6. Kapitel

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Hexennasen und Ingwerkekse

Als John am nächsten Morgen aufstand und mit verschlafenen Augen aus seinem Zimmer trat, nahm er als allererstes den sanften Geruch von Kaffee wahr, der ihm ein sanftes Lächeln auf die Lippen zauberte. "Mrs. Hudson, sie sind eine Göttin", rief er halblaut und machte sich auf dem Weg durchs Wohnzimmer in die Küche. "Es tut mir leid, dass ich sie gestern nicht informiert habe, aber wir haben..."

"Ich weiß zwar nicht so genau, wieso Sie ihrer Haushälterin immer Bescheid sagen sollten wenn sie Besuch haben, der mehr oder weniger freiwillig bei ihnen übernachtet, aber darum muss ich mir ja Gott sei Dank keine Sorgen machen."

Überrascht riss John die Augen auf und starrte Debbie an, die gut gelaunt auf der Küchentheke saß, lässig ihre Beine baumeln ließ und mit einem zufriedenen Gesicht ihren Cappuchino schlurfte. Ihre Haare waren leicht zerzaust und ihren schwarzweiß gestreiften Anzug hatte sie durch ein zu großes weißes Hemd und eine weite Anzugshose ersetzt. Ihre Füße zierten ein paar Zehensocken, deren schwarzer Hintergrund mit leuchtend grünen Nuclearzeichen verziert war.

"Falls sie sich über meine Aufmachung wundern, ich war so frei und habe mir zwei Kleidungsstücke aus ihrem Korb mit der frischen Wäsche genommen. Als Entschädigung habe ich ihnen einen ordentlichen Kaffee gemacht."

John blickte auf den Tisch und entdeckte zwei vor sich hin dampfende Kaffeetassen auf dem Tisch, der dank Sherlock immernoch von Reagenzgläsern, Bechergläsern und Pipetten bedeckt war.

"Entschuldigen sie die Unordnung, Miss Johnson, mein Mitbewohner ist etwas..."

"Speziell? Ja, das dachte ich mir. Das erklärt warum er mich gerade anstarrt als wäre ich ein Alien", sagte sie teilnahmslos und knabberte an einem Ingwerkeks, den sie zuvor eine Weile in ihren Kaffee gehalten hatte.

Abrupt drehte sich John um und starrte Sherlock an, der wiederum Debbie anstarrte, welche einfach nur ganz entspannt weiter ihre Beine baumeln ließ und ihren Keks mümmelte.

"Sie tragen mein Hemd. Und meine Hose."

Debbie zuckte mit den Schultern. "Sie tragen meinen Regenmantel", bemerkte sie nüchtern, stellte ihre Tasse neben sich ab, schob sich den letzten Rest Keks in den Mund und sprang von der Theke auf den Küchenboden. "Und, was ist das da für eine Akte unter ihrem Arm?"

"Vierundzwanzigster April 2006."

Debbies Gesichtsausdruck verzerrte sich vor Verwirrung, dann wurden ihre Gesichtszüge genervt. "Ah, ja. Genau. Und jetzt bitte auf Englisch."

"Ich habe es doch auf Englisch gesagt."

Debbie stöhnte und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. "Was für eine Art von Humor haben sie eigentlich, dass sie einen sarkastischen Anfänger-Witz nicht verstehen?"

John seufzte und wandte sich an Sherlock. "Sagen sie uns jetzt, was das für eine Akte ist?"

"Ja", erwiderte Sherlock, klappte den Ordner auf und legte ihn auf den Küchentisch. Darin befand sich nur ein einziges DIN A4 Blatt und ein verschwommenes Schwarz-Weiß-Foto, aufgenommen von einer Überwachungskamera. 

"Und was genau hat das mit den Morden in meiner Wohnung zu tun?", fragte Debbie, nahm das Foto aus dem Ordner heraus und musterte es mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Also, das ist ja mal ne Nase. Das man die selbst bei dieser Bildqualität so deutlich erkennt...meine Güte."

"Haben sie schon einmal von der besten Diebin Deutschlands gehört?", fragte Sherlock und linste ebenfalls auf das Foto. Debbie hatte Recht, die Nase war ungewöhnlich deutlich zu erkennen.

"Meinen sie diese Sophia Harvey da? War die nicht mal in den Medien?"

"Ihr Name ist Saphira Harrison, und ja, sie war mal in den Medien. Sie soll angeblich eine Meisterin der Maske gewesen sein, wahrscheinlich einer der Gründe weshalb man sie nie gefasst hat."

"Gewesen?"

"Sie ist tot."

"Seit wann?"

"April 2006."

"Ah! Deswegen haben sie gerade 'April 2006' geantwortet, als ich gefragt habe, was das für eine Akte sei!"

Sherlock schwieg und nahm das Blatt aus dem Ordner. Es handelte sich um eine Liste von Diebstählen, die allesamt von Saphira Harrison ausgeführt wurden. 

"Jeder einzelne ihrer Diebstähle war bei ihr in Auftrag gegeben worden. Trotz dieser riskanten Art und Weise als Diebin Geschäfte zu machen wurde sie nie gefasst, da nicht einmal ihre Klienten ihr wahres Gesicht kannten. Die Polizei hat mehrmals versucht sie mithilfe eines falschen Klienten zu hintergehen, jedoch hat sie es immer früh genug herausgefunden und ist entwischt. Schließlich ist sie auf der Flucht über die Ostsee verschwunden. Man vermutet sie sei ertrunken und das Meer hätte sich ihrer Leiche endgültig entledigt. Plausibel und logisch, es ist jedoch unwahrscheinlich dass sie von selbst gestorben ist. Einer ihrer Kollegen wollte sich wahrscheinlich ihrer entledigen und brachte es irgendwie fertig, sie zu ermorden. Ich persönlich denke, dass es sich dabei um die Person handelt, die ihr alle nötigen Informationen und Materialien beschafft hat, sowie gestern in ihrer Wohnung sechs Polizisten umgebracht hat."

"Und wie zum Geier kommen sie darauf?"

"Man hat vielleicht nicht Harrison gefunden, dafür aber ihr Boot, in dem mehrere Wurfmesser steckten, die gleichen wie in Ihrer Wohnung, Miss Johnson."

"Ah ja."

"Übrigens fand gestern in ihrer Wohnung keine Razzia statt, sondern eine einfache Hausdurchsuchung. Außer Drogen wurden auch noch nicht lizensierte Waffen in Ihrem Besitz vermutet, deswegen auch gleich sechs Beamte. Lestrade hat außer einem jedoch lizensierten Pfefferspray nichts gefunden, allerdings könnten Sie auch sich dieser Dinge entledigt haben, nachdem Sie die Polizisten umgebracht haben."

"Das heißt ich bin bis jetzt die Hauptverdächtige."

"Ja."

"Na dann, worauf warten sie noch? Setzen wir das Verhör fort", sagte Debbie und machte sich auf den Weg zurück ins Wohnzimmer.

Die DiebinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt