"Okay, es ist alles nicht so ganz einfach! Du musst mir bei einigem erst einmal vertrauen, wenn wir es schaffen, dein Gedächtnis wieder aufzupeppeln, wirst du es mir bestimmt eher glauben."
Taddl atmete schwer, während er im Laufen zu erzählen begann. Ich nickte bloß überfordert. Mittlerweile begann ich eh an allem zu zweifeln, wieso dann nicht noch mehr völlig verrückte Infos für diesen Tag, über die sich mein Hirn kaputt brechen würde? Mein Begleiter biss sich auf die Lippen. "Also... wir sind da beide im Alter von zwei Jahren reingeschlittert. Ich war schon drei Jahre vor dir da, aber du warst schnell im Lernen, also waren wir am Ende doch ziemlich auf dem gleichen Stand. Die Leute, die Forscher, haben uns Disziplinaufgaben unterworfen, du durftest nur handeln, wenn sie es erlaubt haben, nur tun, was sie von dir verlangten. Kämpfen haben sie uns auch beigebracht, aber wichtiger war noch Kontrolle. Wir haben eine gefährliche Kraft in uns, die sie kontrollieren wollten: Wir können Sprünge in Raum und Zeit kreieren!"
"Sprünge in Raum und Zeit?", schnaufte ich verständnislos. Taddl lächelte milde: "Quasi Zeitschleifen oder Eingriffe in andere Realitäten. Wenn man es nicht kontrollieren kann, ist es leicht, in Zeit und Raum verloren zu gehen, aber wir haben gelernt, wie man gezielt springen kann. Doch alles, wofür wir es benutzen sollen, ist persönliche Bereicherung! Die Forscher wollen immer mehr Macht und Geld aus verschiedenen Welten anhäufen und so irgendwann an der Spitze stehen! Wir sind nur Marionetten, ihre Werkzeuge. So haben sie uns auch behandelt. Unsere Räume haben nicht mehr umfasst als ein Bett, eine Toilette, einen klitzekleinen Schrank mit dem nötigsten und ein winziges Fenster. Mehr brauchen wir nicht, haben sie gesagt, und viele haben es geglaubt! Es gibt noch ein Dutzend anderer Kinder neben uns mit der selben Begabung, aber wir waren die besten! Sie haben uns geliebt! Aber wir wollten nicht länger wie die Mastschweine dort drinnen leben und versauern! Als sie bemerkt haben, dass wir aufmüpfig wurden, haben sie uns das Essen gestrichen und uns nicht mehr zusammen spielen lassen. Nicht, dass wir oft Spielzeiten hatten, davon mal abgesehen. Stattdessen haben wir Morsecode gelernt und uns abgesprochen, was unser Plan ist! Wir wollten einen Sprung in unsere eigene Realität wagen, in unser Unterbewusstsein! Das ist aber höchst gefährlich, weil so viel schief gehen kann, dafür dachten wir aber auch, dass sie uns nicht folgen könnten! Wir haben deine Realität gewählt, Ardy, und sind sofort nach dem Sprung getrennt worden. Und... du hast dein Gedächtnis vollständig verloren. Ich habs sofort gewusst, nachdem ich dich versehentlich angerempelt hatte. Dein Unterbewusstsein hatte eine Anomalie entdeckt und du hast mit Panik reagiert. Um dich zu besänftigen, ist dein Retter aufgetaucht, der dich nach Hause gebracht hat. Deine Mutter wollte die Anomalie verdrängen und zu einer Nichtigkeit runterspielen. Hat nicht geklappt, weil ich noch immer in deiner Welt gefangen war und weiter Unheil gestiftet habe. Nimms deiner Ma also nicht übel, wenn sie dich oft wie ein kleines Kind behandelt hat! Dein Unterbewusstsein hat sie dazu programmiert."
"Moment!", keuchte ich, mit Taddl sowohl im Gespräch als auch beim Laufen mitzuhalten wurde immer anstrengender und ich bekam Kopfschmerzen und Seitenstechen, "Heißt das, nichts um uns herum ist real?!"
"In gewisser Weise schon", versuchte er mir zu erklären. Sein Kopf war rot angelaufen dadurch, dass er immer weiter redete, obwohl er nebenbei noch rannte. "Wie du sicher weißt, Schmerzen sind real. Gefühle sind real. Dein Leben als solches ist real, aber die Personen um dich herum. Das sind Projektionen. Aus deinem Unterbewusstsein." Er keuchte und pfiff immer stärker und ich gab ihm die Schweigepause, damit er sich erholen konnte, obwohl mir noch immer so viel unter den Nägeln brannte! "Ob du Glück hast oder Pech, ob eine Chance zutrifft oder du daneben liegst, das generiert dein Gefühl! Je nachdem ob du denkst, dass etwas unwahrscheinlich ist oder nicht, wird es auch eintreffen, oder halt nicht! Nicht deine Wünsche, aber das was dir dein Gefühl als Zufall vorgaukelt!"
"Das ist kompliziert", gab ich zu und hörte Taddl prusten. "Genau dasselbe hast du mir vor vier Jahren schon einmal gesagt, mit genau dem selben schmollenden Ausdruck!" Für genau eine Sekunde übertrug sich die gute Laune meines Nachbarn auf mich und ich glaubte einen winzigen Einblick in unsere gemeinsame Zeit damals zu erhalten, doch genauso schnell verschwand es auch wieder und mein kurzes Grinsen erlosch. "Und warum rennen wir jetzt weg, wenn die Forscher hier nicht herkommen können?"
"Das ist es ja! Sie haben es geschafft! Nicht einmal ein Jahr haben sie dafür gebraucht! Ich verstehe auch nicht wie, aber ich musste dich zuerst finden, bevor ich irgendeinen Plan entwerfe, um wieder zurück zu kommen! Ich kann dich nicht in deinem eigenen Kopf zurück lassen! Nein, in Wahrheit beobachten sie deine und meine Schritte bestimmt schon viel länger und sobald ich mich wieder an dich annähern wollte, haben sie mich aufhalten und dich kidnappen wollen! Nur leider haben sie mich da etwas zu gut im Zweikampf trainiert...!"
Das musste ich erst einmal alles verdauen... Mein Kopf rauschte bereits und in dem Moment als ich glaubte, gleich zu platzen von all dem Wissen, was er mir eben preisgegeben hatte, machte Taddl plötzlich Stopp und schaute sich um. "Hier ist gut. Erst einmal sollten sie uns nicht mehr finden können!"
Er atmete auf und fuhr sich mit den Händen durch die klatschnass geschwitzten Haare. Dabei entdeckte ich etwas auf seinem Unterarm! "Never forget!", quiekte ich und zeigte auf das Tattoo, das mit meinem komplett identisch war. Taddl nickte. "Unser Schwur. Gedächtnisschwund war eine der Nebenwirkungen, die bei Realitätssprüngen auftreten können, wir wussten also, was uns im schlimmsten Fall erwarten konnte. Wir brauchten etwas, das uns wach rüttelte, falls uns das Unterbewusstsein zu tief in Sicherheit einlullen wollte. Aber... da haben wir uns wohl verschätzt!" Er zuckte mit den Schultern und sah mir dann zu, wie ich immer noch total fasziniert die Stiche verglich. "Und ich hatte bis vorhin geglaubt, dass ich mir das Tattoo mal betrunken habe stechen lassen", murmelte ich peinlich gerührt, was meinen neuen Kumpel wiederum zum Lachen brachte. "Du? Betrunken? Und Tattoo stechen? Ne ne mein Guter, da passt etwas ganz und gar nicht! Besonders nicht mit deiner Nadelphobie! Du wärst eher tausend Tode gestorben, bevor du-!" Er unterbrach sich, als er sah, wie stocksteif ich auf einmal da saß. Nadelphobie...? Nadelphobie! Er hatte Recht! Ich hatte das nicht mehr gewusst! Aber natürlich! Plötzlich durchzuckten mich höllische Schmerzen am Arm, als würden die beiden Wörter in Flammen stehen, dann hörte wie mit einem Echo Taddls Stimme, die mir versicherte, wie gut ich mich anstellte und dass es gleich vorbei sei und anschließend spürte ich seine Arme ganz eng um mich geschmiegt. "Das hast du toll gemacht, Kleiner! Ich bin stolz auf dich!"
"...Ardy? Ardy!" Ich wurde zurück geworfen auf den kahlen Berg, auf den wir eben zusammen geklettert waren. Taddl schnippte mit seinen Fingern vor meinem Gesicht herum und verdattert nickte ich bloß. "I-ich glaube, ich habe mich eben erinnert! An den Moment, als ich mir das habe stechen lassen... Das muss die Hölle für mich gewesen sein, oder?"
Seinen Mund umspielte ein bittersüßes Lächeln, als mein Kumpel antwortete: "Die absolute Hölle! Du hast dich ab der Hälfte gewunden, als würde ich dir die Nadel stattdessen in dein Herz rammen! Aber weißt du was? - Du hast durchgehalten! Tapfer bis zum Schluss, weil... weil es dir so wichtig war...!" Verlegen kratzte Taddl sich am Nacken und schwieg. Sein Blick war aber auch in die Ferne gerichtet, als erinnerte er sich wieder genau und in allen Einzelheiten an diesen Tag.
Damit blieb vorerst noch eine unklare Sache, die er vielleicht für mich beantworten konnte. "Wenn ich aufwache jeden Morgen, habe ich Tränen in meinen Augen. Ich weiß nicht wieso, aber... anscheinend weine ich im Schlaf! Habe ich das früher schon gemacht?"
"Jeden Tag", beichtete Taddl mir nachdenklich. Peinlich... "Genau dieses Problem haben wir alle dort. Sie erzählen uns irgendwelche selbst erfundenen Märchen, die uns Angst machen sollen und uns dazu erziehen, keinen Kontakt zu unseren Leidensgenossen zu halten. Sie zerbrechen dich so lange, bis du selbst im Schlaf keinen echten Frieden mehr findest! Es ist...!" Er deutete mit ein paar vagen Handbewegungen an, was er nicht in Worte fassen konnte. Ich verstand ihn. Es war eine Grausamkeit, wie Erwachsene andere Kinder nur behandeln konnten! Taddl hatte vollkommen Recht! Wir mussten sie stoppen, wenn wir denn konnten, und das so bald wie möglich!
Und obwohl ich mich bei weitem noch nicht wieder an alles erinnern konnte und meinen Nebenmann erst seit knapp einer Stunde wieder kannte, beugte ich mich jetzt zu ihm hinüber und legte einen Arm um seine Schultern. "Ich glaube dir", meinte ich zu ihm und sah ein warmes Leuchten auf sein Gesicht schleichen. "Danke Ardy...! Das bedeutet mir echt viel!"

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Never Forget (#Tardy)
FanfictionArdian lebt ein ganz normales, ruhiges Leben, bis er eines Tages feststellen muss, dass ihn jemand verfolgt. Jemand, der ihm Drohungen zuschickt und ihn sogar tot sehen möchte! Als er schließlich entführt wird, muss er mit eigenen Augen sehen, dass...