Tief durchatmend hob er die Hand und klopfte an die schlichte Holztür. Er war nervös.
Er hatte nun schon so lange nach seiner Seelengefährtin gesucht, dass er jetzt, wo er sie gefunden hatte, gar nicht wusste, wie er ihr gegenübertreten sollte. Schließlich beabsichtigte er ihr den Hof zu machen und nicht etwa sie im ersten Moment zu verschrecken.
Schritte erklangen hinter der Tür und Nicolas hielt gespannt den Atem an. Es war so weit.
Die Tür öffnete sich ... und zum Vorschein kam eine ältere Frau mit teilweise bereits ergrautem Haar. Ihre freundlichen braunen Augen schauten verwirrt zu dem jungen Mann herauf.
Um die Frau nicht noch länger im Ungewissen verweilen zu lassen, trat nun Henrik hervor, da es offensichtlich war, dass Nicolas im Moment kein Wort herausbekommen würde.
Dieser dachte nämlich, dass es doch nicht das richtige Haus war und seine Gefährtin doch nicht hier leben würde. Während er sich innerlich bereits dafür schalt, dass er so falsch liegen konnte, erklärte Henrik der Frau, wer sie waren und warum sie hier waren.
»Ihr seid auf der Suche nach meiner Tochter?«, wollte sie schließlich wissen.
Tochter, geisterte dieses Wort wie ein Echo in Nicolas Kopf herum, nachdem sie es ausgesprochen hatte. Plötzlich kam wieder Leben in den jungen Prinzen und er schoss vorwärts.
»Wo ist sie?«, verlangte er sofort zu wissen. Er konnte keine Sekunde länger warten.
Mit großen Augen blickte sie ihn erschrocken an. Henrik bemerkte die angespannte Situation und schritt ein, ehe Nicolas noch völlig durchdrehen würde.
»Was mein Schützling eigentlich sagen wollte, ist, dass wir sie gerne über alles informieren würden. Wie wäre es, wenn wir uns dazu ins Haus begeben?« Mit seinem charmanten Lächeln bezirzte er die Frau, die sie letztlich mit einem Stirnrunzeln ins Haus ließ.
»Möchte jemand einen Tee?«, fragte sie, bevor sie sich auf dem großen Holztisch niederließen.
»Das wäre sehr freundlich«, meinte Henrik, während James höflich ablehnte und Nicolas gar keine Antwort von sich gab.
Die Mutter seines Mädchens verschwand in der Küche. Augenblicklich wandte sich Henrik zu ihm herum und betrachtete ihn mit einem mahnenden Blick.
»Nicolas, wag es ja nicht deine Ungeduld an dieser Frau auszulassen. Sie hat gar nichts mit all dem zu tun und ist sogar die Mutter deiner -«
»Ich hab's verstanden!«, fuhr Nicolas ihn an. Er vergrub seinen Kopf in den Händen. »Ich will sie doch einfach nur sehen. Ich will sie endlich sehen.«
Ein Seufzen erklang und eine Hand legte sich auf Nicolas Schulter. »Junge, sieh mich an.«
Kraftlos hob er seinen Kopf und blickte ihn aus glanzlosen, blauen Augen heraus an.
»Du hast sie schon. Du hast sie gefunden. Und wenn du deine Karten richtig spielst, steht sie schon bald an deiner Seite. Und selbst wenn du das nicht tust und sie dich aus irgendeinen Grund nicht akzeptieren sollte, würdest du nicht eher ruhen bis sie es tut.«
Der Ältere lächelte seinen Schützling an. »Nun entspann dich und lerne erstmal ihre Mutter kennen und vielleicht erzählt sie dir auch etwas von ihr.«
Mit neu geschöpfter Kraft richtete er sich in seinem Stuhl auf. »Danke, Henrik. Du hast recht. Ich werde mich sofort bei ihr entschuldigen.«
»Ihr seid tatsächlich der Gefährte meiner Tochter.« Ein fragender Unterton schwang in ihrer Stimme mit.
»Ja, das bin ich«, bestätigte er.
»Und der Kronprinz.«
»Genau.« Ihm war bewusst, dass dies sehr viel zu verdauen war, doch konnte er nicht davon absehen, der Frau vor sich einen genervten Blick zu zu werfen.
Ein Seufzen entfloh ihren Lippen und sie lehnte sich in dem ungemütlichen Holzstuhl nach hinten. Sie sagte nichts und schoss bloß müde ihre Augen.
»Was sind deine Absichten ihr gegenüber?« Sie klang nicht mahnend, eher erschöpft. Offenbar traf sie die Nachricht eher unerwartet.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen bedachte er die Mutter seines Mädchens. »Was für Absichten soll ich denn Ihrer Meinung nach haben?« Ein scharfer Unterton schlich sich in seine Stimme. »Ich will sie lieben und beschützen. Das, was man als Gefährte nun mal so tut-«
»Nicolas, ich denke nicht, dass-«, er schaute kurz fragend zu der Frau.
»Nala«, antwortete sie sogleich.
»Nala«, wiederholte der Berater, »Ich denke nicht, dass Nala das so gemeint hat. Erzähl ihr doch mal etwas von dir, damit sie dich besser kennenlernt.«
Anschließend beugte er sich vor und zischte ihm ins Ohr: »Benimm dich. Das ist deine zukünftige Schwiegermutter!«
Der junge Prinz biss verärgert die Zähne zusammen. Er wollte nun endlich seine Gefährtin kennenlernen.
»Wollen Sie etwas Bestimmtes wissen?« Er versuchte seinen Ton neutral zu halten um nicht erneut Henriks Zorn auf sich zu ziehen.
Die Frau betrachtete ihn aus ihren braunen Augen, ebenso braun wie die seines Mädchens. Doch ihre rehbraunen Augen waren tausendmal schöner. Wie gern er jetzt in ihnen versinken würde.
»Wie hast du vor deine Pflichten als zukünftiger König und deine Seelengefährtin unter einen Hut zu bringen?«, wollte sie letztlich wissen.
Die Frage überraschte ihn ein wenig. Um ehrlich zu sein hatte er darüber noch gar nicht nachgedacht. Allerdings hatte er bisher auch kein großartiges Problem darin gesehen. Wenn sein Mädchen bereit war mit ihm aufs Schloss zu kommen, würde er sie dabei unterstützen Schritt für Schritt die Aufgaben einer Prinzessin zu meistern. Im Gegenzug würde sie sein Ruhepol sein und ihn nach einem anstrengenden Tag zur Ruhe bringen.
Es würde sich nach einiger Zeit eine Routine bilden, die er durch spontane Ausflüge und ruhige Abenden zu zweit auflockern würde. Und später vielleicht ... durch eine Familie.
Er bemerkte nicht, dass sich ein verträumtes Lächeln auf seine Lippen stahl und er komplett von seinen Wunschvorstellungen vereinnahmt war. Doch war dies Nala Antwort genug. Er würde alles tun um ihr gemeinsames Leben in den Griff zu bekommen, davon war sie nun restlos überzeugt.
»Ich glaube, du wirst ihr gut tun«, meinte sie schließlich. Ein müdes Lächeln breitete sich über ihre Lippen aus. »Natürlich musst du sie selbst auch noch davon überzeugen. Das ist dir hoffentlich klar.«
»Natürlich«, schoss Nicolas sogleich in seinem Stuhl vor, als er die Chance witterte seine Angetraute zu sehen. »Und ich würde am liebsten sofort damit anfangen.«
Nala lächelte dem eifrigen Prinzen zu. Schon verwunderlich wie manche Menschen sich wegen einer Person änderten. Als er zuerst durch ihre Türe trat, wollte sie ihren Augen nicht trauen, dass so ein schlecht gelaunter und unhöflicher junger Mann der Seelengefährte ihrer Tochter war. Nun jedoch war sie zur Ansicht gekommen, dass er einen mehr als weichen Kern besaß und er seine freundliche Seite schlichtweg nicht jedem zeigte. Doch zu ihrer Kleinen würde er gut sein, dass sah sie in dem Funkeln in seinen Augen.
»Warte am Waldrand auf sie. Sie ist ein paar Pilze sammeln gegangen. Und bitte sei vorsichtig mit ihr. Sie hatte es nicht immer leicht und hat Probleme damit anderen zu trauen.«
»Du darfst vor allem nicht vergessen, dass sie noch keine Seelenträume hatte«, erinnerte ihn James, als sie aus der Haustüre traten. »Das bedeutet, dass sie dich nicht erkennen wird. Du musst ihr die Situation erklären und dich vorstellen. Erzähl ihr am besten etwas von deinen Träumen. Dräng dich auch nicht zu sehr auf. Sie wird am Anfang Zeit brauchen um sich an dich und die Situation zu gewöhnen, schließlich hatte sie keine Möglichkeit sich auf deinen Besuch vorzubereiten.«
Während sein Freund versuchte ihm hilfreiche Ratschläge zu geben, wanderte Nicolas Blick zum Waldrand, den er mit Blicken nach seinem Mädchen absuchte. Allerdings fand er niemanden und seine Schultern sackten unbewusst nach unten.
James unterbrach seinen Redeschwall kurz und klopfte ihm auf die Schulter, als er den Grund für die Enttäuschung seines Freundes bemerkte.
»Keine Panik. Sie kommt schon noch. Wart's ab. Bald hast du sie für immer an deiner Seite und spätestens, wenn sie dich wegen belanglosem Zeug anschreit, wirst du dir wünschen, dass dieses für immer endlich zu Ende geht«, scherzte er.
»Niemals«, hauchte der Schwarzhaarige allerdings nur.
Ehe James etwas erwidern konnte, ertönte plötzlich ein Räuspern, dass die Blicke der beiden nach vorne zwang.
... und dann blieb die Welt für den jungen Prinzen für einen Moment lang stehen. Ihre wunderschönen rehbraunen Augen blickten geradewegs in seine. Wie in seinen Träumen wagte er es für einen Augenblick lang nicht zu atmen, geschweige denn zu blinzeln.
Sie blickten sich bloß an. Und obwohl Nicolas die Furcht in den großen, braunen Augen seiner Gefährtin sah, konnte er nicht anders als, wie in Trance, einen Schritt auf sie zu zu machen. Dann noch einen.
Ihm fiel auf, dass sie sich versteifte und jede seiner Bewegungen mit vor Schreck riesigen Augen beobachtete. Deshalb versuchte er bedachte Schritte zu machen und ansonsten ebenso keine ruckartigen Bewegungen. Als würde er auf ein verschrecktes Rehkitz zu gehen, machte er noch eine Schritt auf sie zu.
Doch da kam sie wieder zu sich und trat einen zögerlichen Schritt nach hinten. Augenblicklich blieb er stehen und sah sie mit flehentlichen Blick an. Sie durfte nicht vor ihm wegrennen. Dass durfte nicht passieren.
»Ich werde dir nichts tun. Versprochen. Ich möchte nur mit dir sprechen«, versuchte er ihre Panik zu mildern.
Augenscheinlich brachte dies jedoch nichts, denn sie wagte weitere zwei Schritte nach hinten.
»Bitte«, flehte er nun am Rande der Verzweiflung und streckte trotz der offensichtlichen Weite, die Hand nach ihr aus.
Sie rührte sich nicht. Es schien als würde sie nachdenken. Wahrscheinlich wägte sie gerade ihre Möglichkeiten ab. Dem Fremden vor ihr trauen oder in den dunkeln Wald rennen. Er hoffte inbrünstig, dass sie ihn wählte.
Ehe sie jedoch zu einem Schluss kommen konnte, unterbrach sie jemand.
»Sollen wir sie für Euch gefangen nehmen, Eure Hoheit?«
Ohne eine weitere Sekunde zu warten, stürmte sein Mädchen nun schnurstracks auf den Wald zu. Bevor sie aber weit kommen konnte, fing sie einer seiner Soldaten ab, dem er allerdings sofort befahl sie loszulassen.
Nun nahm er selbst die Verfolgung auf und nahm sich für später vor diesen vorlauten Trottel zu bestrafen. Im Moment musste er seine Aufmerksamkeit jedoch Wichtigerem zu wenden. Wie seiner süßen, kleinen Gefährtin, die sich durch das Dickicht schlug.
Oftmals bemerkte er wie sie stolperte und einige Male beinahe sogar stürzte. Dies spornte ihn zusätzlich an, denn er wollte mögliche Stürzte auf der Stelle abfangen können, damit sie sich nicht verletzte.
An einer großen Eiche, dessen Krone weit in den Himmel ragte, blieb sie schließlich stehen und lehnte sich keuchend vor Anstrengung an den dicken Stamm.
Er hingegen war nicht außer Puste und bis auf sein wild klopfendes Herz, das immer noch nicht ganz den Schock, das sein Alptraum tatsächlich geschah, verarbeitet hatte, war er auch ruhig.
Er konnte es immer noch nicht fassen, dass sie wahrhaftig vor ihm stand. Ein Teil von ihm war überzeugt, dass dies ein Traum sein musste. Das Wegrennen kannte er bereits, doch noch nie war er zu der Stelle danach in seinen Seelenträumen gelangt. Er hatte nie gewusst, ob er sie erreichen und alles klären konnte. Die Ungewissheit hatte stets an ihn genagt.
Doch nun stand sie da. In ihrem luftigen, beigen Sommerkleid. Heftig nach Luft schnappend und steif an den Baum hinter ihr gepresst.
Sie war wunderschön. Obwohl er sie wegen der Dunkelheit, die im Wald herrschte kaum erkennen konnte, war er sich dessen vollkommen im Klaren. Sie war wunderschön.
Langsam trat er auf sie zu. Bedächtig, um sie nicht erneut aufzuschrecken. Sie sollte keine Angst vor ihm haben. Und auch vor niemand anderem. Er würde sie vor allen Gefahren beschützen.
»Hallo«, sprach er sie schließlich an und schalt sich im nächsten Moment für seine einfallslose Begrüßung.
Sie zeigte jedoch keine Regung. Ließ bloß weiterhin ihren Kopf hängen, um ihn nicht in die Augen blicken zu müssen.
»Mein Name ist Nicolas«, versuchte er es abermals. Er musste es irgendwie schaffen ihr Vertrauen zu gewinnen. Doch wie?
Sich verzweifelt nach irgendeiner Reaktion von ihr sehnend, streckte er, ohne nachzudenken, eine Hand nach ihr aus und berührte hauchzart ihre Wange.
Augenblicklich schreckte sie mit einem schrillen Schrei auf und starrte ihn mit ihren großen, rehbraunen Augen an, ehe sie ihren Kopf erneut senkte und sich noch näher an den Baumstamm presste.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich sogleich leise und trat einen Schritt zurück, »Ich hatte nicht die Absicht dich zu erschrecken. Ich möchte nur mit dir sprechen.«
Mit erhobenen Händen starrte er betrübt auf sie hinunter. Er hätte doch nicht ahnen können, dass sie so schreckhaft war. Allerdings war er für sie auch nichts weiter als ein Fremder. Natürlich fürchtete sie sich da.
Nicolas hätte sich in diesem Augenblick am liebsten selbst geschlagen. Wie dumm musste man sein, ärgerte er sich kopfschüttelnd.
Während seines Gedankenganges merkte er nicht, dass sein Mädchen ihn neugierig unter ihren Wimpern hindurch musterte.
Schließlich wandte er ihr wieder seinen Blick zu. Ihm entging nicht die Blässe, die sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet hatte.
»Ist alles in Ordnung?«, wollte er deshalb besorgt wissen. »Du bist so blass. Geht es dir nicht gut?«
Die Sorge um ihr Wohlergehen hielt sein Herz in einem schmerzhaften Griff gefangen und bewegte ihn dazu erneut einen Schritt auf sie zu zu gehen.
»Ist schon gut. Ich tu dir nichts«, versuchte er sie zu beruhigen, als sie ein ängstliches Wimmern ausstieß. »Bitte, vertrau mir. Ich würde lieber mich selbst verletzten, als dir Schmerzen zu zu fügen. Und ich werde es auch niemals zulassen, dass dies jemand anderes tut.«
Er legte all seine Gefühle und pure Ernsthaftigkeit in seine Stimme, als er diese Worte aussprach.
»Schließlich muss ich das Wertvollste in meinem Leben beschützen. Meine Gefährtin.«
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Die stumme Prinzessin (2nd Draft)
Novela JuvenilDas hier ist die neue Version von „Die stumme Prinzessin"! *** Ein stummes Mädchen und ein Kronprinz. Zwei Welten, die normalerweise einander niemals getroffen hätten. Doch ein magisches Schicksalsband verbindet diese zwei Leben und löst somit eine...