Teil 2

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„Deine Mum wird dich hier nicht hören, genau genommen wird dich deine Mutter nie wieder hören.“ Seine Stimme triefte vor Freundlichkeit. Als er sah, wie sie zusammenzuckte bei seinen Worten, wurde ihm, als hätte man seine Gebete erhört. Endlich war es soweit. Jedes vorherige Kunstwerk zeigte Angst, aber die Kleine hier war die erste, die es so unverbindlich und offen zeigte. Sie war die erste, die es begriffen hatte, bevor er es ihr erklären musste, bevor er sie dazu zwingen musste Angst zu haben. Sie würde wohl sein letztes und bestes Kunstwerk werden, denn sie zeigte ihre unkontrollierte Angst und genau diese Angst war es, was ihn befriedigte. „Was wollen Sie?“, fragte die Kleine, als ob sie es noch nicht ahnte. „Jetzt streng doch mal dein kleines Köpfchen an. Bist du dir sicher, dass du es noch nicht weißt? Ich glaube nämlich, dass du gar nicht so dumm bist, wie alle immer behaupten.“ Sie zuckte zusammen, als hätte sie einen Geistesblitz durchfahren. „Wieso?“, wollte sie wissen. „Weil ich Lust dazu habe. Weil ich es kann. Weil ich es will. Lass dir was einfallen, denn letztendlich spielt es keine Rolle. Ich werde der letzte Mensch sein, den du lebend siehst. Ich werde schlimmer als dein abscheulichster Alptraum sein“, sagte er so, wie wenn es das Natürlichste auf der Welt war. „Du, meine Kleine, wirst mein letztes Kunstwerk sein.“ Die pure Angst zeigte sich in ihren Augen, als wäre ihr erst jetzt klar geworden, dass es schlimmeres als den Tod gab. „Wieso ich? Ich will nicht sterben.“

„Irgendwann stirbt jeder. Du stirbst nun mal vor deinen Freunden und sogar vor deinen Eltern, aber ich kann dir eines versprechen: Deine Eltern werden nicht so qualvoll sterben wie du. Allerdings können sie sich deine letzten Stunden immer und immer wieder anschauen.“ Er zeigte auf eine Kamera in der linken Ecke des Kellers. „Siehst du die Kamera? Sobald ich den grünen Knopf drücke, werde ich aufnehmen, wie du um Hilfe schreist, wie du vor Angst wimmerst. Wie jeder einzelne Knochen deines Körpers gebrochen wird“, flüsterte er ihr ins Ohr und als er hörte, wie sie schrie, wie sie verzweifelt um Hilfe schrie, fühlte er sich mächtiger und grösser denn je.

“Angst ist doch etwas Wundervolles“ - er lachte auf – „Die Menschen können sie so gut verbergen, doch sobald sie alleine und hilflos sind, tun sie alles um nicht zu sterben.“

Das letzte KunstwerkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt