Er hört einfach nicht auf, mich anzustarren. Und ich kann einfach nicht aufhören, zurückzustarren.
Isabella, meine kleine principessa, hat mein Vater mal zu mir gesagt, als ich noch sehr klein war. Wenn dich jemand vollkommen ungeniert ansieht, so durchdringend, dass du Angst bekommst, dann sieh nicht weg, hörst du? Sieh zurück, meine Kleine und halt den Blick des anderen fest. Er wird aufgeben, irgendwann wird er aufgeben, aber du nicht, weil du die Stärkere bist.
Bisher musste ich seinen Rat nicht oft in meinem Leben befolgen, aber jetzt schon und ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte.
Wieso genau sollte ich die Stärkere sein?
Obwohl ich an den Worten meines Papas langsam zu zweifeln beginne und mir bei Davids Blick allmählich wirklich unwohl wird, verziehe ich weiterhin keine Miene.
Bis mich plötzlich etwas Hartes, ein Ellbogen oder so, an der Schläfe trifft.
„Schon in Ordnung, die wird wieder. Hat nur ein bisschen viel im Glas gehabt. Schau mal, sie blinzelt schon wieder. Guten Morgen, Sonnenschein", begrüßt mich Jaspers Stimme und der Geruch nach Bier und Schweiß, als ich die Augen aufschlage und mich hinter der Bar auf einem Sofa liegend wiederfinde.
Mein Top ist nass, der widerliche Duft kommt von mir. Stirnrunzelnd fahre ich mit den Fingerkuppen über den klammen Stoff.
„Keine Sorge, hast dich nicht vollgekotzt", lacht Jasper. „Du hast bei deinem filmreifen Stunt einem anderen Gast das Bier aus der Hand gerissen und über dich verteilt."
Langsam kehrt die Erinnerung zurück. An den Schlag gegen meine Schläfe, die jetzt ein bisschen schmerzt.
Und an David.
Augenblicklich setze ich mich auf, wodurch ich fast mit der Stirn gegen Jaspers stoße.
„Wowowow, nicht so stürmisch, Seniorita Martinelli. Wenn du doch 'ne Gehirnerschütterung hast und hier hin reierst, muss ich das sauber machen", beschwert er sich, doch ich höre das Grinsen in seiner Stimme deutlich heraus.
„Halt die Klappe, Jasper", brumme ich und sehe mich um.
David lehnt am Tresen, hinter ihm sehe ich die Lichter, die ständig in Bewegung sind und Jaspers Kollegin an der Bar, die, da sie nun allein ist, alle Hände voll zu tun hat, die Gäste zu bedienen und Jasper zwischendurch immer wieder verzweifelte und auch böse Blicke zuwirft. Jasper scheint das überhaupt nicht zu jucken, der hockt immer noch neben mir und mustert mich mit seinem blöden, feixenden Blick. Wir waren zusammen im Kindergarten, Jasper und ich und später ging er in meine Parallelklasse. Seit ich Brüste habe, versucht er es immer mal wieder bei mir und hat sich bereits unzählige Körbe eingefangen, die ihn aber irgendwie nicht entmutigen konnten. Eigentlich ist er auch ein feiner Kerl und ein ziemlich guter Freund. Wenn er mich nicht gerade anbaggert, kann ich ihn sogar ganz gut leiden, weil er witzig sein kann und unkompliziert.
David ist weder witzig noch unkompliziert und trotzdem spüre ich seine Anwesenheit in diesem Moment so viel mehr als die von Jasper.
„Alles in Ordnung?", meldet er sich das erste Mal zu Wort, als ich verstohlen seinen Blick suche.
Ich nicke. „Alles in Ordnung", sage ich. „Mein Kopf tut ein bisschen weh."
Jasper lacht, David nicht, Jasper richtet sich auf, um mir ein Wasser zu holen, David rührt sich nicht.
Wir schweigen uns an, bis mein Wasser, das verdächtig nach Gin Tonic riecht und drei Gurkenscheiben und Eiswürfel beinhaltet, bei mir ist.
„Vielleicht solltest du nichts mehr trinken", kommentiert David meinen ersten Schluck. Es folgt ein zweiter und dritter und als ich absetze, ist das Glas fast wieder leer.