Diesmal war er es, der schrie. Ich war wohl wieder in einen leichten Schlaf gefallen, als ein Wimmern zu mir drang, das mich verkrampfen und erstarren ließ. Ich hörte die Tränen, spürte die Schwäche, die darauf getrimmt war, nicht gezeigt zu werden; das stille Zusammenkrümmen, die absolut lautlosen Tränen, die am nächsten Morgen weggewischt wurden und durch immerfort gasdurchsetzte Luft, die höllisch in den Augen brannte, abgetan. Ich spürte den Schmerz schon körperlich, meine Bauchgegend zog sich zusammen, ich kniff die Augen zu, um nichts mehr zu hören. Es klappte nicht.
Ich schlug die Decke zurück und tastete zitternd über das Linoleum. Aus dem Wimmern wurde ein Schrei, der mich zu Boden warf. Ich ertastete die Bettkante und zog mich an ihr hoch, dem Schrei entgegen, ein Keuchen, ich spürte seine Hand, Wimmern, meine Finger krampften sich um seine, plötzliche Stille. Ein Ringen um Atem, dann schnellte sein Oberkörper in die Höhe, er stöhnte auf, umfasste in plötzlichem Schmerz seine Schulter, zog meine Hand mit, sank langsam zurück. Ich fasste seine Hand fester und zog sie behutsam zu mir, sodass ich den Druck von seiner Schulter löste; er atmete unregelmäßig, ein Husten drang stotternd aus seiner Kehle, es klang, als hustete er Blut. Seine andere Hand suchte meine, als er mühsam versuchte, aus seinem Traum einen Weg in die Realität zu finden.
"Erzähl mir, was passiert ist." Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Ich spürte seinen Puls, als seine Gedanken erneut abdrifteten.
"Sie... sie haben das Gebäude umzingelt - sie riefen, wir sollen uns ergeben - sie haben Brandsätze geworfen. Unser Wundarzt... er ist neben mir - neben mir - ich war eigentlich nur der Sekretär, weißt du? Vom Präsidenten. Und ich wusste wirklich nicht viel mehr, als ihre Spitzel ihnen ohnehin gesagt hatten - sie hatten mich mitgenommen, die anderen konnten fliehen - der Präsident, ich habe drei Jahre für ihn gearbeitet - war sein Vertrauter - er verschließt vor meiner Nase die Fluchttür und im nächsten Moment waren auch schon die nördlichen Angreifer da - haben mich... sie - sie befragten mich, immer wieder, aber ich konnte ihnen ja nichts sagen..." Seine Stimme erstarb, sein Griff war immer fester geworden, während er gesprochen hatte, jetzt holte er zum ersten Mal richtig Luft. Er wollte etwas hinzufügen, doch ihm blieben die Worte weg. Ich strich mit dem Daumen, dem einzigen Finger, der von seiner Umklammerung frei war, über seinen Handrücken, immer wieder.
Wir schwiegen. Es gab nichts mehr zu sagen.
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Nov/2093
General Fiction... fuck, Mädchen, du lebst - . . . In einem Bunker tief unter der Erde hört man die Schüsse nicht. In eine kleine Zelle gelangt keine Zeit. Aber der Schrecken, der macht keinen Halt vor Stahltüren. .