Run - Tief in der Vergangenheit (Band 1)

Chapter 5 - Zerina

Ich schaue mich um. Der Raum, in dem ich mich befinde, ist eigentlich ganz gemütlich eingerichtet. Es hat zwei Sofas, die zwar schon etwas älter aussehen, einen kleinen abgewetzten Teppich und eine aus Kartonschachteln improvisierte Bar, dahinter befindet sich ein Regal mit einigen Getränken, die Meisten davon sehen so aus als wären sie ziemlich hochprozentig.

Trotzdem gibt es einen Faktor, der den Raum sehr ungemütlich macht, und das ist Marco mit seinen Leuten, die mitten im Raum stehen.

„Also, hau schon raus. Was willst du?" frage ich und versuche, nicht allzu zittrig zu klingen. Er soll nicht merken, dass ich keine Ahnung habe, was ich jetzt tun soll. Als ich mit Mira im Gespräch war, kamen zwei Jungs von hinten und haben mir etwas vor die Nase gehalten. Danach weiss ich nur noch, dass ich in diesem Raum aufgewacht bin. Wo ich bin? Keine Ahnung. Was sie wollen? Keine Ahnung. Wieso Linus mir verheimlicht hat, in einer Gang zu sein?

KEINE AHNUNG.

„Nun. Ich will dir nicht wehtun, Zerina. Du bist mir nicht egal, damit du das weißt. Aber Linus ist mir was schuldig und dafür brauche ich dich. Das musst du verstehen. Ich habe nicht vor dir was zu tun." Ich schnaube verächtlich. „Achja? Linus ist ausgerechnet dir was schuldig? Warum klärst du das denn nicht einfach wie ein normaler Mensch mit ihm?" Marco kneift die Augen zusammen.

„Pass mal auf Zeri. So läuft das hier nicht. Wir sind eine Gang, wenn es Stress mit Außenstehenden gibt, klären wir das nicht wie normale Menschen. Verstanden? Wir lassen unsere Feine spüren, dass sie sich mit uns nicht anlegen sollten, ob es dir passt oder nicht." Als er meinen Spitznamen ausspricht zucke ich zusammen. Er hat ihn mir damals gegeben. Damals, als wir noch gute Freunde waren und er mir in der Schule geholfen hat.

Er hat mich in dieses Gymnasium gebracht. Ich hätte niemals gedacht, dass er so hinterhältig ist und sogar Menschen entführt um an seine Ziele zu kommen. „Verdammt Marco. Was ist aus dir geworden" flüstere ich, laut genug, damit er es gerade so verstehen kann. Plötzlich verändert sich sein Gesichtsausdruck, und der Marco von früher sieht mich durch seine stahlblauen Augen an. „Leute, macht 'nen Abflug." Mira und die anderen Jungs, die ich noch nicht kenne, verschwinden. Marco dreht sich wieder zu mir um.

„Du siehst, was aus mir geworden ist. Ich muss das hier durchziehen damit ich den Respekt, der mir gegenüber gezeigt wird, behalten kann. Wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, sehen mich die anderen als Versager und wählen womöglich einen neuen Anführer. Dann würde ich all das hier verlieren. Ich habe mir diese Gang hier selbst aufgebaut, Leute zusammengesucht und den Zusammenhalt hier gestärkt. Weißt du, ich habe nichts gegen die Gang von Linus. Ich finde den Typen sogar einigermaßen okay. Aber wer mir mein Ansehen wegnehmen will, bekommt eben Probleme. So läuft das zwischen Gangs. Wir sind keine normalen Menschen die ein Gespräch führen und dann ist alles wieder gut. Jeder büßt auf eine individuelle Art für seine Fehler. Und Linus hat unseren Ruf gekränkt. Sich über uns lustig gemacht. Sowas wird nicht akzeptiert."

Ich versuche, das Ganze zu verstehen. Mein Schädel fühlt sich an, als wäre mein Hirn mit Watte ausgewechselt worden. Mein Blick ist hin nd wieder etwas verschwommen, doch die Wand hinter mir gibt mir Halt.

„Linus wird das hier aber auch nicht auf sich sitzen lassen, das weißt du hoffentlich. So wie ich ihn kenne, ist er wütender als je zuvor und wird so ziemlich alles daransetzen, dich und deine Gang zu zerstören. Ich verstehe, dass du ihn mit etwas unter Druck setzen willst, dass ihm wichtig ist, doch du hast unterschätzt, wie stark unsere Bindung ist. Er wird nicht mehr mit dir reden, sondern dich direkt angreifen. Mit mir kannst du ihn nicht unter Druck setzen. Alles was du hier gerade tust, ist ein einziger, großer Fehler. Für dich und deine Gang, für all das was du dir aufgebaut hast. Glaub mir, ich weiß wovon ich spreche."