du schon wieder?“, schrie sie laut. Serina blieb jedoch verschwunden. Lyn suchte die Umgebung ab, doch fand den Drachen nicht. Irgendwann ließ sie sich gegen den Baum sinken und die Tränen stiegen ihr in die Augen. Wo war der Drache nur? Er konnte sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Ich hätte sie niemals allein lassen dürfen. Wenn ihr etwas passiert, ist das nur meine Schuld. Ich würde mir das niemals verzeihen. Alles läuft schief. Alles was ich habe und mir wichtig ist verschwindet. Ich schaffe es nicht mal auf einen kleinen Drachen aufzupassen.
Lyn zog die Beine an und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Sie begann zu schluchzen. Plötzlich hörte sie ein fragendes Fiepen und spürte wie etwas sie anstupste. Sie hob den Kopf und sah dem kleinen Drachen direkt in die grünen Augen. „Serina, Gott sei Dank, dir geht es gut.“
Serina sah sie besorgt an. Lyn hob sie hoch und schloss sie in die Arme.
„Lauf nie wieder weg.“
Serina befreite sich aus Lyns Umarmung und begann den Beutel mit Essen zu umkreisen und von allen Seiten zu beschnuppern.
„Ja, gleich bekommst du was zu essen, meine Liebe. Ich hab jetzt auch einen Bogen. Mit etwas Glück kann ich in Zukunft selbst für unser Essen sorgen und wir müssen nicht ständig nach neuen Dörfern suchen. Naja, ich sollte
vielleicht noch etwas trainieren, da ich nur mit Glück ein Ziel treffe.“
Lyn fütterte Serina, welche fast das gesamte Fleisch fraß, ehe sie endlich satt war und sich in Lyns Armen schlafen legte. Lyn strich dem kleinen Drachen über die Schuppen. Der Bauch Serinas wölbte sich stark nach außen. Das Mädchen lächelte schwach, machte sich allerdings noch immer Sorgen darüber, wie sie genug Futter für den Drachen beschaffen sollte. Sie war nicht die beste Bogenschützin und würde sicher nicht jedes Tier, dem sie begegnete erlegen können und selbst wenn sie dies könnte, gab es keine Garantie, dass sie genug Wild finden würde. Sie konnte nur hoffen, dass der Drache bald in der Lage war selbst zu Jagen.
Außerdem machte sie sich Gedanken darüber, wohin sie und der Drache gehen sollten. Wenn sie alleine wäre, könnte sie sich in einem kleinen Dorf niederlassen. Mit Serina hingegen war dies unmöglich. Die meisten Menschen fürchteten die Drachen und würden sofort versuchen das kleine Geschöpf zu töten, wenn sie es sahen. Lyndis hatte in ihrer Kindheit Geschichten erzählt bekommen, die besagten, dass die Drachen und die Menschen früher in Frieden zusammen gelebt hatten. Jedoch war dieser Frieden mit dem Untergang des damaligen Großreiches gebrochen worden. Die Menschen, Elfen und Zwerge hatten Jagd auf die Drachen gemacht, um an ihre Schuppen und Hörner zu gelangen und aus ihnen mächtige, magische Gegenstände und Waffen zu fertigen. Die mächtigen Wesen hatten sich, nachdem einige ihrer Rasse gefallen waren gewehrt und dabei viel zerstört. Riesige Städte, die für den Reichtum und die Pracht des damaligen Großreichs gestanden hatten, waren ihrem Zorn zum Opfer gefallen und für immer von der Welt verschwunden. Nachdem sie ihre Rache genommen hatten, waren die meisten Drachen in das Gebirge im Norden oder in die Wüste im Osten geflogen, um dort in Frieden zu leben. Seit diesem Krieg, fürchteten die Menschen die mächtigen Geschöpfe des Feuers und niemand würde freiwillig einem dieser Wesen Unterschlupf gewähren.
Lyn überlegte lange, wohin sie Serina bringen sollte. Schließlich entschied sie sich dafür, solange herumzureisen, bis der Drache entweder stark genug war, um alleine zu überleben, oder sie einen abgeschiedenen Ort fand, an dem sie den Drachen in Frieden aufziehen konnte und der genug Wild für ihn bereithielt. Das einzige Hindernis daran war, dass der Winter bevorstand und die beiden einen Unterschlupf brauchen würden, um diesen zu überleben.

Es war mittlerweile fast eine Woche her, seit Lyndis in Thead gewesen war. Seitdem hatte sie noch kein Wild fangen können und Serina klagte immer mehr über den Hunger. Sie hatten vor drei Tagen Glück gehabt und waren ein paar Händlern begegnet, denen Lyndis Nahrung abkaufen konnte. Aber diese war gestern Abend zur Neige gegangen.
Serina gab seit zwei Stunden klägliche Geräusche von sich und musterte Lyn mit vorwurfsvollen Blicken. Das Mädchen konnte dem Klagen des Drachen nicht länger zuhören. Sie band ihr Pferd an einem nahen Baum fest und nahm den Bogen. Sie schnallte sich den Köcher mit den Pfeilen auf die Schulter und begann ziellos loszugehen um nach Spuren von Tieren zu suchen. In der Nähe sah sie einen sehr kleinen Wald. Sie beschloss darin nach Wild zu suchen. Sie schlich vorsichtig durch das Unterholz, um keine verräterischen Geräusche zu verursachen, die die Tiere aufschrecken hätten können. Lyn kam es vor wie eine Ewigkeit, bevor sie auf eine Wildspur stieß. Jedoch wusste sie nicht, ob die Spur frisch war und in welche Richtung sie ihr folgen sollte. Sie entschied auf ihr Glück zu vertrauen und ging der Spur nach. Bald schon wurde ihr klar, dass sie die falsche Richtung gewählt hatte. Die Spur war immer schlechter zu erkennen, umso weiter sie ihr folgte. Lyn war gerade dabei umzudrehen, als sie auf etwas im Unterholz aufmerksam wurde. Als sie näher daran heranpirschte, sah sie, dass es ein kleines Rehkitz war. Lyn sah in die braunen, unschuldigen Augen des wehrlosen Tieres. Sie wusste, dass sie das Tier erlegen sollte, um Serina etwas zu Essen bringen zu können. Doch sie konnte sich nicht dazu überwinden den Bogen vom Rücken zu nehmen und einen Pfeil auf das Tier abzuschießen. Einige Minuten stand sie da, ohne zu wissen was sie nun tun sollte. Es war die perfekte Gelegenheit, um Essen zu beschaffen. Jedoch fiel es ihr unglaublich schwer auf ein Tier zu schießen, welches noch nicht einmal wegrennen konnte.
Lyn spürte wie ihr übel wurde, als sie ihre Entscheidung endlich traf. Langsam nahm sie den Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil an. Ihre Hände zitterten stark und es war ihr fast unmöglich zu Zielen. Die Tränen stiegen ihr in die Augen. Schließlich ließ sie den Pfeil los und tötete das Tier.

Ende Band 1. Band 2 folgt in Kürze.
Danke fürs Lesen, ich würde mich sehr über Feedback freuen. 💚 ❤💋

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