„DAVID", schreie ich in die Nacht. Es ist stockfinster und ich bin irgendwo im Wald. Seit einer halben Stunde stapfe ich durchs Nirgendwo, kratze mir die freien Knöchel auf und stolpere immer mal wieder über irgendwelche unnötig auf dem feuchten Erdboden liegenden Baumstämme, obwohl ich meine Handytaschenlampe benutze. Mein erster Gedanke war, David anzurufen, aber ohne Empfang ist das ganz schlecht. Mir läuft der Schweiß den Rücken herab, obwohl es ziemlich frisch ist, aber meine Wangen glühen.
„Verdammt, David", fluche ich in mich hinein. Keine Ahnung, ob ich eher sauer oder besorgt bin. Er kann doch nicht einfach mitten in der Nacht abhauen! „Ich hasse dich", meckere ich weiter in mich hinein.
Dieser scheiß Wald ist beschissen riesig, wie soll ich ihn hier je finden? Und was, wenn er irgendwo bewusstlos liegt? Was soll ich dann machen? Ich kann ihn nicht hier raus schaffen, ich kann keine Hilfe rufen und im Moment weiß ich nicht mal, ob ich zurück zum Zelt und zum Auto finden würde, um zur nächsten Stadt zu fahren.
Wütend trete ich gegen einen Pilz, der dabei auseinanderfällt und in Teilen durch die Luft fliegt.
„DAVID", brülle ich erneut, bleibe stehen und lausche angestrengt, wobei ich versuche, meinen keuchenden Atem zu beruhigen.
Es wird alles gut. Es wird alles gut. Es wird alles wieder gut.
„Fuck", sage ich. Plötzlich bin ich nicht mehr zornig, sondern mir ist zum Heulen zumute. Erschöpft wische ich mir mit dem Pulloverärmel über die Stirn und versuche, einen kühlen Kopf zu bekommen.
Was mache ich jetzt?
Vielleicht ist gar nichts passiert. Vielleicht musste er nur pinkeln und ist schon längst wieder zurück. Vielleicht bin ich diejenige, die abhanden gekommen ist und nicht er.
Und was, wenn nicht?
Verzweifelt leuchte ich nochmal mit meinem Handy um mich. Bäume, Bäume, nichts als Bäume. Wenigstens habe ich keine Angst, ist ja auch gar nicht gruselig.
„Ich muss zurück", murmele ich, als würde das helfen. Als würde mir dadurch auf einmal wieder einfallen, wie ich zurück zu unserem Platz finde.
„Ich schaff das", sage ich wenig überzeugend, drehe mich um und dann geht alles plötzlich ganz schnell. Wie aus dem Nichts klatscht mir etwas lautstark krächzend ins Gesicht. Erschrocken schreie ich auf, kneife die Augen zusammen und verjage das Mistvieh, das mir nochmal über die Wange und das Kinn kratzt, indem ich mit wild fuchtelnden Armen los renne.
Weit komme ich nicht, denn als ich die Augen wieder aufreiße, steht mir irgendwas im Weg, vermutlich wieder ein scheiß Baumstumpf oder so. Ich verliere den Halt, mein Handy fliegt im hohen Bogen durch die Luft und im nächsten Moment knalle ich mit der Stirn gegen etwas Hartes, Unnachgiebiges. Irgendwie rutsche ich unsanft zu Boden und bleibe erstmal liegen. Schmerzerfüllt stöhnend blinzele ich, versuche mich zu orientieren und sehe im schwachen Lichtschein meiner Handytaschenlampe, die nach oben scheint, dass ich tatsächlich volle Breitseite gegen einen Baum gerannt bin. Weil mir irgendein blöder Vogel ins Gesicht fliegen musste. Hier ist so verdammt viel Platz und der beschließt, dass seine Flugbahn meinen Kopf kreuzen muss.
Immerhin hat er sich nicht verletzt. Als ich mich umsehe, kann ich ihn nirgendwo auf dem moosbewachsenen Erdboden sehen und es ist wieder gespenstisch still. Ächzend rappele ich mich auf, doch als ich mein Gewicht auf beide Füße verlagern will, zieht sich ein stechender Schmerz durch meinen linken Knöchel.
Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Humpelnd schleppe ich mich zu meinem Handy, lese es auf und muss stark blinzeln, als ich mich aufrichte, weil mir ein bisschen schwindelig wird.
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