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Wir lagen in unserer Zelle, jeder in seinem Bett und lauschten auf die Atemzüge des jeweils anderen. Es war noch immer dunkel, denn nachts schalteten sie uns den Strom ab; doch Strom wurde immer knapper und so ließen sie uns manchmal tagelang im Dunkeln.

Schließlich fasste ich mir ein Herz.


"Wie sieht es draußen aus?"

Eine Weile blieb es still. Als ich schon dachte, ich würde keine Antwort mehr bekommen, fragte er leise: "Wann warst du das letzte Mal draußen?" Ich musste nicht lange überlegen. Vor zweiundvierzig Tagen. Ein einzelner Soldat hatte mich begleitet, wir waren aus dem ehemaligen Historischen Museum, das sie in ein Forschungslabor gewandelt hatten, hinaus in den vernebelten kühlen Sonnenaufgang getreten, trotz der Kühle waren die Sonnenstrahlen unbarmherzig in unsere Haut gedrungen, ungebremst und unheilverkündend. Er führte mich in Richtung des Stellplatzes der Fahrzeuge, denn auch wenn die Technik längst überholt und Kraftstoff nur noch auf dem Schwarzmarkt erschwinglich war, waren Autos doch immer noch die unauffälligsten Transportmittel, denn die Mühe, ein einzelnes Fahrzeug ins Visier zu nehmen, machte man sich nur noch, wenn es offensichtlich Waffen oder Hilfsgüter für die falsche Seite geladen hatte. Fuhr man einen kleinen Personenwagen, musste man nur wissen, wo die Sprengsätze lagen, wo die Heckenschützen und unbemannten Drohnen lauerten, wo die Tiere streiften, denen man unstillbaren Blutdurst ins Erbgut gepflanzt hatte. Wo sich Gase sammelten, wo die Maschinen flogen, wo die Maschinen abgeschossen wurden und herunterrregneten; wo sie Granaten abwarfen und wo dieses klebrige Pulver, das man kaum mehr aus der Kleidung herauswaschen konnte und das beim kleinsten Anlass Feuer fing; wo sie Viren hinunterschickten und wo eine zähe Masse in kleinen Tröpfchen regnen ließen, von der man nicht wusste, welche teuflische Eigenschaft sie verbarg: Die allgemeine Vermutung besagte, dass beim Austrocknen der Masse Gase freigesetzt wurden, die in die Atemwege eindrangen und mit der Zeit die Sauerstoffaufnahme blockierten.

Der Soldat schien all das zu wissen. Vielleicht hatten wir auch einfach nur Glück, denn auf der knapp zwei Stunden dauernden Fahrt begegneten wir nichts und niemandem. Er hatte irgendeinen Radiosender eingeschaltet; die Technik hatte man im Grunde schon ins Grab getragen und als veraltet abgestempelt, doch die neuen Methoden mit kürzeren Wellen hatten sich als fehleranfällig und manipulierbar erwiesen, sodass man wieder auf das klassische Radiohören umgestiegen war. Ein hektischer Nachrichtensprecher erzählte von der Einnahme der südlichen Hauptstadt; sämtliche Regierungsgebäude wurden gestürmt und das Datennetz der Stadt lahmgelegt; die Bevölkerung war freudig aus ihren Häusern gedrungen; die staatliche Bibliothek hatten sie angezündet und die Flaggen auf dem Vorplatz gleich mit.

Wir hielten vor einer sandfarbenen Betonwand, tief in den Fels gehauen, am Grund eines durchwucherten Tals. Der Soldat ließ mich nicht aussteigen, sondern warf mich zu Boden, packte grob meinen Arm und schleifte mich bis zur verriegelten Metalltür und machte somit jede Flucht zunichte. Als die Türe von innen geöffnet wurde und ich mich auf der Schwelle wand und zurückblickte, erhaschte ich einen letzten Blick auf die kühle Sonne, die ihre verseuchten Strahlen in Richtung Erde schickte.


"Das letzte Mal... als sie die südliche Hauptstadt gestürmt haben."

Er atmete nicht aus, hielt die Luft an und atmete erneut ein. Stille floss in den Raum zwischen uns, das Rauschen beruhigte mich und machte mich nervös zugleich, und als das Schweigen fast unsere Bettkanten erreicht hatte, brach er es.

"Ihr aus dem Norden habt unsere Hauptstadt nicht eingenommen! Ihr habt lediglich das Regierungsgebäude gestürmt, aber auch damit nichts erreicht, ihr habt nur einige -" Er brach ab, atmete ganz langsam aus und fuhr deutlich nüchterner fort: "Einige weniger wichtige Persönlichkeiten festhalten können. Der Präsident und der General - und auch unser Spezialist für die Datenbank - sind euch sehr wohl durch die Finger geglitten. Ihr habt bei uns überhaupt nichts erreicht."


"Zähl mich nicht zu denen. Für mich gibt es keine unterschiedlichen Mächte und auch keine bösen Feinde, ich - ich steh nicht auf einer Seite."


"Du hast behauptet, ihr hättet - oder meinetwegen: Die aus dem Norden hätten unsere Hauptstadt eingenommen. Das ist nördliche Propaganda."


"Mag sein, aber dann ist deine Version südliche Propaganda."

Darauf schwieg er. Seine Bettdecke kratzte an der rauhen Wand entlang und hinterließ ein hässliches Schleifen.

Nov/2093Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt