Endlich

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"Ist das kalt draußen." Ich nahm mir die Mütze vom Kopf und hing meinen Mantel über den Stuhl. "Dein Gesicht ist auch ganz rot. Vor allem deine Nase", kicherte Manuel. Grinsend sah ich zu ihm rüber. "Bald kannst du auch raus. Dann bist du genauso hässlich rot, wie ich jetzt."
Manuels grinsen wurde weniger, als er beobachtete, wie ich mich auf sein Bett setzte. "Du bist nicht hässlich." Überfordert über dieses Kompliment, konnte ich nichts sagen. Zu meinem Glück war ich schon rot im Gesicht. So fiel es nicht auf, dass mir das Blut in den Kopf schoss. Er hatte mir das noch nie gesagt. Nicht vor dem Unfall und auch nicht danach.

Ich musste mich sammeln. Auf sein Kompliment konnte ich nicht eingehen. Es war zu viel. "Haben die Ärzte schon darüber gesprochen, ob du hier raus kannst?", lenkte ich also ab. Manuel drückte sich zurück in sein Kissen und faltete die Hände auf seinem Bauch. "Vielleicht in zwei oder drei Wochen, wenn es weiter Berg auf geht." In mir entfachte sich ein Feuer. "Das ist doch super." Ich konnte nicht anders, als zu grinsen. Doch Manuel verzog keine Miene. "Ich habe Angst davor, wieder alleine zu Wohnen und wirklich alles alleine zu machen. Ich weiß nicht, ob ich das schaffe." Traurig senkte er seinen Blick, sodass ihm sein Haar ins Gesicht fiel. Sofort strich er sich es zurück.

Er redete mit mir über seine Ängste. Das er mir vertraute, schmeichelte mir. "Ich werde dich nicht alleine lassen", sagte ich also. Und das stimmte. Ich würde auf keinen Fall, auch nur eine Sekunde, ihm von der Seite weichen. "Du musst aber auch nach Hause und deine Arbeit machen. Die kommt sowieso zu kurz." Manuel sah mich durchdringlich an. "Das passt schon. Glaub mir, ich bin froh das es dir gut geht und kann dann für dich da sein, so wie in der kompletten Zeit, wo du noch geschlafen hast. Ich schaffe das schon." Jetzt zückte ein Lächeln sein Gesicht. "Du bist echt der Beste."

Am späten Nachmittag, wo wir gerade dabei waren Schach zu spielen, klopfte es gegen die Tür. Sofort sahen wir beide vom Brett auf, den Blick zur Tür, die gerade geöffnet wurde. "Na, ihr zwei." Es war Manuels Mutter. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen, dennoch war es schön mal nicht von einem Arzt oder einer Krankenschwester unterbrochen zu werden. "Hey Mama." Manuel nahm seine Mutter in den Arm, nachdem sie ihre Jacke ausgezogen hatte. "Wie geht's euch?" Sie zog sich einen Stuhl näher und setzte sich dann auf ihn drauf. "Ich bekomme langsam hier drin einen Kollaps.  Ich würde gern raus." Manuel räumte die Schachfiguren zusammen und klappte das Brett zu. Schade. Eigentlich gewann er immer, nur heute war ich besser als er. Und jetzt war meine Chance auf einen Sieg kaputt. Das passte ihm aber bestimmt. Er war ein schlechter Verlierer. "Hast du denn schon mit den Ärzten gesprochen?" Seine Mutter strich ihm über die Schulter. "Werde ich morgen Mal machen. Ich hoffe, ich kann raus." Manuel knetete sich seinen Daumen und sah kurz prüfend zu mir. Dieser Blick, ich wusste nicht was er mir deuten sollte. "Das wird schon klappen. Du bist ja nicht auf dich alleine gestellt." Meine Hand verweilte, ohne das ich es selbst merkte, auf seinem Knie.

(...)

Und dann war es soweit. Ich lief gerade den Weiß gestrichenen Flur entlang, zu Zimmer 365. Der Mietwagen stand auf dem Parkplatz, draußen vor dem Krankenhaus. Ich freute mich unglaublich auf den heutigen Tag und auch für Manuel, der endlich aus diesen Räumlichkeiten durfte.

Als ich ins Zimmer trat, stand Manuel vor seinem Bett und räumte den letzten Koffer mit Kleidung ein. "Moin", begrüßte ich ihn, als er sich lächelnd zu mir umdrehte. Er sah heute viel fröhlicher und gesünder aus, als wie in den letzten Wochen. Ich stellte mich neben ihn. "Ich kann es irgendwie noch nicht glauben, dass es jetzt nach Hause geht. Ich frage mich, ob ich mich an was erinnere, wenn ich meine Wohnung betrete." Er drehte sich zu mir um. "Wäre doch cool." Lässig zuckte ich mit den Schultern. "Palle, danke das du das alles mitmachst." Und schon hatte er seine Arme um mich gelegt. Eine Umarmung. Mein Inneres tanzte wild umher. "Was tut man nicht alles für Menschen, die man gern hat", antwortete ich sanft. Dabei legte auch ich meine Arme um seinen dünnen Körper. Ich spürte, wie er gegen meinen Hals schnaubte. Sein warmer Atem kitzelte meine Haut und es begann überall an meinem Körper zu kribbeln.

Er drückte mich noch einmal fest, ließ mich dann aber los. "Ich muss nur noch auf die Papiere warten, dann können wir los." Ich biss mir auf der Unterlippe rum und nickte. Wie gern ich es gehabt hätte, das der Augenblick niemals geendet hätte.

Amnesie / Kürbistumor FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt