18 Der Abschied

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Draco stand inmitten seines Zimmers auf Rose Manor und starrte seinen Rucksack an. Mit ihm war er vor etwas mehr als einem Jahr hier angekommen. Und nur mit ihm würde er Rose Manor heute wieder verlassen.

Er hatte in diesem einen Jahr kaum Besitztümer angesammelt, die er noch in seinem Rucksack verstauen müsste. Ein paar Kleidungsstücke, mehr nicht. Er hatte nicht mehr benötigt.

Langsam ließ er seinen Blick noch einmal durch das Zimmer schweifen, das ihm Zufluchtsort und ein Zuhause gewesen war. Ein bisschen wehmütig war ihm doch zumute. Er hatte sich hier sehr wohl gefühlt. Dieses eine Jahr hatte ihm Kraft gegeben und neuen Lebensmut. Die Hälfte seiner Strafe war nun vorbei, die andere Hälfte würde er auch noch schaffen.

~~~*~~~

Draco hatte mehrfach versucht, mit Mike zu sprechen, sich bei ihm zu entschuldigen. Doch jeder Versuch hatte in einem Streit geendet. Mike war zu sehr verletzt, um sich noch normal mit Draco unterhalten zu können. Ein Wort gab das andere und das ein oder andere Mal hatten sie sich sogar geschlagen. Emma hatte jedes Mal eingreifen müssen, doch bei dem heutigen Streit hatte auch sie die beiden Männer nicht mehr beruhigen können.

Der Streit und die anschließende Prügelei waren so heftig gewesen, dass Mr. Rose auf sie aufmerksam wurde. Er war zu diesem Zeitpunkt ausnahmsweise zu Hause gewesen. Er hatte Draco und Mike zu sich in sein Büro gerufen und verlangt, über den Grund der Prügelei aufgeklärt zu werden. Es war eines der unangenehmsten Gespräche in Dracos Leben gewesen.

Nachdem Mike und er unter peinlich berührtem Rumgestottere und Auslassen pikanter Details schließlich erklärt hatten, warum sie aufeinander losgegangen waren, hatte Mr. Rose sie missbilligend angesehen und verlangt, dass sie sich wie erwachsene Männer verhielten und ihren Streit beilegten, ansonsten, hatte er unmissverständlich erklärt, müsse einer von ihnen gehen.

Mike hatte Mr. Rose erschrocken angesehen, doch Draco hatte sofort zugesagt, Rose Manor zu verlassen. Er wusste, dass er hier keine Zukunft haben und Mike und er in nächster Zeit nur immer wieder in Streit geraten würden. Also wäre es das Beste, er würde einfach gehen.

Mr. Rose hatte seine Kündigung lediglich mit einem Nicken zur Kenntnis genommen und sie beide aus seinem Büro entlassen. Draco war direkt in sein Zimmer gegangen und hatte gepackt. Naja, also er hatte seine wenigen Hygieneartikel und seine noch wenigere eigene Kleidung in seinen ohnehin immer noch gepackten Rucksack gestopft. Und nun stand er hier und versuchte, die Sentimentalität, die ihn ergriffen hatte, abzuschütteln.

Plötzlich wurde die Tür hinter ihm aufgerissen und Emma stürzte in sein Zimmer. Als sie Draco so stehen sah, verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck von fragend über verstehend in traurig. „Es ist also wahr? Du wirst uns tatsächlich verlassen?", fragte sie mit zitternder Stimme.

Draco nickte und ließ zu, dass Emma ihn fest umarmte. Sie würde ihm fehlen, Myriam und Luise würden ihm fehlen, sein Zimmer würde ihm fehlen, der Garten und ja - auch der Gärtner würde ihm fehlen, irgendwie.

Draco strich Emma beruhigend über den Rücken, während sie leise schluchzte. Sie war für ihn zu einer Ersatzmutter geworden. Er liebte sie sehr, aber er wusste auch, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Allerdings machte ihm diese Entscheidung auch Angst. Er stand wieder vor dem Nichts. Wo sollte er hin? Würde er wieder Arbeit finden? Oder müsste er sich wieder auf der Straße durchschlagen?

Schließlich löste sich Emma aus seiner Umarmung, sah ihn liebevoll an und strich ihm zärtlich über seine Wange. „Du wirst mir fehlen, Dean, sehr sogar. Weiß du schon, wo du hingehen wirst?"

Draco nahm ihre Hand von seiner Wange, hielt sie fest in seinen Händen und schüttelte dann den Kopf. „Nein, aber mach dir keine Sorgen. Ich werde schon etwas finden", sagte er aufmunternd. Er wollte Emma und auch sich selbst Mut machen. Draco drückte noch einmal Emmas Hand und wollte sich dann lösen, doch Emma hielt ihn zurück.

„Ich kenne einen Koch in London. Wir haben unsere Ausbildung zusammen gemacht. Er ist brillant. Ihm gehört eines der nobelsten Restaurants in der Hauptstadt. Wenn du magst, rufe ich ihn gleich an. Vielleicht hat er eine Stelle für dich frei."

Draco zögerte einen Augenblick. London... Das wäre sehr nahe bei Harry. Der letzte Ort, an dem er sein wollte. Doch andererseits... London war groß, das Zaubererviertel müsste er sowieso meiden. Ob er und Harry sich jemals über den Weg laufen würden, war doch sehr unwahrscheinlich. „Das wäre großartig!", freute sich Draco deshalb. So würde er doch nicht gleich wieder bei Null anfangen müssen.

Emma nickte und zückte ihr Handy. Sie tippte eine Nummer ein und nach einem kurzen Klingeln antwortete ihr alter Schulfreund. Nach ein bisschen Smalltalk mit Henry kam Emma auch gleich auf den Punkt. „Henry, wir hatten hier im letzten Jahr einen Küchenjungen dagehabt, der wirklich gut war. Er möchte uns leider verlassen und nach London gehen und da bist du mir eingefallen. Kannst du zurzeit jemanden in der Küche gebrauchen? - Ja, kann er. - Vermutlich sind wir ihm hier zu dörflich, er will in die große Stadt", Emma zwinkerte Draco zu, der sich kaum noch ruhig halten konnte. „Nein. - Ja, ist er. Ich war wirklich zufrieden mit ihm. - Ich wüsste ihn einfach gerne in guten Händen. - Ja. - Genau", Emma lachte. Draco fragte sich, ob das bereits eine Zusage gewesen war. „Klar weiß ich, wie es bei euch zugeht. Das schafft er schon. - Sicher. - Danke, Henry. Ich komme dich auch bestimmt mal besuchen. Mach's gut." Endlich legte Emma auf.

Draco war entgegen seiner anfänglichen Bedenken schon ganz aufgeregt. Das Gespräch schien gut gelaufen zu sein, denn Emma strahlte ihn an. „Henry gibt dir eine Chance. Er sucht ständig nach guten Hilfskräften. Du sollst morgen Abend um fünf bei ihm sein und dich vorstellen. Dann wirst du einen Abend auf Probe arbeiten und wenn du dich gut schlägst, hast du den Job."

Draco konnte nicht anders, er fiel Emma um den Hals und wirbelte sie vor Freude durch die Luft. Völlig entgegen seiner Erziehung als Malfoy. Doch wieviel Malfoy steckte nach all der Zeit überhaupt noch in ihm? Er dachte den Gedanken nicht weiter, nichts könnte ihn in diesem Moment gleichgültiger sein als seine Erziehung. Was zählte war, dass er bereits einen neuen Job hatte. Er würde alles daran setzen, diesen Henry von sich zu überzeugen. Emma lachte und schließlich ließ er sie wieder herunter.

„Danke! Danke, Emma! Wie kann ich mich je bei dir dafür revanchieren?", fragte Draco überschwänglich.

„Das ist nicht nötig, Dean. Versprich mir nur, dass du auf dich aufpasst und glücklich wirst." Emma schaute ihn bedeutungsschwer an und Draco rollte innerlich mit den Augen. Natürlich spielte sie auf Harry an. „Melde dich einfach hin und wieder. Ich würde gerne wissen, wie es dir geht."

Draco gab Emma einen Kuss auf die Wange. „Alles, was du willst. Ich danke dir so sehr." Dann nahm er seine Ersatzmutter ein letztes Mal in den Arm und drückte sie fest an sich.

Seelenverwandt (Drarry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt